Medizinische Forschung

Hilft Methadon gegen Krebs?

Methadonfläschchen in der Hand eines Drogenpatienten
Methadonfläschchen in der Hand eines Patienten: Eine Ulmer Wissenschaftlerin kämpft für die weitere Erforschung des Schmerzmittels. © imago / bonn-sequenz
Von Margrit Braszus · 03.05.2018
Methadon kann Krebszellen abtöten: Das fand die Wissenschaftlerin Claudia Friesen bei rechtsmedizinischen Forschungen an der Uniklinik Ulm heraus. Ob sich das Schmerzmittel deshalb gut für die Behandlung von Tumoren eignet, ist allerdings noch nicht klar.
Vor zwei Jahren erhielt Sabine Kloske eine schockierende Diagnose. Ärzte hatten bei ihr einen Hirntumor entdeckt, ein sogenanntes Glioblastom:
"Ich habe die ersten Wochen auf meiner Couch gelegen und habe nur geheult, mit meinem Mann zusammen und alleine, mit meinen Eltern, das war ganz furchtbar."
Der bösartige Tumor würde schnell und unaufhaltsam wachsen, wurde der 36-Jährigen erklärt. Ihre Überlebenschance sei äußerst gering. Sabine Kloske hat mittlerweile die prognostizierte Lebenszeit um das Doppelte überlebt. Der Tumor wurde entfernt, seither nimmt sie regelmäßig das Schmerzmittel Methadon ein, zweimal täglich 35 Tropfen:
"Durch das Methadon habe ich erst wieder Hoffnung geschöpft. Und habe gedacht: Ok, ich muss jetzt nicht aufgeben, und ich falle jetzt doch nicht innerhalb eines Jahres tot um, sondern ich bleibe noch da, und ich werde vielleicht sogar wieder gesund. Meine große Hoffnung ist, dass ich irgendwann mal gesagt bekomme: Frau Kloske, Sie sind geheilt."

Forschungsergebnisse einer Ulmer Wissenschaftlerin

Dass Methadon Krebszellen abtöten kann, fand die Wissenschaftlerin Claudia Friesen heraus, die in der Rechtsmedizin der Ulmer Universitätsklinik zu Krebs forscht:
"Ursprünglich wollten wir im Labor die Mechanismen von Opioiden, Opiaten untersuchen. Und das erste Mal sind mir dann mit Methadon diese Leukämiezellen gestorben. Ich dachte damals, das wäre ein Fehler, ich habe das ein paar Mal wiederholt, und kam immer wieder zum gleichen Schluss, und das war eigentlich so die Geburtsstunde von Methadon im Einsatz in der Onkologie."
Von 24 Patienten mit Hirntumor dokumentierte Claudia Friesen den Krankheitsverlauf. Sie hatten neben der Chemo- und Strahlentherapie zusätzlich Methadon bekommen, wie beispielsweise dieser Patient.
"Das ist ein Hirntumor-Patient, der hatte das Rezidiv entwickelt, dieser Patient wünschte sich die Therapie zusammen mit Methadon. Und der Tumor ist dann so drastisch zurückgegangen, dass er nach einem halben Jahr in Komplettremission war, das heißt, dass dann der Tumor dann weg war."
Über einhundert dokumentierte Fallbeispiele würden inzwischen belegen, dass Tumore zurückgegangen oder komplett verschwunden seien, wenn zusätzlich Methadon gegeben wurde, versichert Claudia Friesen.

Ein Hirntumorspezialist widerspricht

"Mir sind keine Fälle bekannt, bei denen Patienten eine relevante Besserung der Erkrankung, die dann auch belegbar ist, durch Methadon erhalten haben."
Sagt Wolfgang Wickert, Hirntumorspezialist am Universitätsklinikum Heidelberg, und Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft:
"Also wir verschreiben unseren Patienten systematisch kein Methadon, und wir raten den Patienten ganz explizit davon ab. Wir sind der festen Überzeugung, dass es den Patienten nicht hilft."
Die schmerzstillende Wirkung von Methadon wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entdeckt. Seit 1947 ist es weltweit als Schmerzmittel zugelassen. Vor allem in der Palliativmedizin wird es häufig eingesetzt.

