Mehr als Max und Moritz
Wilhelm Busch ist vielen vor allem wegen seiner Bildgeschichten über Max und Moritz bekannt. Dass Busch darüber hinaus auch als Maler, Zeichner und Dichter sehr produktiv war, veranschaulicht eine umfangreiche Ausstellung in Hannover. Die Schau mit dem Titel "Soviel Busch wie nie" zeigt ihn als abstrakten Maler und als Vertreter moderner Literatur.
Sind das wirklich Ölbilder von Wilhelm Busch? Heftige Pinselstriche kreuz und quer, hier tut sich ein Stück Himmel auf, dort werden Bäume und Sträucher allenfalls vage angedeutet, ein roter Fleck genügt für einen Menschen an einer Waldlichtung. In diesem Stil malte der bärtige Klassiker auf kleine Pappen: um 1890, als die Bildgeschichten, durch die er zu Ruhm und Geld gekommen war, bereits hinter ihm lagen. Diese späten Gemälde und auch die freien Zeichnungen waren sein Privatvergnügen – und geben nun das Fundament ab für die in Hannover versuchte Korrektur des tradierten Busch-Bildes. Dem Klassiker aus Wiedensahl wird der Rauschebart des 19. Jahrhunderts abgenommen, Busch erscheint jetzt als Repräsentant der Avantgarde, als Vorläufer expressionistischer Malerei und als Held einer entschiedenen Abstraktion, der Vergleich mit Kandinsky wird nicht gescheut. Busch tritt so als Ahnherr der klassischen Moderne auf:
"Ja, darf er das nicht? Man muss sich ja nicht immer an das geschriebene Wort der Kunstkataloge und der großen Direktoren halten. Man sollte einfach mal hinschauen und die faszinierende Entwicklung von Buschs Malerei entdecken. Und man findet dann in der Abstraktion und Expressivität Anklänge an Stile, die erst 15 Jahre später auftauchen."
Hans Joachim Neyer, der hannoversche Museumsdirektor. So stark löste sich Busch am Ende von den Motiven, dass eines dieser klitzekleinen Ölbilder sogar – wie in einem schlechten Witz – um 90 Grad gedreht werden kann. Dann wird aus der Bäuerin im Stall eine Art Landschaft mit Sonnenaufgang. Und da diese erste Schau mit dem Titel "Soviel Busch wie nie" ihr Versprechen einlöst, kann man seine Entwicklung als Maler über Jahrzehnte verfolgen – wie er mit Wirtshausszenen, Landschaften und Porträts zunächst seinen großen Vorbildern, vor allem den Holländern des 17. Jahrhunderts, nacheiferte. In Düsseldorf, Antwerpen und München hatte er studiert, bevor er mit seinen turbulenten Bildgeschichten auffiel. Anders als in diesen pessimistischen Erzählungen zeigt sich auf seinen freien Zeichnungen eine weitgehend friedliche Welt: ländliche Impressionen mit Weiden und Wäldern beruhigen die Nerven. Aber auch hier fand Busch zu einem furiosen Spätwerk.
Ruth Brunngraber vom Busch Museum:
""Für Busch als Zeichner wie auch als Maler gilt: je älter, desto progressiver. In den späten achtziger Jahren verfügen die bis an den äußersten Blattrand geführten Zeichnungen über eine malerische Struktur. Während in den letzten drei, vier letzten Schaffensjahren - wir gehen davon aus, dass er um 1894 mit dem Zeichnen aufgehört hat - die Zeichnungen schrumpfen. Oft sind es winzige Bildräume, die er mit wenigen Strichen ausgrenzt - in der Größe einer Zündholzschachtel. Hier haut er eine abstrahierte Landschaft hinein, einen Baum, oder zwei Bauern im Gespräch. Reduzierter kann man eine Komposition kaum anlegen.”"
