Mehltau über dem Land
Die Lage ist besser als die Stimmung. Der konjunkturelle Aufschwung, die sinkenden Arbeitslosenzahlen, der Rückgang der Ebbe in den öffentlichen Kassen, der wiederholte Gewinn der Exportweltmeisterschaft: All dies hat nicht dazu geführt, dass die Deutschen ihres Lebens froh sind und optimistisch in die Zukunft blicken. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist Deutschland auch 2006 von Katastrophen verschont geblieben, leben die Menschen in relativem Wohlstand und in Sicherheit.
Und trotzdem – oder vielleicht deshalb? – glauben acht von zehn Menschen im Westen und sogar neun von zehn im Osten dieses Landes, dass die Politik auf die Interessen des Volkes keine Rücksicht nehme. Ja, dort, wo die Wiedervereinigung erst Freiheit und Demokratie gebracht haben, sind mehr als die Hälfte der Menschen unzufrieden mit dem politischen System überhaupt.
So ist es Ende dieses Jahres vielleicht an der Zeit, eine Lanze für die so verachtete Politik und die gescholtenen Politiker zu brechen. Wenn die überwiegende Mehrzahl der Menschen den mangelnden Einfluss auf die Politik beklagt, sollten diese vielleicht heruntersteigen von der Tribüne und sich auf dem Spielfeld der Demokratie betätigen. Aber in Wahrheit wollen sie unterhalten werden und wünschen sich Gottschalk oder Jauch an der Spitze. In ihren Shows können alle gewinnen und gar Millionäre werden. Kein Wunder, dass der Mehltau über dem Land nur für vier wunderbare Wochen im Sommer weggeblasen wurde. Die Fußballweltmeisterschaft versetzte alle in Jubelstimmung - eben als Zuschauer.
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Doch was ist, wenn der Souverän sein Recht, aber auch seine Pflicht, immer weniger wahrnimmt? Wahlen werden immer häufiger zu Protestwahlen. Der Protest gegen "die da oben" äußert sich in Stimmen für extremistische Parteien, immer häufiger auch am rechten Rand, oder in Wahlenthaltung. In der Zuschauerdemokratie verlässt das Volk die Tribüne, weil es sich langweilt oder sich wegen zu vieler Fouls der gewählten Matadore abwendet. "Politik ist ein schmutziges Geschäft" – so lautete schon immer das deutsche Vorurteil. Aber wir waren uns unserer Demokratie schon einmal sicherer als heute.
Die seit gut einem Jahr regierende große Koalition ist Ergebnis freier Wahlen, nicht des Wunsches der Parteien selber. Nur ein Tor konnte erwarten, dass große Koalitionen große Politik machen. Nein, sie können sich bestenfalls auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, auf kleine Reformschritte. Kanzlerin Angela Merkel versteht sich zu Recht - nicht anders als Kurt Georg Kiesinger vor vierzig Jahren - als wandelnder Vermittlungsausschuss zwischen den sich argwöhnisch beobachtenden Koalitionspartnern. Nur mit einem deutlichen Unterschied: Heute sind auch die Großen geschrumpft und können sich kaum noch als Volksparteien betrachten. Die Parteienlandschaft gleicht heute einer Dünenlandschaft mit viel Flugsand und wenig Wurzelwerk.
Die Regierung Merkel-Müntefering hat in diesem Jahr geleistet, was man erwarten durfte, allerdings weniger, als manche zu hoffen wagten. Die Föderalismusreform als die Mutter aller Reformen war nur insofern groß, als viele Gesetze, die das Verhältnis von Bund und Ländern neu justieren sollen, geändert wurden. Schon der Streit über ein Rauchverbot belegt, dass die Ziele der Reform - nämlich klarere Kompetenzverteilung, Transparenz, Beseitigung der Reformbremsen - nicht erreicht wurden. Und der wichtigste Baustein dieser Reform, nämlich die Neuordnung der Finanzbeziehungen, wird noch lange nicht gesetzt werden können.
Die wichtigste gelungene Reform trägt die Überschrift: "Rente mit 67". In einer langen Übergangsphase wird der Entwicklung Rechnung getragen, dass die Bevölkerung immer älter wird. Deutschland ist mit den kürzesten Wochen – und Lebensarbeitszeiten der Welt und sinkender Geburtenrate nicht zukunftsfähig. Das Kardinalproblem bleibt das Missverhältnis zwischen Leistungen und Erwartungen an den Staat. Die sozialen Sicherungssysteme funktionieren nicht mehr. Der Streit über die Gesundheitsreform nährt weiter die Zweifel an der Reformfähigkeit des Landes. Und auch die Zweifel daran, ob die kleinen Schritte, die Angela Merkel zum Programm erhoben hat, wirklich in die richtige Richtung führen. Jedenfalls ist die Koalition selber ihrem Appell, mehr Freiheit zu wagen, nicht gefolgt.
