Mehr als Geschichten von sympathischen Waldtieren

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Sie gilt als der wichtigste Treffpunkt für den europäischen Animationsfilm. Auf der Cartoon Movie werden in Potsdam-Babelsberg Projekte aus 16 Ländern vorgestellt. Sie reichen von "Family entertainment" bis zu anspruchsvollen Stoffen. Vorgestellt wird auch ein neuer Puppentrickfilm. Protagonist ist das beliebte Ost-Sandmännchen.
Am Ufer des Nilstroms in längst vergangenen Zeiten regierten die Pharaonen: Der Eröffnungsfilm führt ins alte Ägypten. Die französisch-belgisch-ungarische Coproduktion "The Princess Of the Sun" (La Reine Soleil) erzählt die Abenteuer der ägyptischen Prinzessin Akhesa. Regisseur Philippe Leclerc verfilmte einen Roman des französischen Ägyptologen Christian Jacq – einer von 14 französischen Filmen und Filmprojekten.
Weltliteratur und Weltgeschichte im Kindchenschema ist ein Erfolgsrezept für die ganze Familie – nicht nur in Frankreich. Ein alter Gast auf der Cartoon Movie ist der spanische Produzent Manuel Cristobal. Auf der Basis literarischer Vorlagen hat er bereits zahlreiche erfolgreiche Animationsfilme als internationale Koproduktionen realisiert:

" Die Finanzierung dieser Filme ist sehr schwierig und literarische Vorlagen erleichtern die Zusammenarbeit, klassische Stoffe, die Adaptionen von Literaturvorlagen sind einfach bekannter, und daher leichter zu vermitteln als neue eigene Geschichte."

In Babelsberg präsentiert Manuel Cristobal eine moderne ökologische Variante des Arche-Noah-Stoffs im Projektstadium. In "The missing lynx" (Der verlorene Luchs) sieht ein exzentrischer alter Multimillionär das Ende der Welt kommen und will die Tiere von einem skrupellosen Jäger in eine Arche "retten".

"Family entertainment", also Unterhaltung für die ganze Familie lautet die gesamteuropäische Zauberformel mit der Kinder und Großeltern, Alte und Junge in die Kinos gelockt werden sollen. Sieben Projekte kommen dieses Jahr aus Spanien.

Manuel Cristobal: " In Spanien ist das auch so, und bis heute ist es eigentlich nicht möglich, Animationsfilme nur für Erwachsene zu entwickeln. Aber was heißt schon erwachsen? Die Familien als Kinopublikum, das ist doch eine Entwicklung der letzten Jahre, seit dem Erfolg von "Toy Story" von John Lassiter, dem ersten Computer gesteuerten Film, der aber auch die Erzählformen im Animationsfilm sehr aufgefrischt hat. Das hat dazu geführt, das die Kinovorführungen von Animationsfilmen um vier Uhr nachmittags und um zehn Uhr abends voll sind und das für ein insgesamt viel erwachseneres Publikum als vorher."

Ob für die ganze Familie oder auch nicht: Neben zahlreichen Projekten harmonischer, heiler Märchenwelt und sympathischen Waldtieren gibt es auch viele Projekte, die die Heile-Welt-Vorgaben des Kinder- und Familienfilms parodieren und ad absurdum führen.

Etwa die spanisch-dänische Puppenanimation "Zombie Western" als blutige Genreparodie oder – ebenfalls aus Spanien der Vampirzeichentrickfilm "Hämoglobin – ein Vampir aus Sevilla", in dem Don Manuel de Hämoglobin nach 500 Jahren harter Arbeit für den Grafen Wurst von Frankfurt in seine andalusische Heimat zurück will.

Die britisch-belgische Märchenparodie "Snow White – the Sequel" (Schneewittchen, die Fortsetzung) fragt nach dem erotischen Fortgang des Kindermärchens nach der glücklichen Heirat Schneewittchens mit dem Märchenprinzen.

