Medizingeschichte

Ein Meilenstein im Kampf gegen Diphtherie

Der Bakteriologe Emil von Behring (undatierte Aufnahme) erhielt 1901 für seine Arbeit über die Serumtherapie (Diphtherie) den ersten Nobelpreis für Medizin. Er wurde am 15. März 1854 in Hansdorf geboren und ist am 31. März 1917 in Marburg gestorben.
Emil von Behring, der 1901 für seine Forschung zur Serumtherapie den Nobelpreis für Medizin erhielt © picture-alliance / dpa
Von Martin Winkelheide · 04.12.2015
Noch im 19. Jahrhundert starben allein in Deutschland jährlich etwa 50.000 Kinder an Diphtherie. Helfen konnten Ärzte wenig – bis Emil von Behring und Shibasaburo Kitasato eine Therapie mit Blutseren entdeckten. Am 4. Dezember 1890 veröffentlichten sie erstmals ihre Erkenntnisse zur Behandlung von Diphtherie.
Als "Retter der Kinder" wurde Emil von Behring gefeiert. Als Erfinder einer ersten Behandlung der Diphtherie – des "Würgeengels der Kinder", wie die Krankheit im Volksmund hieß.
"Die dankbare Mutter von diesen acht an Diphtherie erkrankten Kindern, bei welchen die Heilseruminjektionen großartig gewirkt haben, bittet Sie, verehrter Herr Professor, um Ihre Unterschrift auf der beiliegenden Photographie."
So dankt die Gräfin Mittrowsky aus dem böhmischen Sokolnitz dem Immunologen. Es ist eines von zahlreichen Schreiben von Eltern, deren Kinder die Diphtherie überlebt hatten.
Machen chemische Dämpfe die Menschen krank?
Emil Adolph Behring wurde am 15. März 1854 im westpreußischen Hansdorf geboren. Ein Stipendium ermöglichte ihm das Medizinstudium an der militärärztlichen Akademie. Als Behring 1878 seine Laufbahn als Militärarzt antrat, gab es in der Medizin konkurrierende Vorstellungen über die Ursachen von Infektionen:
"Noch in der Mitte des Jahrhunderts ist man davon ausgegangen – eigentlich bis in die 1880er Jahre –, dass es physikalische und chemische Dämpfe sind, die aus dem Boden kommen, die die Menschen krank machen."
Zeitgleich, so der Kölner Medizinhistoriker Heiner Fangerau, haben Wissenschaftler um Louis Pasteur in Paris und Robert Koch in Berlin bereits die Grundlagen gelegt für eine ganz neue Sichtweise:
"Es sind Mikroorganismen, Organismen, die man nur unter dem Mikroskop sieht, die Menschen krank machen. Und das war fast eine kleine Revolution."
Toxine als Krankheitsursache
1889 ging Behring als Assistent von Robert Koch nach Berlin. Er suchte zunächst nach Wirkstoffen, die Diphtherie-Bakterien abtöten. Das Problem: Viele dieser Desinfektionsmittel enthielten Arsen oder andere giftige Substanzen.
Einen Ausweg, glaubte Behring, könnte das Konzept eines Forscher-Kollegen weisen: Paul Ehrlich.
"Er hat eine Theorie entwickelt, dass es Toxine gibt, das heißt Gifte von den Mikroorganismen, die den Körper krank machen, und vom Körper gebildete Anti-Toxine, die diese Toxine wegfischen – also daran hindern, im Körper tätig zu werden. Das war damals nigelnagelneue Wissenschaft und auf die setzte Behring auf."
Warum waren Kaninchen immun gegen Diphterie?
Im Sommer 1890 begann Behring gemeinsam mit dem Japaner Shibasaburo Kitasato eine lange Versuchsreihe. Sie kultivierten Diphtherie- und Tetanus-Erreger und spritzten diese Versuchstieren ein. Viele Tiere starben. Kaninchen hingegen schienen unempfindlich zu sein. Offenbar produzierten sie Abwehrstoffe gegen das Bakterien-Gift: Anti-Toxine.
"Das Blut des tetanusimmunen Kaninchens besitzt tetanusgiftzerstörende Eigenschaften."
So Kitasatos und Behrings Befund. Ihre Studie "Ueber das Zustandekommen der Diphtherie-Immunität und der Tetanus-Immunität bei Thieren" veröffentlichten sie am 4. Dezember 1890 in der "Deutschen Medizinischen Wochenschrift". Den beiden Forschern war es auch gelungen, das Anti-Toxin aus dem Blut der Kaninchen zu isolieren. Tieren, die das Anti-Toxin bekamen, konnten Tetanus-Erreger nichts mehr anhaben.
"Bei beiden Infectionskrankheiten ist es uns gelungen, sowohl inficierte Thiere zu heilen, wie die gesunden derartig vorzubehandeln, dass sie später nicht mehr erkranken."
Erste Behandlungsversuche scheiterten
Emil Behring versuchte gemeinsam mit Paul Ehrlich, mit Hilfe von Pferden Anti-Toxine in größeren Mengen zu gewinnen.
Heiner Fangerau: "Der erste Versuch, Diphtherie bei zwei Kindern in der Berliner Universitätsklinik mit Anti-Toxinen zu behandeln, 1891, dieser Versuch ist fehlgeschlagen, der ist noch fehlgeschlagen."
Der Durchbruch gelang, als Behring mit der Firma Hoechst 1894 einen Industriepartner gewann. Das Diphtherie-Serum ließ sich in großem Maßstab herstellen. Die Zahl der Kinder, die an Diphtherie starben, konnte binnen weniger Jahre halbiert werden. 1901 erhielt Behring den erstmals verliehenen Nobelpreis für Medizin, und er wurde in den erblichen Adelsstand erhoben.
Auch Tetanus lässt sich mit Anti-Toxinen behandeln
Die Serum-Therapie gegen Tetanus setzte sich erst später durch:
"Große Relevanz hat die Tetanus-Behandlung mit diesen Anti-Toxinen im Ersten Weltkrieg bekommen."
Emil von Behring starb am 31. März 1917. In einer Gedenkrede heißt es:
"Der Krieg hat Behring noch einen letzten Triumph bereitet, seitdem das Tetanusserum prophylaktisch angewendet wird, hat der Wundtetanus, der anfangs so entsetzlich viele Opfer gefordert hatte, sozusagen aufgehört."
Ihren Schrecken haben Tetanus und Diphtherie aber erst verloren, seit es auch aktive Schutzimpfungen gegen diese Infektionskrankheiten gibt.
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