Wer einen wirklich guten Eindruck von Deutschland am Ende des Jahres 2006 erhalten will, muss dieses Land offenbar von außen betrachten. Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft der Europäischen Union und der so genannten G8-Staaten ist überwältigend. Das Ausland traut uns mehr zu als wir selber. Die Lage ist eben besser als die Stimmung – Ende 2006.
So ist es Ende dieses Jahres vielleicht an der Zeit, eine Lanze für die so verachtete Politik und die gescholtenen Politiker zu brechen. Wenn die überwiegende Mehrzahl der Menschen den mangelnden Einfluss auf die Politik beklagt, sollten diese vielleicht heruntersteigen von der Tribüne und sich auf dem Spielfeld der Demokratie betätigen. Aber in Wahrheit wollen sie unterhalten werden und wünschen sich Gottschalk oder Jauch an der Spitze. In ihren Shows können alle gewinnen und gar Millionäre werden. Kein Wunder, dass der Mehltau über dem Land nur für vier wunderbare Wochen im Sommer weggeblasen wurde. Die Fußballweltmeisterschaft versetzte alle in Jubelstimmung - eben als Zuschauer.
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Doch was ist, wenn der Souverän sein Recht, aber auch seine Pflicht, immer weniger wahrnimmt? Wahlen werden immer häufiger zu Protestwahlen. Der Protest gegen "die da oben" äußert sich in Stimmen für extremistische Parteien, immer häufiger auch am rechten Rand, oder in Wahlenthaltung. In der Zuschauerdemokratie verlässt das Volk die Tribüne, weil es sich langweilt oder sich wegen zu vieler Fouls der gewählten Matadore abwendet. "Politik ist ein schmutziges Geschäft" – so lautete schon immer das deutsche Vorurteil. Aber wir waren uns unserer Demokratie schon einmal sicherer als heute.
Die seit gut einem Jahr regierende große Koalition ist Ergebnis freier Wahlen, nicht des Wunsches der Parteien selber. Nur ein Tor konnte erwarten, dass große Koalitionen große Politik machen. Nein, sie können sich bestenfalls auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, auf kleine Reformschritte. Kanzlerin Angela Merkel versteht sich zu Recht - nicht anders als Kurt Georg Kiesinger vor vierzig Jahren - als wandelnder Vermittlungsausschuss zwischen den sich argwöhnisch beobachtenden Koalitionspartnern. Nur mit einem deutlichen Unterschied: Heute sind auch die Großen geschrumpft und können sich kaum noch als Volksparteien betrachten. Die Parteienlandschaft gleicht heute einer Dünenlandschaft mit viel Flugsand und wenig Wurzelwerk.
Die Regierung Merkel-Müntefering hat in diesem Jahr geleistet, was man erwarten durfte, allerdings weniger, als manche zu hoffen wagten. Die Föderalismusreform als die Mutter aller Reformen war nur insofern groß, als viele Gesetze, die das Verhältnis von Bund und Ländern neu justieren sollen, geändert wurden. Schon der Streit über ein Rauchverbot belegt, dass die Ziele der Reform - nämlich klarere Kompetenzverteilung, Transparenz, Beseitigung der Reformbremsen - nicht erreicht wurden. Und der wichtigste Baustein dieser Reform, nämlich die Neuordnung der Finanzbeziehungen, wird noch lange nicht gesetzt werden können.
Die wichtigste gelungene Reform trägt die Überschrift: "Rente mit 67". In einer langen Übergangsphase wird der Entwicklung Rechnung getragen, dass die Bevölkerung immer älter wird. Deutschland ist mit den kürzesten Wochen – und Lebensarbeitszeiten der Welt und sinkender Geburtenrate nicht zukunftsfähig. Das Kardinalproblem bleibt das Missverhältnis zwischen Leistungen und Erwartungen an den Staat. Die sozialen Sicherungssysteme funktionieren nicht mehr. Der Streit über die Gesundheitsreform nährt weiter die Zweifel an der Reformfähigkeit des Landes. Und auch die Zweifel daran, ob die kleinen Schritte, die Angela Merkel zum Programm erhoben hat, wirklich in die richtige Richtung führen. Jedenfalls ist die Koalition selber ihrem Appell, mehr Freiheit zu wagen, nicht gefolgt.
Wer einen wirklich guten Eindruck von Deutschland am Ende des Jahres 2006 erhalten will, muss dieses Land offenbar von außen betrachten. Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft der Europäischen Union und der so genannten G8-Staaten ist überwältigend. Das Ausland traut uns mehr zu als wir selber. Die Lage ist eben besser als die Stimmung – Ende 2006.