Mehr als ein Wissenschaftsroman

Giles Foden hat mit seinem neuen Buch "Die Geometrie der Wolken" eine faszinierende Erzählung abgeliefert, die sich keineswegs auf Mathematik und Messungen beschränkt. Vielmehr erwartet den Leser ein mitreißendes Psychogramm der Protagonisten.
Die Generäle brauchen Gewissheit. Mond- und Gezeitenphasen kennt man, wie aber wird das Wetter in diesem Frühsommer 1944, in dem die Oberbefehlshaber der britischen und amerikanischen Streitkräfte die Operation Overlord planen, die alliierte Landung in der Normandie. Denn zigtausende Menschenleben, wenn nicht das Gelingen des ganzen Unternehmens, hängen davon ab, dass Wind und Wolken mitspielen, wenn man zum Sturm auf den von Hitlers Truppen besetzten europäischen Kontinent ansetzt. Fünf Tage im Voraus müssen die Militärs Bescheid wissen, denn solange dauert es, um Schiffe, Flugzeuge und Truppen für den Sprung über den Ärmelkanal zusammenzuziehen.

Doch die Meteorologen können seinerzeit nur genaue Prognosen für die nächsten zwei Tage stellen, ab dem dritten Tag wird jede Vorhersage zur Kaffeesatzleserei. Es sei denn, man verfügt über die Ryman-Zahl, ein numerisches Kriterium zur Messung der Turbulenz von Wettersystemen und anderen Strömungen, ersonnen von dem genialen Mathematiker und Meteorologen Wallace Ryman.

Ryman jedoch, der zurückgezogen an der schottischen Westküste lebt, ist überzeugter Pazifist und verweigert dem Militär jegliche Unterstützung. Weshalb man beim britischen Meteorological Office auf die Idee verfällt, Henry Meadows, einen jungen, aber renommierten Wetterforscher von der Universität Cambridge gen Norden zu schicken, damit er dem widerspenstigen Genie seine Zahl abluchst.

Dies ist der Ausgangspunkt von Giles Fodens großartigem neuen Werk, einem Roman über die Begründung der numerischen, mathematisch darstellbaren Entwicklung des Wetters. Doch Foden hat keineswegs einen der derzeit so modisch gewordenen Wissenschaftsromane geschrieben, denn dies ist nur einer der Handlungsfäden dieses dramaturgisch meisterhaft angelegten Buches.

In erster Linie ist "Die Geometrie der Wolken" ein mitreißendes Psychogramm der Protagonisten, die sich hier, im unwirtlichen Norden, um der wissenschaftlichen Erkenntnis willen belauern. Hier der sture Quäker Ryman, der in seiner Welt der Formeln und Zahlen lebt und mit dem Krieg nichts zu tun haben will, dort der zutiefst traumatisierte, emotional schwer geschädigte Meadows, dessen schottisches Abenteuer zur einer slapstickhaften Serie aus Pleiten, Pech und Pannen gerät.

Foden, dessen unaufgeregter, jedoch keineswegs trockener Stil in Verbindung mit der raffinierten Konstruktion seiner Geschichte in den besten Momenten an den großen William Boyd ("Brazzaville Beach") erinnert, hat seinen Roman als fiktive Autobiographie geschrieben, die ein gealterter Henry Meadows fast vier Jahrzehnte später auf einer denkwürdigen Schiffsreise verfasst.

Trotz oder dank intensiver Recherche etwa über das Leben und Wirken des englischen Pazifisten und Meteorologen Lewis Fry Richardson, des Begründers der modernen Wetterkunde, der ihm als Vorbild für Ryman dient, ist ihm eine faszinierende Erzählung gelungen, die sich keineswegs auf Mathematik und Messungen beschränkt.

Besprochen von Georg Schmidt

Giles Foden: Die Geometrie der Wolken
Übersetzt von Hannes Meyer
Aufbau Verlag, Berlin 2010
392 Seiten, 22,95 Euro