Medizinerin: Babyklappen verhindern keine Kindstötungen

Christiane Woopen im Gespräch mit Christopher Ricke · 08.04.2010
Es gebe keine Hinweise dafür, dass sogenannte Babyklappen tatsächlich Leben retten können, sagt die Kölner Medizinerin Christiane Woopen, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Babyklappen wurden vor zehn Jahren in Deutschland erstmals eingerichtet.
Christopher Ricke: Mütter, die nach der Geburt einfach nicht weiter wissen, die können seit einigen Jahren in Deutschland ihr Kind anonym abgeben. Etwa 100 Plätze gibt es dafür. Diese Plätze heißen Babyklappe, Babytür, Babyfenster, Babykorb oder Babynest, und sie sollen helfen, Leben zu retten. Das abgegebene Baby wird versorgt, es wird in eine Pflegefamilie gegeben, nach einer bestimmten Frist bekommt es dann Adoptiveltern. Die erste Babyklappe in Deutschland wurde vor zehn Jahren eingerichtet, in Hamburg.

Zehn Jahre Babyklappen in Deutschland. Ich habe mit der Professorin für Medizinethik, Christiane Woopen gesprochen. Sie sitzt im Nationalen Ethikrat, ist die stellvertretende Vorsitzende, und der Ethikrat will ja diese Babyklappen wieder abschaffen. Ich habe Frau Woopen gefragt, warum bringen Sie mit dieser Forderung Neugeborene in Lebensgefahr?

Christiane Woopen: Weil wir der Auffassung sind, dass wir sie dadurch gar nicht in Lebensgefahr bringen. Nach gründlichen Recherchen ist der Deutsche Ethikrat zu dem Schluss gekommen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Babyklappen tatsächlich Leben retten können, sondern umgekehrt tatsächlich andere Personen in ihren Rechten doch noch erheblich gefährden. Und insofern sind wir zu dem Schluss gekommen, dass andere Lösungsmöglichkeiten für die Mütter und vielleicht auch die Väter, die sich in Not befinden, besser sind, um sie in ihren Problemen zu unterstützen.

Ricke: Jetzt sagen aber die Betreiber der ältesten Babyklappe in Deutschland, seit es solche Einrichtungen gibt, sei die Zahl der ausgesetzten und getöteten Neugeborenen in Hamburg signifikant zurückgegangen. Das spricht doch für die Klappe.

Woopen: Das spricht, wenn man das so für sich nimmt, erst mal für die Klappe. Es ist aber so, dass in allen anderen Statistiken deutschlandweit und auch an solchen Orten, in denen die Babyklappen existieren und die Möglichkeiten anonymer Geburt, diese Zahlen eben nicht zurückgegangen sind. Wo die Hamburger Zahlen herkommen, müsste man im Einzelnen überprüfen. Fest steht jedenfalls, dass nicht weniger Babys ausgesetzt oder getötet worden sind, seitdem es die Babyklappen gibt.

Ricke: Fest steht aber auch, dass eine Zahl genannt wird zwischen 100 und 500 Kinder in Babyklappen abgegeben worden sind. Und ich sag mal, wenn nur ein einziges Kind gerettet wird, hat sich das Projekt doch gelohnt.

Woopen: Ja, also zum einen kann keiner nachweisen, dass dadurch tatsächlich ein Kind gerettet worden wäre. Es ist zum Beispiel so, dass in den Zeitungsartikeln, die man teilweise liest, dann gesagt wurde, es sind 38 Leben gerettet worden. Fest steht aber, dass einfach nur 38 Kinder in die Babyklappe gelegt wurden, und kein Mensch weiß, ob eines von diesen tatsächlich gerettet worden ist oder nicht. Wenn Sie mit Frauen, die sich dann nachher gemeldet haben, sprechen – davon gibt es ja Einzelne –, dann waren diese in Notsituationen und haben sich nicht in der Lage gefühlt, dieses Kind in dem Moment bei sich zu behalten, aber keine dieser Frauen hat jemals gesagt, dass sie das Kind sonst getötet hätte.

Ricke: Es gibt Frauen in Notsituationen, es gibt Kinder, die Betreuung brauchen. Findelkinder, das ist ja keine Lösung, Findelkinder gibt es seit Menschengedenken, Moses ist vielleicht das berühmteste, dann kommen gleich Romulus und Remus. Was macht man denn heute, wenn es keine Babyklappen gibt?

