Medizin

25 Jahre nach der ersten Gentherapie

Der an der seltenen Immunkrankheit leidende Felix beim Spiel mit seinen Eltern: Der Kinderarzt wurde 2011 für dessen Heilung mittels einer Gentherapie mit dem Eva Luise Köhler-Forschungspreis ausgezeichnet.
Der an der seltenen Immunkrankheit leidende Felix beim Spiel mit seinen Eltern: Der Kinderarzt wurde 2011 für dessen Heilung mittels einer Gentherapie mit dem Eva Luise Köhler-Forschungspreis ausgezeichnet. © Foto: Verena Müller/ACHSE e.V. dpa/lbn
Von Michael Lange · 14.09.2015
Kann man durch die Einpflanzung von gesunden Genen Krankheiten heilen? Im ausgehenden 20. Jahrhundert war die Hoffnung groß, dass dies gelingen könnte. Vor 25 Jahren wurde ein vierjähriges Kind erstmals mit gentechnisch veränderten Zellen behandelt.
"Am Freitag um acht Minuten vor ein Uhr nachmittags begann in einer Klinik in einem Vorort von Washington ein neues Zeitalter der Medizin."
So jubelte im September 1990 die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
"Ein vier Jahre altes, schwerkrankes Mädchen wurde als erste Patientin der Welt mit gentechnisch veränderten Zellen behandelt."
Die kleine Ashanti de Silva litt an einer Störung ihres Immunsystems. Ihre Abwehrzellen hatten die Fähigkeit verloren, Krankheitserreger zu bekämpfen. Jede Infektion bedeutete für sie Lebensgefahr. Verantwortlich dafür war ein genetischer Defekt, der jährlich weltweit bei etwa 15 Kindern auftritt. Ohne Behandlung müssen die kleinen Patienten vollständig von ihrer Umwelt abgeschirmt werden. Sie leben in Spezialzelten oder tragen spezielle Anzüge, die an Raumfahrer erinnern. Der Kinderarzt French Anderson von der University of Southern California in Los Angeles wollte diese Krankheit durch eine Gentherapie heilen.
"Bei jeder Gentherapie geht es darum, ein normales Gen in die Zellen eines Patienten zu bringen, um dort ein nicht normales oder schlechtes Gen zu ersetzen. "
Jahrelang um die Erlaubnis der Gentherapie gekämpft
Jahrelang hatte French Anderson um die Erlaubnis einer Gentherapie am Menschen gekämpft. Am 14. September 1990 war es dann soweit, und er konnte seiner Patientin die Spritze mit den genetisch veränderten Zellen geben. Zehn Jahre später zog French Anderson eine positive Bilanz.
"Ashi geht es gut. Ihre Mutter hat mir ein Bild geschickt, auf dem sie Basketball spielt. Sie führt ein normales Leben und ist ein völlig normales Kind."
Ashanti De Silva ist heute 29 Jahre alt. Aber genau wie die drei anderen Studienteilnehmer wurde sie durch die Gentherapie nicht geheilt. Die eingeschleusten Gene verschwanden nach und nach wieder aus ihrem Körper. Die Patienten erhielten deshalb Medikamente, die den Enzymmangel ausglichen.
Die Erwartungen, mit Hilfe der Gentherapie Erbkrankheiten, Krebs oder Immun-und Stoffwechselkrankheiten zu heilen, waren anfangs zu hoch, kommentiert rückblickend Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt.
"Allerdings waren die Möglichkeiten doch damals noch sehr begrenzt. Das hat auch nicht vollständig geklappt. Es war ja auch die Phase, in der man wirklich euphorisch war in Hinblick auf die Gentherapie. "
Dem Gentherapie-Boom Anfang der 1990er-Jahre folgte eine ebenso ausgeprägte Ernüchterung.
"Klinische Versuche an 200 Patienten brachten bisher keinen einzigen Heilerfolg", resümierte "Die Woche" 1995.
Vier von elf behandelten Kindern erkrankten an Leukämie
Erst nach der Jahrtausendwende gab es erste Erfolgsmeldungen. In Paris waren Kinder, die an einem anderen seltenen Immundefekt litten, behandelt worden. Die Form ließ sich nicht mit Medikamenten lindern. Den Kindern ging es nach einer Gentherapie tatsächlich besser, erinnert sich Klaus Cichutek.
"Insofern eine richtige Anwendung der Gentherapie. Ein toller Erfolg, aber auch danach Erkenntnisse darüber, dass diese spezielle Gentherapie mit Nebenwirkungen verbunden ist. "
Als Folge der Gentherapie erkrankten vier der elf behandelten Kinder an Leukämie. Anscheinend hatten Viren, die als Genfähren verwendet wurden, einen Schaden in den Zellen der Kinder angerichtet. Die Gentherapeuten mussten zurück in die Labors, um ihre Methoden zu verbessern.
2012 deutete sich ein neuer Boom der Gentherapie an. Wissenschaftler entwickelten ein Verfahren mit dem Namen CRISPR. Damit lassen sich Gene im Körper einfacher und gezielter umschreiben als mit den Vorgänger-Methoden. Gentherapeuten wie Toni Cathomen von der Universitätsklinik Freiburg sehen darin einen neuen Hoffnungsträger.
"Man muss da wirklich von einer CRISPR-Revolution sprechen, weil sich diese Technologie so schnell verbreitet hat, dass eigentlich jedes Labor heutzutage sie einsetzen kann und auch genetische Veränderungen in ganz verschiedenen Organismen herbeiführen kann. "
Mit dem Verfahren können Wissenschaftler nicht nur Körperzellen gezielt verändern, sondern auch Eizellen oder Embryonen. Dadurch würde das gesamte Erbgut eines Menschen dauerhaft verändert. Wissenschaftler in China haben das bereits versucht und damit in der Fachwelt für viel Widerspruch gesorgt:
"Alles, was Richtung Veränderung des menschlichen Genoms geht, was dann eben auch an die Nachkommen weitergegeben werden kann, das soll verboten werden, bis wir wissen: Wo setzen wir die Grenze?"
Mehr zum Thema