Meese Superstar

Von Anette Schneider |
Binnen weniger Jahre wurde Jonathan Meese zum Superstar der Kunstszene hochgepuscht. Nun hat der bekannte Mode- und Porträtfotograf Peter Hönnemann Jonathan Meese fotografiert. Die 100 großformatigen Arbeiten zeigen einen bekannten und unbekannten Meese.
Drei mal 24 Stunden trafen sich Jonathan Meese und der Modefotograf Peter Hönnemann in dessen Studio. Drei mal 24 Stunden wollten sie alle Anstandsregeln und Schutzmechanismen fallen- und sich ganz aufeinander einlassen.

„Man ist bereit alles zuzulassen, man ist bereit alles zu geben. Und im besten Fall entsteht ein rauschhafter Zustand, der außerhalb unseres Denkens und unserer Kontrolle liegt. Und so war das zwischen uns. Wir haben uns auf eine Reise begeben, die rauschhaft wurde.“
Bis die begann, dauerte es allerdings ein bisschen. Denn erst einmal, erinnert sich Jonathan Meese, passierte rein gar nichts.
„Dann sitzt man da und ist sozusagen das Tierbaby, was fotografiert wird. Und das ist eben etwas, das man machen muss, um zu neuen Ufern zu kommen. Ich ersticke ja sonst in totaler Langeweile. Und die Sache muss ja nach vorne getragen werden. Man muss spielen.“
Das tat er dann auch. Wie, zeigen die thematisch gegliederten über 100 großformatigen Arbeiten: Meese zog Grimassen, deformierte sein Gesicht, verrenkte und verkleidete sich. Man sieht ihn als Cowboy. Als Dandy im Pelz. Beklebt mit Dollarscheinen. Mit Theaterblut übergossen und dämonisch in die Kamera blickend. Und – weil er ebenso gerne spielt wie provoziert – in SA-Uniform.
„Kunst ist ein Spiel und produziert Spielzeug. Also in der Kunst sind Waffen Spielzeugwaffen. Blut ist Kunstblut. Und Geld ist Spielgeld. Alles andere ist Kitsch und zwar Negativkitsch. Das verdeckt nur Dinge und lässt uns nicht mehr zum Kern kommen.“

Der „Kern“ ist dabei keine Kunst, die Stellung bezieht zur Welt. Keine, die Wirklichkeit durchschaubar machen möchte, und in der der Künstler Verantwortung übernimmt für sein Tun. Aufklärung und Vernunft sind für Meese Dinge von Vorgestern. Seine Vorstellung von „Kunst als Spiel“ propagiert Weltflucht: Wenn alle Welt spielen würde, so Meeses ebenso schlichte wie infantile Annahme, würd's uns besser gehen.
„Es geht darum zu spielen wie ein Kind. Ein Kind spielt ein König, das muss kein König sein. Ab einem bestimmten Alter wird uns aber immer gesagt, du musst das genau sein, was du jetzt sagst oder spielst. Und hier wird eben hemmungslos gespielt, ohne Ritual. Das ist total wichtig, wir haben das Spielerische verloren, deshalb sind wir auch so humorlos geworden.“

Wer jetzt einwendet, angesichts der herrschenden Realität kann einem das Lachen auch schon mal vergehen, der liegt – nach Meese – falsch. Der muss – nach Meese – einfach mehr spielen: Raus aus der Wirklichkeit. Rauf auf die Bühne der Kunst. Und schon wird auch die Realität besser.
„Auf der Bühne wird eine Waffe zu einer Spielzeugwaffe. Die kann mir nichts anhaben. Und deshalb müssen wir alle Waffen einsammeln und zu Spielzeugwaffen ummodellieren. Das geht ganz einfach. Kostet halt ein bisschen. Dann können wir die in der Wüste plazieren und dann kann jeder damit spielen. Wir wollen aber immer Realität erleben.“

Also lassen wir die Realität für einen Moment außen vor: Ignorieren wir großzügig Arbeitsalltag, Familie und monatliche Mietzahlungen. Tun wir, als gäbe es den Irakkrieg nicht. Interessieren wir uns nicht weiter für gesellschaftliche Angelegenheiten. Sehen wir davon ab, dass Wirklichkeit veränderbar ist. Verschließen wir die Augen vor der Realität und – spielen.
„Da werden Masken, da werden Schwerter, da werden Pistolen verteilt, und da können alle mal übereinander herfallen. Und in dem Moment, wo wir das tun, glaube ich, ... Wenn sich der Mensch da wirklich mal in dieser Welt, die von Angst und im Namen von Sicherheit kontrolliert wird immer mehr, immer enger wird, immer weniger Freiheit zulässt, ich glaube, dass der Mensch einfach nicht mehr zu sich selber kommt. Er kommt nicht mehr zu seinem Sein, wenn er sich nicht mal austoben kann.“
1. Semester Psychologie, Arbeitsthema Aggressionsabbau – vorgestellt als Kunstphilosophie und Kern von Meeses und Hönnemanns Vorstellungen. Entsprechend tobte Meese sich vor Hönnemanns Kamera aus und war dem Freund dankbar für drei mal 24 Stunden Daseinssinn:
„Also ich hab eigentlich nur rumgehampelt. Und (mich) dann immer mal wieder in Position gebracht. Es reißt mich aus der Langeweile. Da bin ich sehr selbstbezüglich. Ich langweil mich kolossal. Ich kann kaum noch alleine sein. Aber ich möchte nur noch von Chefs umgeben werden, die mir genau sagen, was ich zu tun hab. Ich bin so verunsichert in dieser Realität da draußen. Und wenn mir jemand als Chef eine Bühne zur Verfügung stellt, dann mach ich da gerne was.“
Etwa in eine Königsrobe schlüpfen, oder eine SA-Uniform. Jesus spielen und den Teufel. Seinen Körper mit Wasser übergießen und mit Lichtreflexen arbeiten. Schließlich ist die Welt sooo langweilig. Hatte Meese sich während der ersten Session verkleidet, begann er in den anderen beiden mit seinem Körper zu spielen: er grimassierte, deformierte sein Gesicht, verrenkte sich. Hönnemann fotografierte all dies mit Filmlicht, dass Bewegungen nicht einfriert, sondern verschleift. So entstanden animalische, verschwommen-geisterhafte Wesen. Bilder, in denen es nicht mehr um Meese geht, sondern um Form und die Auflösung von Form. Das ist als Kunstthema zwar noch älter als die Vorstellung, alle Kunst müsse Spiel sein – immerhin sind diese Arbeiten aber wenigstens formal ganz nett anzusehen.