Woopen: Es gibt sehr viele legale Hilfsmöglichkeiten für Frauen in Not. Es gibt jetzt schon – und auch Väter natürlich – es gibt jetzt schon die Möglichkeit der anonymen Beratung, es gibt die Möglichkeit, sich vertraulich an jemanden zu wenden, es gibt die Möglichkeiten, den Namen nach der Geburt mit einem Sperrvermerk versehen zu lassen, sodass es eben tatsächlich nicht an die Behörden, an die Ämter et cetera weitergegeben werden kann, dass es also nicht öffentlich gemacht wird. Es gibt die Hotlines, die Telefon-Hotlines, die Beratungsmöglichkeiten. Wissen Sie, was mir vor allen Dingen am Herzen liegt und was auch dem Ethikrat natürlich am Herzen liegt, ist, dass die Frauen dadurch, dass sie das Kind anonym abgeben, in ihrer Not ja überhaupt nicht unterstützt werden. Die gehen mit der ganzen Not auch wieder nach Hause, zum Beispiel einer Gewaltumgebung, einem Druck, unter dem sie stehen, einem Geheimhaltungsinteresse, das daraus resultiert, dass sie vermuten, dass sonst die Familie zerbrechen würde oder dass sie tatsächlich vielleicht auch selber in Lebensgefahr kämen. All diese Probleme werden nicht gelöst dadurch, dass das Baby in eine Klappe gelegt wird. Ganz im Gegenteil haben die Mütter danach oft noch viel größere Schwierigkeiten, weil sie sich auf Dauer möglicherweise Schuldvorwürfe machen oder das Kind vermissen, sich fragen, was daraus geworden ist. Man hat also viel mehr Möglichkeiten durch vertrauliche oder auch anonyme Beratungen und Begleitungen und Hilfsangebote, diesen Frauen in ihren Problemen tatsächlich zu helfen.

Ricke: Die anonyme Beratung, die gibt es, was es nicht gibt, ist die rechtliche Grundlage für eine wirklich anonyme Geburt. Es gibt nur das Modell, das Sie beschrieben haben, mit dem Sperrvermerk. Brauchen wir hier eine rechtliche Entwicklung, müssen da Justizministerin und Familienministerin vielleicht Hausaufgaben machen?

Woopen: Der Ethikrat hat vorgeschlagen, dass für die hoffentlich dann auch sehr wenigen Fälle, die noch übrig bleiben, wenn man die ganzen Möglichkeiten der jetzt schon legalen Angebote ausnutzt und die Frauen trotzdem noch den Eindruck haben, dass sie ihre Identität nicht preisgeben mögen und können, dass es dort die gesetzliche Grundlage für eine vertrauliche Kindesabgabe implementiert wird. Das heißt, die Frauen können auch unter medizinischer Begleitung, um auch die Gesundheit der Frau zu schützen, entbinden, oder wenn sie schon entbunden haben, dann das Kind unter vertraulichen Bedingungen in einer Beratungsstelle abgeben. Das heißt, sie können sich sicher sein, dass über eine ganz bestimmte Zeit und unter ja bestimmten begleitenden Voraussetzungen ihre Identität geheim bleibt, dass ihnen aber trotzdem geholfen werden kann.

Ricke: Ist dann der Zeitpunkt gekommen, die Babyklappe zu schließen, oder muss man die Babyklappen auch schließen, wenn dieses Niveau noch nicht erreicht ist?

Woopen: Es geht jetzt nicht um ein überstürztes Schließen der Babyklappe, sondern es geht darum, dass zunächst einmal die legalen Hilfsangebote öffentlich bekannt gemacht werden, verstärkt werden, unterstützt werden. Und dann geht es darum, dass alle diejenigen, die an diesen Einrichtungen beteiligt sind, tatsächlich gemeinsam vorgehen, die Babyklappen schließen und die gesetzliche Grundlage eben auch geschaffen wird für eine solche vertrauliche Kindesabgabe.

Ricke: Christiane Woopen, die Professorin für Medizinethik ist die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Ich danke Ihnen, Frau Woopen!

Woopen: Danke Ihnen, Herr Ricke!
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