Meeres-Tribunal

Die Ruhe vor dem (An)sturm

Von Johannes Kulms · 24.02.2014
Die Verhandlungen über die Festsetzung von Greenpeace-Aktivisten auf der Arctic Sunrise in der russischen Barentssee im Herbst 2013 hat dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg Aufmerksamkeit beschert. Insgesamt steigt seine Bedeutung - doch in der Stadt Hamburg ist das noch nicht angekommen.
Der Ort, an dem vor kurzem über die Freigabe des Greenpeace- Schiffs Arctic Sunrise verhandelt wurde, liegt in einem ruhigen Wohngebiet im Hamburger Elbvorort Nienstedten. "Seniorenwohnanlage" steht auf einem Schild. Kleine reetgedeckte Häuser wechseln sich mit Villen und Wohnsiedlungen ab.
Friseurin: "Wir merken nicht viel vom Seegerichtshof. Zweimal im Jahr kommt der Herr Oberrichter zu uns zum Haareschneiden - und mehr nicht." (lacht)
Eine Sonderbehandlung bekommen Mitarbeiter des Seegerichtshofes aber nicht in dem Friseursalon in der Seitenstraße. Jeder werde hier gleich behandelt, egal ob arm oder reich, sagt die Eigentümerin. Aber so ein internationales Gericht in der unmittelbaren Nachbarschaft…
"Das ist mir egal. Nur wenn jemand fragt, wo haben Sie Ihr Geschäft, dann können wir sagen, beim Seegerichtshof." (lacht)
Seit 1996 gibt es den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. Seit Sommer 2000 residiert er hier am Elbufer. Über 30.000 Quadratmeter ist das Grundstück groß. Das Gericht selber besteht aus einem großen, modernen Glasbau. Daran schließt sich die Villa Schröder an. Zu dem Gerichtsgelände gehört auch ein wunderschöner Park mit alten Eichen.
Das Gelände ist eingezäunt und wird durch Kameras überwacht. Besucher müssen zunächst durch eine Sicherheitsschleuse. An den Scheiben des Pförtnerhäuschens macht sich an diesem Morgen Fensterputzer Ingo Kujas mit einem Kollegen zu schaffen.
"Ja, also wir sind ja, glaube ich, schon vier Jahre hier und putzen da jede sechs Wochen, damit das schön aussieht. Heute machen wir nur Security und Eingang."
Wir kommen immer vor den Verhandlungen zum Fensterputzen, denn wir wollen ja nicht stören, meint Kujas. Er ist gebürtiger Hamburger und stolz darauf, dass der Internationale Seegerichtshof in seiner Heimatstadt sitzt. Was dort aber genau verhandelt wird - Kujas muss nachdenken.
"Die hätten nur noch mehr zu Piraterie machen sollen. Weil es ist ja interessant, spannender als nur… äh, wie heißt das? Was machen die noch? Ich komme jetzt nicht drauf."
Einziges Gericht in Deutschland mit Livestream
Ist die Sicherheitsschleuse einmal passiert, hat man auch die Bundesrepublik verlassen: Nun wandelt man über internationales Territorium und findet sich vor einem hohem, verglasten Eingangsportal wieder. An einem Fahnenmast weht die Flagge des Tribunals: Eine Waage, unter der die Wellen schwappen.
Wer das erste Mal den Bau betritt, mag sich zunächst ein wenig an ein Museum erinnert fühlen: Die große Eingangshalle ist fast leer, nur zur Rechten fällt das große Schiffsmodell auf: Die „Wappen von "Hamburg I", ein prächtiges Segelschiff, das im 17. Jahrhundert die Handelswege von Hamburger Unternehmen sicherte. Hinter dem Empfang öffnet sich eine weitere Halle. Auffällig sind vor allem zwei Sachen: Es ist ziemlich ruhig. Und man sieht kaum Menschen. Dann öffnet sich eine kleine Seitentür.
Julia Ritter ist die Sprecherin des Internationalen Seegerichtshofes und führt durch das Gebäude. Heute sei es hier sehr ruhig, aber das sei keineswegs der Dauerzustand im Gerichtskomplex am Elbufer.
"Also, wenn wir Verhandlungen haben und 250 Besucher haben und 80 Anwälte und die 21 Richter plus die 34 Mitarbeiter, die Dolmetscher, die Stenographen, dann sieht man, dass die Architektin Recht hatte, dass das Gebäude so groß sein musste, um alles unter ein Dach zu bekommen."
Aus der Eingangshalle geht es hoch in den Gerichtssaal. Still und verlassen liegt der kreisrunde Raum da. Das war vor wenigen Monaten noch ganz anders.