Der berühmte Bildgeschichtenerzähler eröffnet dann die zweite Museums-Ausstellung: Leuchtkästen mit Motiven aus seinen bekannten Werken – von "Max und Moritz" bis zu "Balduin Bählamm" - ziehen die Blicke an. Und amerikanische Comic-Zeitungsseiten belegen den Impuls, den Busch diesem Massenmedium zur Jahrhundertwende gab. "Etwas wie Max und Moritz" wünschte sich Zeitungszar Hearst von seinen Zeichnern für die bunten Sonntagsbeilagen: böse Buben mit deftigen Streichen, die für Schadenfreude sorgen. Busch hatte mit der Dynamik seiner Bilder ohnehin Akzente gesetzt. Für die Besinnung auf die Busch-Tradition gab es in den USA aber noch andere Gründe. Neyer:
""Max und Moritz und auch die anderen Geschichten von Busch sind im gleichen Jahrzehnt auf englisch in New York und London erschienen, greifbar für alle. Außerdem stellt der Rückgriff auf diese Geschichten Nostalgie für die Einwanderer dar, die nach der Revolution von 1848 in der ersten Welle oder nach den Gründerkrächen der siebziger und achtziger Jahre sich in Amerika niederließen. Unter den drei Millionen New Yorkern gab es 800.000’Deutsche, in einzelnen anderen Staaten war der Anteil noch größer, bis zu einem Drittel der Bevölkerung.”"
Selbst in Disneys Trickfilmstudios soll man sich später an der Turbulenz der Busch-Zeichnungen orientiert haben. "Avantgardist aus Wiedensahl" ist diese zweite Ausstellung in Hannover überschrieben – und es ist ehrenvoll, dass man sich hier sogar an den "reinen" Literaten Busch heranwagt. Gedichte aus seinem Lyrikband "Kritik des Herzens" von 1874 hängen an der Wand. Auch seine beiden modernen Erzählungen rücken ins Blickfeld, vor allem "Eduards Traum", erschienen 1891. Die zum Punkt geschrumpfte Persönlichkeit des Träumers hüpft durch eine surreale Landschaft, groteske Abenteuer sind filmschnittartig aneinandergereiht. Im Museum hat man dazu drei Räume inszeniert: im ersten begegnen wir dem im Sessel eingenickten Eduard, kleine Episoden aus dieser fantastischen Geschichte, seinem Traum, sind durch Miniaturfiguren angedeutet:
""Uns geht es ganz bescheiden nur darum, die Leute durch diese Inszenierung auf eine spannende Lektüre aufmerksam zu machen. So dass sie dann vielleicht mal nachlesen und sich auch nicht abstoßen lassen dadurch, dass diese Lektüre - anders als bei Busch sonst üblich - nicht so eingängig ist, sondern es ist wirklich moderne Literatur.” "
Ob Zeichner, Maler oder "reiner" Literat: für viele ist dieser Klassiker Busch noch zu entdecken – so paradox es sich anhören mag. Seine Vielseitigkeit kann im Museum nur gestreift werden, obwohl die Materialfülle schon jetzt sehr groß ist. "Die Wand gab sich keine Blöße", so formulierte es der Meister in "Maler Klecksel". Man braucht Zeit, um alles zu verarbeiten und den eigenen Busch im Kopf neu zu justieren – mit und ohne Rauschebart.
"Ja, darf er das nicht? Man muss sich ja nicht immer an das geschriebene Wort der Kunstkataloge und der großen Direktoren halten. Man sollte einfach mal hinschauen und die faszinierende Entwicklung von Buschs Malerei entdecken. Und man findet dann in der Abstraktion und Expressivität Anklänge an Stile, die erst 15 Jahre später auftauchen."
Hans Joachim Neyer, der hannoversche Museumsdirektor. So stark löste sich Busch am Ende von den Motiven, dass eines dieser klitzekleinen Ölbilder sogar – wie in einem schlechten Witz – um 90 Grad gedreht werden kann. Dann wird aus der Bäuerin im Stall eine Art Landschaft mit Sonnenaufgang. Und da diese erste Schau mit dem Titel "Soviel Busch wie nie" ihr Versprechen einlöst, kann man seine Entwicklung als Maler über Jahrzehnte verfolgen – wie er mit Wirtshausszenen, Landschaften und Porträts zunächst seinen großen Vorbildern, vor allem den Holländern des 17. Jahrhunderts, nacheiferte. In Düsseldorf, Antwerpen und München hatte er studiert, bevor er mit seinen turbulenten Bildgeschichten auffiel. Anders als in diesen pessimistischen Erzählungen zeigt sich auf seinen freien Zeichnungen eine weitgehend friedliche Welt: ländliche Impressionen mit Weiden und Wäldern beruhigen die Nerven. Aber auch hier fand Busch zu einem furiosen Spätwerk.
