Mehr als ein Keulen schwingender Steinzeitmensch
Vor gut 150 Jahren wurden die ersten Knochen des Neandertalers gefunden. Seitdem ranken sich allerhand Mythen und Theorien um den Frühmenschen. Martin Kuckenburg räumt in seinem Buch „Der Neandertaler“ mit zahlreichen Vorurteilen auf und belegt anhand neuer Forschungsergebnisse, dass der Steinzeitmensch keineswegs brutal, unintelligent und kulturlos war.
Das Buch kommt rechtzeitig, denn im August des nächsten Jahres wird gefeiert: 150 Jahre Neandertalforschung. Es war im Sommer 1856, als in einem Steinbruch im Neandertal bei Düsseldorf die ersten Knochen des Frühmenschen gefunden wurden. Seither kamen und gingen die abstrusesten Hypothesen zum Aussehen und Leben der Neandertaler. Noch bis vor einigen Jahren existierte die Vorstellung vom groben, Keulen schwingenden und kulturlosen Steinzeitmenschen. Dass hiermit regelrecht aufgeräumt wurde, daran haben zahlreiche Wissenschaftler mit akribischem Elan und moderner Technik einen großen Anteil.
Der Autor Martin Kuckenburg, selbst Archäologe und Journalist, zeichnet in seinem Buch die Geschichten und Mythen auf, die sich um den Neandertaler ranken, er führt den Leser sachlich und informativ in die Details der Forschung ein. Hierbei sieht er sich selbst " … eher als Chronist und nicht so sehr als Verfechter der einen oder anderen Theorie“.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die Frage, die den Menschen schon immer beschäftigte: Woher kommen wir, wessen Abstammung sind wir und welche Merkmale sind für den homo sapiens ausschlaggebend?
Der ersten Knochenfunde von Neandertalern fallen zeitlich in eine für die wissenschaftliche Erkenntnis bedeutsame Epoche: Im Jahre 1859 erschien in England Charles Darwins Werk „Über die Entstehung der Arten …“, das mit der Schöpfungsgeschichte aufräumte. Im Zuge dessen gab es jedoch zahlreiche Wissenschaftler, die Darwins Evolutionstheorie nutzten und die Affenabstammung des Menschen postulierten. Derartige Vorstellungen waren nicht nur ein Schock für breite Kreise in der Öffentlichkeit, sie waren auch Nährboden für Rassismus, insbesondere gegen Naturvölker in Afrika, Asien oder Südamerika.
Ausschlaggebend hierfür waren – und das belegt Martin Kuckenburg mit zahlreichen Zitaten damaliger Wissenschaftler akribisch – die Schlussfolgerungen, die insbesondere aus der Physiognomie des Neandertalers abgeleitet wurden. Die europaweit über 300 Funde gaben genug Informationen, um seine Gestalt und sein Aussehen zu beschreiben. Der wuchtige, untersetzte Körper, die ausgeprägten Überaugenwülste, der starke Kiefer, die flache Stirn waren nach damaliger Erkenntnis alles Belege für den brutalen, unintelligenten Altmenschen.
Ein Irrtum, wie neueste Forschungen gezeigt haben. Jüngste Funde und Untersuchungen belegen, dass der Neandertaler eine Sprache gehabt hat, dass er sich künstlerisch betätigte und sogar ein soziales Verhalten bei der Pflege von schwachen oder verletzten Artgenossen entwickelte. Diese Grundlagen nutzend, zeichnet der Autor ein facettenreiches Bild vom „möglichen“ Alltagsleben der Altmenschen auf bis zu ihrem Verschwinden vor etwa 30.000 Jahren. Doch warum verließ der Neandertaler die europäische Bühne für immer?
Dies ist die zentrale Frage im letzten Teil. Hier stellt Martin Kuckenburg die verschiedenen Argumente und Theorien gegenüber. Die wohl zentrale Frage dabei ist die nach der Rolle des modernen Menschen. Waren die jüngsten Neandertalerfunde mit cirka 40.000 Jahren datiert, so sind die ältesten Knochen des homo sapiens auf europäischem Gebiet lediglich 30.000 Jahre alt. Wurde der Neandertaler also einfach durch den Menschen ersetzt, indem sich beide Gruppen langsam vermischt haben? Oder hat der überlegene homo sapiens dem Neandertaler den Garaus gemacht? Licht in das Dunkel bringen allerneueste Knochenfunde und Untersuchungsmethoden, wie zum Beispiel die C-14-Methode zur exakten Altersbestimmung und die Genanalyse. Danach hat sich – und hier geht der Autor konform mit der Wissenschaft – ein extremer Wandel im Bild, das wir vom Neandertaler haben müssen – vollzogen.