"Beim Arctic Sunrise war es natürlich voll, wir hatten 20 Kamerateams hier und über 100 Leute von der Presse. Und dazu die Studenten und ein paar Nachbarn aus Nienstedten."
Journalisten scharen sich um den Greenpeace-Geschäftsführer.
Der Greeenpeace-Geschäftsführer, Kumi Naidoo (M.) gibt ein Statement im Internationalen Seegerichtshof.© dpa
Wer es damals nicht in den Saal geschafft hat, konnte die Verhandlungen trotzdem verfolgen: Der Seegerichtshof ist wohl das einzige Tribunal in Deutschland, dessen Prozesse per Livestream im Internet übertragen werden. Transparenz ist uns wichtig, sagt Sprecherin Julia Ritter.
39 Schritte braucht man, um das gewaltige halbrunde Tischpodest abzuschreiten, auf dem die 21 Richter aus fünf Kontinenten bei den Verhandlungen sitzen. Auf jedem Platz liegt ein Zettel mit dem Namen des Juristen. Doch die Stühle bleiben an diesem Vormittag leer. Bis auf den japanischen Gerichtspräsidenten sind alle anderen 20 Richter nicht dauerhaft in Hamburg. Gibt es einen Fall, werden sie aus der ganzen Welt eingeflogen.
Lange Zeit war die Zahl der Fälle recht übersichtlich – etwa einer pro Jahr. Die unregelmäßige Präsenz der Richter, die niedrige Fallzahl – all dies hat gerade in den Anfangsjahren des Gerichtes immer wieder für Kritik gesorgt.
"Die internationale Presse ist sehr interessiert an unserer Arbeit, in Hamburg ist man vielleicht eher etwas zurückhaltend. Der Neubau hier war ein Geschenk von Hamburg und von Deutschland. Und für die Nachbarn – sie denken vielleicht eher an die Kosten und nicht an das, was wir machen: Dass wir seerechtliche Streitigkeiten auf eine friedliche Art und Weise schlichten."
21 Richter gibt es am Internationalen Seegericht, dazu kommen noch einmal 35 Beschäftigte aus 19 unterschiedlichen Ländern, die dauerhaft am Tribunal arbeiten: Zum Beispiel in der Rechtsabteilung, im Übersetzungsservice, in der Bibliothek oder beim Wachdienst.
Knapp zehn Millionen Euro stehen dem Gericht jedes Jahr zur Verfügung. Finanziert wird das Budget durch die 166 Mitgliedsstaaten des Seegerichtshofes. Lediglich die Baukosten des Tribunals in Höhe von rund 60 Millionen Euro wurden damals von der Bundesrepublik und der Stadt Hamburg getragen.
Arctic Sunrise war eine gute Werbung
"My name is Shunji Yanai. I am the President of the International Tribunal of the Law of the Sea."
Seit Oktober 2011 ist Shunji Yanai Präsident des Internationalen Seegerichtshofes, im September geht sein dreijähriges Mandat zu Ende. Yanai ist ein freundlicher Mann. Als das kleine Stativ für das Mikrofon etwas wackelt, eilt der 77-jährige Japaner zu seinem Bücherregal und kommt mit einem Französisch-Wörterbuch zurück, um das Stativ zu stabilisieren. Aber es geht auch so. Nicht nur beruflich hat der Gerichtspräsident mit dem Meer zu tun.
"Ich segele gerne, habe aber kein eigenes Boot. Aber ich habe Freunde in Japan, die Boote haben. Tokyo ist sehr interessant, da gibt es viele gute Plätze zum Segeln."
Yanai war Botschafter in Washington und stellvertretender japanischer Außenminister. Dass das Gericht zu teuer sei und kaum Fälle behandele, weist Yanai entschieden zurück. Wenn zwei Staaten in einem Seerechtskonflikt ein Schiedsgericht einschalten, werde das schnell teuer, sagt der Völkerrechtler. Am Seegericht in Nienstedten zahlten die 166 Vertragsstaaten dagegen keinen Cent.
"Das Gewicht des Seegerichtshofes ist in den letzten Jahren gestiegen. Im Vergleich zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag sind wir natürlich ein junges Gericht. Aber jetzt, wo wir eine ganze Reihe von Urteilen gesprochen haben, sind wir in der Staatenwelt auch bekannter geworden."
Mittlerweile behandelt das Gericht zwei bis drei Fälle pro Jahr. Vier bis fünf Fälle könne man hier am Elbufer auf jeden Fall im Jahr stemmen, sagt der Gerichtspräsident.