Ruth Brunngraber vom Busch Museum:
""Für Busch als Zeichner wie auch als Maler gilt: je älter, desto progressiver. In den späten achtziger Jahren verfügen die bis an den äußersten Blattrand geführten Zeichnungen über eine malerische Struktur. Während in den letzten drei, vier letzten Schaffensjahren - wir gehen davon aus, dass er um 1894 mit dem Zeichnen aufgehört hat - die Zeichnungen schrumpfen. Oft sind es winzige Bildräume, die er mit wenigen Strichen ausgrenzt - in der Größe einer Zündholzschachtel. Hier haut er eine abstrahierte Landschaft hinein, einen Baum, oder zwei Bauern im Gespräch. Reduzierter kann man eine Komposition kaum anlegen.”"
Der berühmte Bildgeschichtenerzähler eröffnet dann die zweite Museums-Ausstellung: Leuchtkästen mit Motiven aus seinen bekannten Werken – von "Max und Moritz" bis zu "Balduin Bählamm" - ziehen die Blicke an. Und amerikanische Comic-Zeitungsseiten belegen den Impuls, den Busch diesem Massenmedium zur Jahrhundertwende gab. "Etwas wie Max und Moritz" wünschte sich Zeitungszar Hearst von seinen Zeichnern für die bunten Sonntagsbeilagen: böse Buben mit deftigen Streichen, die für Schadenfreude sorgen. Busch hatte mit der Dynamik seiner Bilder ohnehin Akzente gesetzt. Für die Besinnung auf die Busch-Tradition gab es in den USA aber noch andere Gründe. Neyer:
""Max und Moritz und auch die anderen Geschichten von Busch sind im gleichen Jahrzehnt auf englisch in New York und London erschienen, greifbar für alle. Außerdem stellt der Rückgriff auf diese Geschichten Nostalgie für die Einwanderer dar, die nach der Revolution von 1848 in der ersten Welle oder nach den Gründerkrächen der siebziger und achtziger Jahre sich in Amerika niederließen. Unter den drei Millionen New Yorkern gab es 800.000’Deutsche, in einzelnen anderen Staaten war der Anteil noch größer, bis zu einem Drittel der Bevölkerung.”"
Selbst in Disneys Trickfilmstudios soll man sich später an der Turbulenz der Busch-Zeichnungen orientiert haben. "Avantgardist aus Wiedensahl" ist diese zweite Ausstellung in Hannover überschrieben – und es ist ehrenvoll, dass man sich hier sogar an den "reinen" Literaten Busch heranwagt. Gedichte aus seinem Lyrikband "Kritik des Herzens" von 1874 hängen an der Wand. Auch seine beiden modernen Erzählungen rücken ins Blickfeld, vor allem "Eduards Traum", erschienen 1891. Die zum Punkt geschrumpfte Persönlichkeit des Träumers hüpft durch eine surreale Landschaft, groteske Abenteuer sind filmschnittartig aneinandergereiht. Im Museum hat man dazu drei Räume inszeniert: im ersten begegnen wir dem im Sessel eingenickten Eduard, kleine Episoden aus dieser fantastischen Geschichte, seinem Traum, sind durch Miniaturfiguren angedeutet:
""Uns geht es ganz bescheiden nur darum, die Leute durch diese Inszenierung auf eine spannende Lektüre aufmerksam zu machen. So dass sie dann vielleicht mal nachlesen und sich auch nicht abstoßen lassen dadurch, dass diese Lektüre - anders als bei Busch sonst üblich - nicht so eingängig ist, sondern es ist wirklich moderne Literatur.” "
Ob Zeichner, Maler oder "reiner" Literat: für viele ist dieser Klassiker Busch noch zu entdecken – so paradox es sich anhören mag. Seine Vielseitigkeit kann im Museum nur gestreift werden, obwohl die Materialfülle schon jetzt sehr groß ist. "Die Wand gab sich keine Blöße", so formulierte es der Meister in "Maler Klecksel". Man braucht Zeit, um alles zu verarbeiten und den eigenen Busch im Kopf neu zu justieren – mit und ohne Rauschebart.