„Der Neandertaler“ ist allen zu empfehlen, die sich für das Woher der Menschheitsentwicklung interessieren aber auch offen für die verschiedenen Irrungen und Wirrungen der Forschungsgeschichte auf diesem Gebiet sind. Sehr hilfreich bei der Lektüre sind die zahlreichen Abbildungen, Fotografien und Grafiken. Sie machen das Verstehen des fachlichen Inhalts umso leichter und unterhaltsamer.
Martin Kuckenburg: Der Neandertaler. Auf den Spuren des ersten Europäers
Klett-Cotta
330 Seiten, 25 Euro
Der Autor Martin Kuckenburg, selbst Archäologe und Journalist, zeichnet in seinem Buch die Geschichten und Mythen auf, die sich um den Neandertaler ranken, er führt den Leser sachlich und informativ in die Details der Forschung ein. Hierbei sieht er sich selbst " … eher als Chronist und nicht so sehr als Verfechter der einen oder anderen Theorie“.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die Frage, die den Menschen schon immer beschäftigte: Woher kommen wir, wessen Abstammung sind wir und welche Merkmale sind für den homo sapiens ausschlaggebend?
Der ersten Knochenfunde von Neandertalern fallen zeitlich in eine für die wissenschaftliche Erkenntnis bedeutsame Epoche: Im Jahre 1859 erschien in England Charles Darwins Werk „Über die Entstehung der Arten …“, das mit der Schöpfungsgeschichte aufräumte. Im Zuge dessen gab es jedoch zahlreiche Wissenschaftler, die Darwins Evolutionstheorie nutzten und die Affenabstammung des Menschen postulierten. Derartige Vorstellungen waren nicht nur ein Schock für breite Kreise in der Öffentlichkeit, sie waren auch Nährboden für Rassismus, insbesondere gegen Naturvölker in Afrika, Asien oder Südamerika.
Ausschlaggebend hierfür waren – und das belegt Martin Kuckenburg mit zahlreichen Zitaten damaliger Wissenschaftler akribisch – die Schlussfolgerungen, die insbesondere aus der Physiognomie des Neandertalers abgeleitet wurden. Die europaweit über 300 Funde gaben genug Informationen, um seine Gestalt und sein Aussehen zu beschreiben. Der wuchtige, untersetzte Körper, die ausgeprägten Überaugenwülste, der starke Kiefer, die flache Stirn waren nach damaliger Erkenntnis alles Belege für den brutalen, unintelligenten Altmenschen.
Ein Irrtum, wie neueste Forschungen gezeigt haben. Jüngste Funde und Untersuchungen belegen, dass der Neandertaler eine Sprache gehabt hat, dass er sich künstlerisch betätigte und sogar ein soziales Verhalten bei der Pflege von schwachen oder verletzten Artgenossen entwickelte. Diese Grundlagen nutzend, zeichnet der Autor ein facettenreiches Bild vom „möglichen“ Alltagsleben der Altmenschen auf bis zu ihrem Verschwinden vor etwa 30.000 Jahren. Doch warum verließ der Neandertaler die europäische Bühne für immer?
Dies ist die zentrale Frage im letzten Teil. Hier stellt Martin Kuckenburg die verschiedenen Argumente und Theorien gegenüber. Die wohl zentrale Frage dabei ist die nach der Rolle des modernen Menschen. Waren die jüngsten Neandertalerfunde mit cirka 40.000 Jahren datiert, so sind die ältesten Knochen des homo sapiens auf europäischem Gebiet lediglich 30.000 Jahre alt. Wurde der Neandertaler also einfach durch den Menschen ersetzt, indem sich beide Gruppen langsam vermischt haben? Oder hat der überlegene homo sapiens dem Neandertaler den Garaus gemacht? Licht in das Dunkel bringen allerneueste Knochenfunde und Untersuchungsmethoden, wie zum Beispiel die C-14-Methode zur exakten Altersbestimmung und die Genanalyse. Danach hat sich – und hier geht der Autor konform mit der Wissenschaft – ein extremer Wandel im Bild, das wir vom Neandertaler haben müssen – vollzogen.
„Der Neandertaler“ ist allen zu empfehlen, die sich für das Woher der Menschheitsentwicklung interessieren aber auch offen für die verschiedenen Irrungen und Wirrungen der Forschungsgeschichte auf diesem Gebiet sind. Sehr hilfreich bei der Lektüre sind die zahlreichen Abbildungen, Fotografien und Grafiken. Sie machen das Verstehen des fachlichen Inhalts umso leichter und unterhaltsamer.
Martin Kuckenburg: Der Neandertaler. Auf den Spuren des ersten Europäers
Klett-Cotta
330 Seiten, 25 Euro