"Nicht nur die Zahl der Fälle steigt, sie werden auch immer vielfältiger. Früher waren es vor allem Schiffsfreigaben. Nun kümmern wir uns um die Seegrenzstreitigkeiten, wie der Fall zwischen Bangladesch und Myanmar vor kurzem gezeigt hat. Zudem hat uns die westafrikanische Staatengemeinschaft um eine Einschätzung zur illegalen Fischerei gebeten.“
Natürlich sei die kürzlich in Nienstedten verhandelte Freilassung der Arctic Sunrise eine gute Werbung für sein Gericht gewesen, meint Yanai. Auch wenn er es etwas anders formulieren würde.
(lacht) "Wir machen nicht so viel Werbung. Aber es stimmt schon, dass über diesen Fall viel berichtet wurde. Wahrscheinlich lag es daran, dass mit Greenpeace eine sehr berühmte Organisation beteiligt war. Natürlich freut uns diese Aufmerksamkeit."
Nur einen Steinwurf vom Gericht entfernt liegt unten am Elbufer das Restaurant "Elv". Mitarbeiter des Seegerichtshofs seien hier regelmäßig zu Gast, sagt Inhaber Naim Salihu. Was hier auf die Teller kommt stammt vor allem aus dem Meer.
"Querbeet aber hauptsächlich Fisch, viel Fisch. Der Hamburger Pannfisch ist hier sehr beliebt."
Besonders viel zu tun hatte das Restaurant vor ein paar Monaten bei der Arctic-Sunrise-Verhandlung – da kamen viele niederländische Gäste, sagt Salihu. Der Restaurantleiter freut sich darüber, dass das Gericht mehr Fälle hat – denn das bringt ihm mehr Kundschaft. Ein spezielles Seegerichtshofmenü hat er aber noch nicht im Angebot.
"Nee, nee. Vielleicht beim nächsten Prozess wie bei den Greenpeace-Aktivisten, da werde ich vielleicht schon für sorgen, dass man diesbezüglich auch ein Menü anbieten kann. Aber da muss man sehen, zu welcher Seite man das Menü anbietet. Und ich denke mal, man bleibt doch neutral und bietet Hamburger Pannfisch oder Zanderfilet bei uns auf der Karte und dann können das beide Parteien genießen."
Wachsende Bedeutung des Gerichtshofs
Kompetenz zum Thema Seerecht findet man aber nicht nur am Elbufer, sondern auch in der Hamburger Innenstadt. Prof. Doris König ist Juristin und seit 2012 Präsidentin der Bucerius Law School. Das Seerecht zählt zu einem ihrer Spezialgebiete.
"Es gibt nicht viele Städte, in denen internationale Gerichte ihren Sitz haben. Das ist eigentlich Den Haag hauptsächlich. Und dann kommt eben Hamburg mit dem Internationalen Seegerichtshof. Ich denke schon, dass die Stadt darauf stolz sein könnte."
Grenzt ein Staat an ein Meer, hat er automatisch auch gewisse Rechte über dessen Nutzung. Die Frage, wem die Ozeane eigentlich gehören, lässt sich aber nur schwer beantworten, sagt König.
"Das Meer ist eigentlich ein staatsfreier Raum aber es gibt eben Meereszonen, in denen die Staaten souveräne Nutzungsrechte erhalten haben. Das betrifft insbesondere Fischerei und die Ausbeutung von Bodenschätzen, Öl und Gas. Auf der hohen See gilt das sogenannte Flaggenstaatsprinzip. Das heißt, die Schiffe unterliegen der Rechtsordnung des Staates, dessen Flagge sie führen. Und die hohe See gehört niemandem."
Das Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise" in der Petschorasee.
Das Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise"© picture alliance / dpa
All diese Aspekte werden zusammengefasst durch die UN-Seerechtskonvention, der auch der Hamburger Seegerichtshof seine Existenz verdankt. Mit über 300 Artikeln ist die Seerechtskonvention das umfangreichste Werk, das jemals im Völkerrecht zu Stande gekommen ist. 1973 hatten die Verhandlungen darüber begonnen, 1982 stand die Konvention.
"Mehr oder weniger alle Staaten waren dabei, auch NGOs. Es ist ein unglaubliches Werk gewesen, alle Interessen in Ausgleich zu bringen und zu diesem Abkommen zu kommen.
Aber erst 1994 konnte die UN-Seerechtskonvention in Kraft treten, denn solange brauchte es, um das Quorum von 60 Beitrittsstaaten zusammenzuhaben. Heute sind 166 Staaten der Konvention beigetreten. Als einzige internationale Organisation ist auch die EU dabei.