Der europäische Animationsfilm findet auch jenseits des "family entertainment" seine Zuschauer, sagt der deutsche Organisator von "Cartoon Movie”, Filmproduzent Stefan Thiess:

" Natürlich gibt es auch wieder Stoffe, Inhalte, die eher für Erwachsene sind, die aber auch sich Schritt für Schritt zusehends mehr Beliebtheit erfreuen, es gibt also auch den Trend, langsam auch diese Filme sozusagen, die nicht klassisch als Kinderfilme gelten, jetzt auch im Kino auszuwerten, und es gibt auch ein immer größer werdendes Publikum. "

Auf der Cartoon Movie treffen unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten aufeinander und die Identität des europäischen Animationsfilms gegenüber der asiatischen und amerikanischen Konkurrenz liegt in einer schwierigen Balance zwischen dem allgemein verständlichen Ausdruck und dem Bewahren der spezifischen nationalen Eigenheiten. Hier überrascht immer wieder die stilistische Bandbreite - von der 3D-Animation, über die animierte Marionette oder Knetfiguren bis hin zum klassischen Zeichentrickfilm.

Stefan Thies: " Also das ist so was, was europäische Filme ausweist, sie sind tatsächlich aus jedem Land anders, und das ist es, was sie auch von amerikanischen Filmen unterscheidet, die in der Regel mainstreamig sind und fast alle gleich aussehen, kann man sich auch sehr gut angucken, wenn man das Kinojahr verfolgt hat. Das ist in Europa durch die Vielfalt sehr viel besser, natürlich auch schwieriger für diese Filme ein Publikum zu finden, aber da gibt es schon Unterschiede. Das macht sich einmal bemerkbar in der Art der Erzählweise, aber natürlich auch in der graphischen Umsetzung – also die Stilistik ist doch sehr unterschiedlich, was Figurendesign und Setdesign betrifft und natürlich auch die Techniken – Puppentrick, Knettrick, alles so Sachen, die die Amerikaner ja kaum machen."

13 deutsche Projekte sind dieses Jahr dabei, darunter die Verfilmung des beliebten Toni-Ungerer-Kinderbuchs "Die drei Räuber", mit der die Produktionsfirma X-Film den Sprung ins Animationsgeschäft wagt, und ein langer Puppentrickfilm: - Protagonist ist das beliebte Ost-Sandmännchen.

Für Petra Müller, Geschäftsführerin des Medienboards Berlin-Brandenburg und Gastgeberin der Cartoon Movie, liegt der Sinn gezielter Filmförderung in der Stärkung der regionalen und europäischen Infrastruktur:

" Die inhaltliche Entscheidung, ob das jetzt ein Märchen ist, ob das jetzt ein Märchenfilm oder ein anderes Genre ist, das steht bei uns nicht so im Vordergrund. Bei uns steht im Vordergrund: Ist die Firma gut aufgestellt, ist das Projekt gut aufgestellt, ist das marktfähig und wird das sein Publikum erreichen? "

Dabei geht Cartoon Movie auch über die klassische Kinoauswertung hinaus. Im vergangenen Jahr waren die Gestalter von Video- und Computerspielen zu Gast, dieses Jahr sind Anbieter digitaler Plattformen wie die deutsche Telekom und die spanische Telefonica vertreten – auch hier geht es um die Annäherung des klassischen Animationsspielfilmsektors an die Auswerter im neuen digitalen Medienmarkt.

Petra Müller: " Um einfach auszuloten – was kann man mit Animation auch in neuen Formaten tun? Kleine Handyspiele, Spiele im Computer und was kann die Branche davon haben, einerseits und andererseits, sind denn auch die Inhalte, die man fürs Kino entwickelt, in der gesamten Wertschöpfungskette aller Medienangebote nutzbar und aufstellbar? "

Service:

Die 9. Cartoon Movie findet vom 7. bis 9. März 2007 in Potsdam-Babelsberg statt. Sie wird organisiert von CARTOON, dem europäischen Verband für Animationsfilm, unterstützt von der Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH und gefördert durch das MEDIA Programm der Europäischen Union.