Beobachtungen bei der Schmerzbehandlung im Hospiz

Arzt: "Tag Theo, wie geht's dir denn heute?"
Patient: "Tag Herr Doktor, mir geht's gut."
Hugo Hilscher, der in Iserlohn ein Hospiz leitet, behandelt seit vielen Jahren seine Krebspatienten zusätzlich mit Methadon:
"Da wir hier im Hospiz alle Patienten mit Methadon behandeln gegen ihre Schmerzen, ist uns aufgefallen, dass die Patienten hier deutlich länger leben als ihnen die Diagnose eigentlich zugesteht.
Es gab eine ganze Reihe von Patienten, bei denen das sehr, sehr gut gewesen ist. Es sind auffällig häufige Zusammenhänge zwischen Komplettremission vorher Chemo-resistenter Tumoren unter Methadon, und das lässt aufhorchen und zumindest glauben, dass der Zusammenhang nicht nur zufällig ist, sondern ursächlich."

Weichen für klinische Studien gestellt

Die Weichen für klinische Studien zu Methadon sind inzwischen gestellt. Dafür hat Forscherin Claudia Friesen gesorgt, indem sie Ärzte und Spezialisten aufgerüttelt hat, sich mit dem "alt bekannten Schmerzmittel" Methadon auseinanderzusetzen.
Unermüdlich ist sie bundesweit unterwegs, hält Vorträge zu ihren Forschungsergebnissen vor Fachpublikum.
Arzt: "Ich bin Ärztin, ich habe eine gute Freundin, die mit Methadon eingestellt wurde bei einer Krebserkrankung, und kann dann nur aus Erfahrung sagen, es hat sehr, sehr viel besser gewirkt, als wenn sie mit anderen Sachen eingestellt worden wäre."
Arzt: "Ich bin Arzt und, und ich bin froh über jedem Strohhalm bei Tumorpatienten, die sehr schwierig zu behandeln sind, ja natürlich gebe ich Methadon, ohne Weiteres."
Ärztin: "Von der Verträglichkeit her würde ich sagen 'positiv', also keine irgendwie gearteten negativen Erfahrungen."
Ärztin: "Wenn ich als Ärztin einen Krebs hätte, würde ich mir Methadon geben lassen."
Unter den Besuchern des Fachkongresses ist auch György Irmey von der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr:
"Ich kann dazu sagen, dass Methadon ein stark wirksames Opioid ist, wie wir auch andere Opioide kennen mit ihren Wirkungen und Nebenwirkungen. Nebenwirkungen, wie beispielsweise eine Atemdepression, das ist bei allen schweren Schmerzmitteln eine normale Nebenwirkung. Und deswegen ist es auch wichtig, jetzt Methadon nicht jedem Krebskranken zu empfehlen."
Andererseits hält es der Allgemeinarzt und Arzt für Naturheilkunde für falsch, Methadon zu verteufeln und es Krebspatienten zu verweigern, wie es einige Onkologen offenbar tun:
"Ich bin der Meinung, dass in weit fortgeschrittenen Krankheitssituationen, wo oft die Medizin auch hilflos ist und nichts mehr weiß, dass Methadon durchaus eingesetzt werden kann, weil wir dieses Medikament kennen."

Systematische Methadon-Forschung überfällig

Es ärgere ihn, erklärt der Mediziner, dass Pharmafirmen oft Millionen in die Erforschung neuer Krebsmittel steckten, Krankenkassen dann viele Millionen für neue Mittel ausgeben würden, ohne dass für die Patienten letzten Endes viel dabei heraus käme. Es sei höchste Zeit, findet György Irmey, über Methadon als wirksame Begleitsubstanz bei der Krebsbehandlung systematisch zu forschen:
"Warum sollen Ärzte in fortgeschrittenen Situationen der Erkrankung nicht Methadon einsetzen? Und dann dieses Ergebnis dokumentieren und einer zentralen Institution weitermelden. Wir haben so viele Unikliniken, so viele Institutionen, warum wird jetzt nicht begonnen intensiv zu forschen? Zumal wir die Chance haben, mit einem Mittel das ja toxikologisch erforscht ist."
Mehr zum Thema