Gibt es Streit über die Auslegung des Seerechtsübereinkommens, können sich zwei Staaten an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, an ein Schiedsgericht oder aber an den Seegerichtshof in Hamburg wenden. In Hamburg können aber auch bilaterale Abkommen verhandelt werden. Und: Anders als beim IGH in Den Haag können nicht nur Staaten den Seegerichtshof anrufen.
"Der IGH ist ein reines Staatengericht. Während der Seegerichtshof eben auch für diese Streitfälle zwischen Unternehmen und Meeresbodenbehörde die Meeresbodenkammer vorsieht."
Weil die Fragen beim Seerecht immer dringender werden, sieht Doris König auch die Stellung des Seegerichtshofes wachsen. Denn Umwelt- und Naturschutzfragen mit Blick auf das Meer werden immer wichtiger. Kann ein Staat haftbar dafür gemacht werden, wenn ein Fischtrawler unter seiner Landesflagge vor einer fremden Küste illegal tausende Tonnen Fisch aus dem Wasser holt? Genau so eine Anfrage der westafrikanischen Staatengemeinschaft liegt derzeit dem Tribunal zur Beurteilung vor.
Und nicht zuletzt sind es die knapper werdenden Ressourcen, die dem Gericht in Zukunft noch mehr Fälle bescheren werden. Denn auf Streitigkeiten beim Meeresbergbau ist man in Nienstedten besonders gut vorbereitet.
"Das wird vielleicht noch ein paar Jahre dauern, aber es gibt jetzt erste Konzessionen. Da geht es gar nicht so sehr um die Manganknollen, sondern um andere Metalle, die auch wohl leichter abbaubar sind. Und da wird es garantiert Streitigkeiten geben, die dann nur vor den Seegerichtshof gehen werden, weil der diese Meeresbodenkammer hat."
Man merkt Doris König schnell an, dass sie eine leidenschaftliche Verfechterin des Seegerichtshofes ist. Genau dies vermisst sie bisweilen bei der Politik.
"Deutschland hat sich damals sehr rausgehängt, um dieses Gericht zu erhalten. Da gab es ja durchaus Wettbewerber. Und im Grunde genommen denke ich schon, dass die Stadt es auch immer wieder herausstellen sollte, dass Hamburg Sitz des Internationalen Seegerichtshofes ist. Ich würde mir auch von den politischen Verantwortlichen da etwas mehr Begeisterung wünschen."
Gut für die Internationalität Hamburgs
Auf den Straßen der Innenstadt stößt man bei der Frage nach dem Internationalen Seegerichtshofes immer wieder auf Stirnrunzeln.
Mann:"Kenne ich nicht, sagt mir gar nichts."
Autor: "Kennen Sie ihn?"
Tourist: "Non. Something about trading?"
Autor: "Macht Sie das stolz, dass es in Hamburg so ein Gericht gibt?"
Frau: "Ist mir ehrlich gesagt egal. Ist zwar schön. Aber ob wir es haben oder nicht – ich weiß es nicht."
Jörg Schmoll: "Also, Hamburg ist eine Seehandels- und Hafenstadt. Und so etwas wie der Internationale Seegerichtshof passt natürlich gut hierher. Darüber freut sich der Hamburger Senat."
Es war schwieriger als gedacht, ein Statement aus der Hamburger Justizbehörde oder der Senatskanzlei zu erhalten. Nicht, dass man über den Seegerichtshof nicht sprechen wolle. Aber über die Bedeutung, das Prestige für Stadt? Da bildete man sich schnell am Telefon ein, den einen oder anderen Achselzucker zu vernehmen. Jörg Schmoll, stellvertretender Sprecher des Hamburger Senats, versucht es:
"Wirtschaftlich ist es schwer zu beurteilen. Klar ist auch, dass es eine gewisse rechtswissenschaftliche Bedeutung hat. Es bündelt die weltweite seerechtliche Kompetenz, die Richter haben eine besondere Qualifikation. Der Gerichtshof wird auch begleitet und gefördert durch die Internationale Stiftung für Seerecht durch Symposien oder die jährlich stattfindende Sommerakademie."
Ob der Internationale Seegerichtshof nicht auch eine Einrichtung sei, die sich aus Hamburger Sicht gut vermarkten ließe?
"Hamburg hat viel zu bieten, unter anderem auch ein Seegerichtshof. Aber natürlich als starke Handelsmetropole in Nordeuropa mit ganz viele wichtigen Einrichtungen, natürlich auch als Verkehrsdrehscheibe."
