Medizinnobelpreis-Träger James P. Allison

Krebs mit körpereigenen Immunzellen bekämpfen

James P. Allison
Nobelpreisträger James P. Allison forscht an der University of Texas in Austin. © imago/University of Texas/MD/Anderson Cancer Center
Von Michael Lange · 04.10.2018
Körpereigene Immunzellen stürzen sich auf Tumorzellen. Schon vor mehr als 100 Jahren gab es diese Idee. Der Durchbruch ist aber den Forschern James P. Allison und Tasuku Honjo gelungen, die dafür jetzt den Nobelpreis für Medizin erhalten haben.
Krebs ist eine tückische Krankheit. Horst Beck, ein Mann Mitte 60 mit grauem Vollbart, weiß das. Er leidet an Lungenkrebs und wird in Heidelberg behandelt am Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen.
"Im Moment bin ich an einer Studie beteiligt, weil die Chemotherapie nichts mehr genutzt hat. Ich bin da, mir geht es gut, meine Lebensqualität ist gestiegen, ganz schön gestiegen sogar. Und das ist in Ordnung für mich."
Horst Beck erhält eine Immuntherapie mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren. Dabei soll sein Immunsystem aufgeweckt werden, damit sich die körpereigenen Immunzellen auf die Tumorzellen stürzen.
Die Idee ist alt. Paul Ehrlich hat sie schon vor über hundert Jahren formuliert. Aber erst jetzt gibt es erste Erfolge. Folgerichtig haben daher zwei Pioniere dieser Therapie den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten. Einer der beiden ist der 70-jährige James P. Allison aus den USA.
"Mich fasziniert das Immunsystem, weil es uns dermaßen gut vor allem Möglichen schützen kann."

Mutter und Bruder starben an Krebs

Schon im Alter von zehn Jahren verlor James P. Allison seine Mutter. Sie war an Krebs gestorben. Später starb dann auch sein Bruder an Krebs. Grund genug für James P. Allison, Mikrobiologie zu studieren und Wissenschaftler zu werden.
An Krebsforschung war der junge Allison zunächst wenig interessiert. Aber das Thema packte ihn dann doch, als er in den 1980er- und 90er-Jahren an der Universität von Kalifornien in Berkeley arbeitete. Er wollte wissen, wie bestimmte weiße Blutzellen des Immunsystems gesteuert werden: die sogenannten T-Zellen. Dabei stellte er fest, dass diese Zellen häufig durch molekulare Bremsen blockiert werden. Die Bremsen verhindern eine wirksame Aktivierung der Immunzellen gegen Krebs.
Allison war klar: Er musste die Bremsen lösen, damit die T-Zellen die Krebszellen bekämpfen. Er suchte und fand die Checkpoints, die Kontrollpunkte. Sie steuern die Bremsen. Und der Mikrobiologe fand Antikörper. Das sind die "Checkpoint-Inhibitoren". Sie treten in Verbindung mit den Checkpoints und lösen die Bremsen.
Genau diese Therapie lässt Horst Beck gerade über sich ergehen. Er sitzt in einem Behandlungsstuhl und eine farblose Flüssigkeit läuft in seine Venen. Alles wird von einer Krankenschwester überwacht.
Beck: "Der kleinzellige Krebs, den ich habe, das ist halt ein schlimmer Finger. Man hat ja gesehen, dass die Chemotherapie nicht mehr geholfen hat."
Krankenschwester: "Wir machen jetzt eine Nachbeobachtungszeit von zwei Stunden, um mit Sicherheit auszuschließen, dass es jetzt noch zu irgendwelchen Nebenwirkungen kommt."

Forschte zunächst an Mäusen

James P. Allison erforschte seinen neuen Therapieansatz zunächst an Mäusen. Die Experimente begannen in den 1980er-Jahren und dauerten viele Jahre. Die erste klinische Studie machte Allison mit Patienten, die am schwarzen Hautkrebs litten. Zu Begeisterungsstürmen neigt Allison eigentlich nicht, aber jetzt stand fest: Er hatte etwas Besonders entdeckt.
Allison: "Die Studie begann 2001. Wir hatten nicht damit gerechnet, eine klinische Wirkung zu sehen. Doch von den 14 Patienten, die wir behandelten, schrumpften bei dreien die Tumoren. Das war sehr ungewöhnlich. Damit war klar, dieser Wirkstoff ist anders als andere."


Eine ähnliche Idee wie James P. Allison in Kalifornien verfolgte Tasuku Honjo in Japan an der Universität von Kyoto. Er entdeckte eine weitere Bremse an den Immunzellen, und ihm gelang es, diese zu lösen, so dass das Immunsystem seiner Patienten die Krebszellen bekämpfte. Auch in Japan verliefen klinische Studien erfolgreich.
Der Hype war da. Immuntherapien gegen Krebs wurden zum großen Hoffnungsträger. Goldgräberstimmung machte sich breit. Aber James P. Allison blieb ruhig. Immer wieder war er es, der seine Kollegen zur Zurückhaltung mahnte.
"Die Ergebnisse aus klinischen und präklinischen Studien mit neuen Substanzen und neuen Kombinationen kommen gerade so schnell raus, dass wir Forscher nicht mehr hinterherkommen. Das ist beschämend. Bei vielen Wirkstoffen, die gerade durch die Entwicklungsstufen für Medikamente gebracht werden, haben wir keine Ahnung, warum und wie sie funktionieren."
Seitliches Porträt von Tasuku Honjo vor schwarz-braunem Hintergrund.
Tasuku Honjo erhält den Nobelpreis für Medizin 2018.© picture alliance / AP Images / Kenichi Unaki

Immuntherapie wirkt nicht bei allen Patienten

Es bleiben viele offene Fragen. Bei manchen Patienten wirkt die neue Immuntherapie, bei anderen nicht. Krebs bleibt eine heimtückische Krankheit, und von Heilung kann auch bei den neuen Verfahren keine Rede sein. Horst Beck hat das in seinem Umfeld miterlebt.
Beck: "Es gibt Leute, denen geht es gut, und auf einmal sieht man sie nicht mehr. Dann fragt man, und dann: Ach ja, die sind gestorben. Ich fühl mich auch jetzt nicht sicher. Es ist OK, aber wenn es zurückkommt, dann kann ich nichts machen. Aber erstmal sag ich: Das Ding ist Bombe, was sie dir da reingeschafft haben. Also gut."
Die beiden frisch gekürten Nobelpreisträger wollen weiter forschen. James P. Allison ist inzwischen selbst an Krebs erkrankt. Sein Blasen- und Prostata-Krebs wurde operiert und behandelt, bislang ohne die von ihm mitentwickelte Checkpoint-Therapie. Er hat noch viel Energie. Als 70-Jähriger arbeitet er am Anderson Cancer Center der Universität in seiner Heimatstadt Houston in Texas. Und er spielt Mundharmonika gemeinsam mit Freunden und Kollegen in einer Bluesband, natürlich mit dem Namen: The Checkpoints.
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