Burghard v. Cramm:"Hamburg ist wirklich international. Wir machen hier immer ein Späßchen und sagen und das gilt immer noch: Wenn es in London regnet, spannt der Hamburger den Regenschirm auf. So eng sind die Verbindungen nach Skandinavien, England und nach Amerika."
Anzug und Krawatte - Burghard von Cramm sieht so aus, wie viele sich einen hanseatischen Kaufmann vorstellen. Von Cramm ist Geschäftsführer des Übersee-Clubs. Der Club wurde 1922 gegründet um "die Stellung Hamburgs in der Welt zu fördern" und ist einer der wichtigsten Treffpunkte Hamburger Kaufleute und des Bürgertums. Beheimatet ist der Übersee-Club in einem weißgetünchten Palais aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – direkt an der Binnenalster.
In der Halle des Übersee-Clubs ist das Licht gedämpft. Der Boden ist mit einem dicken Teppich ausgelegt, überall im Raum stehen dunkle Ledersofas und Sessel. Ein äußerst höflicher Kellner im Anzug bringt Kaffee. Ich bin Kaufmann und kein Seerechtler, sagt von Cramm. Aber natürlich kenne ich den Seegerichtshof.
"Ich wohne in Rissen und fahre da jeden Tag dran vorbei. 'Ne wunderschöne Lage, 'n wunderschönes Gebäude. Wir hatten im Jahr 2008 den Vorsitzenden des Seegerichts hier zum Vortrag. Weil in der Zeit die Situation sehr kritisch war unserer Hamburger Schiffe speziell vor Somalia, die also auch dauernd überfallen wurden. Und dazu haben wir hier einen Vortrag gehabt, was kann der Seegerichtshof tun."
Im Übersee-Club trifft sich das Who is Who der Hamburger Wirtschaft. Dass das Gericht der Stadt wirtschaftliche Vorteile bringe, glaubt von Cramm nicht. Aber es hebe die Internationalität von Hamburg. Und daher sei das Geld, das die Bundesrepublik und die Stadt Hamburg damals für den Bau des Gerichtskomplexes beigesteuert hätten, auch gut angelegt.
"Denn Hamburg muss ja auch, wenn es diesen Seegerichtshof hat, etwas dafür tun. Das ist gar kein Zweifel. Aber dieses Seegericht finanziert sich vollkommen allein, dafür braucht es Hamburg nicht."
"Wir sind eher noch ein Baby!"
Zurück im Seegerichtshof in Nienstedten, der immer noch ziemlich ruhig daliegt. Wer durch die Eingangshalle und am Kaffeeautomaten vorbeiläuft, fühlt sich keineswegs in hektische Stimmung versetzt. Aber der Eindruck trügt, denn hinter den Kulissen wird bereits ordentlich am nächsten Fall gearbeitet: In diesem Frühjahr sollen die Richter ihr Urteil in einem Rechtsstreit zwischen Panama und Guinea-Bissau sprechen.
Yara Saab: "Dieses Gericht ist noch nicht mal 20 Jahre alt, wir sind eher noch ein Baby!"
Yara Saab ist libanesisch-venezolanischer Herkunft. Sie arbeitet seit eineinhalb Jahren als Juristin im Sekretariat des Seegerichtshofes. Sie fühlt sich in Hamburg wohl – und staunt über das Arbeitstempo des Seegerichtshofes.
"Die internationale Gemeinschaft sollte dieser Institution ein gewissen Vertrauen entgegenbringen. Ich selber arbeite erst seit eineinhalb Jahren hier beim Seegerichtshof. Und in dieser Zeit habe ich mit fünf Fällen zu tun gehabt. Für ein internationales Gericht ist das enorm! Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, dass das hier kein kleines isoliertes Gericht ist, das sein Geld auch wert ist."
Gerichtspräsident Yanai glaubt, dass die Hamburger stolz darauf seien, Sitz des Internationalen Seegerichtshofes zu sein.
"Das denke ich schon. Aber selbst die Menschen von hier wissen nur wenig über das Gericht. Wir müssen mehr dafür tun, um das Gericht bekannter zu machen. Dafür nutze ich jede Gelegenheit. Morgen zum Beispiel werde ich ein Gymnasium besuchen."
Unten auf der Elbe zieht langsam ein riesiger roter Container-Frachter vorbei, hinter ihm und vor ihm ein Schlepper. Ob der Container-Kapitän es weiß oder nicht: Über ihm thront der Seegerichtshof.
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