Meditation an der Berliner Philharmonie

Den Kopf frei machen fürs klassische Konzert

06:14 Minuten
Der Schatten eines Mannes ist am 06.10.2016 in der Philharmonie in Berlin an einer Wand zu sehen.
Nach 30 Minuten Meditation geht es wieder zurück in die Realität. © Picture Alliance / dpa / Sophia Kembowski
Von Elisabeth Hahn · 12.04.2019
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An der Berliner Philharmonie erhielten Besucher die Möglichkeit, vor dem Konzert an einer Meditation teilzunehmen. Sie wollten runterkommen und die klassische Musik intensiver wahrnehmen können. Ein Erfahrungsbericht.
Abgehetzt und wie so oft in der letzten Minute schaffe ich es gerade noch rechtzeitig in den Green Room der Berliner Philharmonie, den Lärm der Stadt noch im Ohr und viel zu viele Gedanken in meinem Kopf. Meditiert habe ich bisher eigentlich noch nie.
In luftigem, oben leicht aufgeknöpftem weißen Leinenhemd stimmt uns Gerald Blomeyer in die Kunst des Meditierens ein. Etwa 20 Leute sitzen im Stuhlkreis und lauschen mit geschlossenen Augen der ruhigen Stimme.

Konzentration auf den Atem

Ich werde sofort schläfrig und genieße die Ruhe, die Zeit zum Atmen und Nachspüren. Entspannend ist das wirklich, das muss ich schon zugeben. Und ich ahne, welche Wirkung Meditation auf mich haben könnte, wenn ich es wirklich schaffe, meine Gedanken abzuschalten.
Nach 30 Minuten Meditation geht es wieder zurück in die Realität. Durch die Besucherströme zum Saal, noch schnell den richtigen Platz suchen, den Lärm der Stimmen im Ohr. Meine eben gefundene Ruhe ist eigentlich schon wieder hin. Das Konzert beginnt.
Fast krampfhaft konzentriere ich mich auf meinen Atem. So richtig gelingt mir das aber nicht. Zu sehr kreisen die Gedanken in meinem Kopf. In der Konzertpause spreche ich mit zwei Teilnehmerinnen der Meditation. Fällt es vielleicht leichter, wenn man bereits Erfahrung im Meditieren hat?
"Ich bin jetzt nicht so meditationserfahren. Das sind eher so meine Schwierigkeiten, aus dem Kopf zu gehen. Aber ja, ich war Teil von diesem Ganzen. Teilweise, also nicht die ganze Zeit. Und vor allem war ich nicht im Kopf."

Tief ins Erleben gehen

Und was ist mit Menschen, die vielleicht ein bisschen zu verkopft sind? Oder ihre Gedanken nicht los lassen können?
"Also, ich bin eigentlich auch sehr verkopft tatsächlich, wirklich sehr. Das, was da gerade passiert ist, ist neu für mich. Also, dass ich so tief ins Erleben gehe und Teil davon bin."
Diesen beiden Frauen ist es also tatsächlich gelungen, sich ganz auf die Musik zu fokussieren und sie intensiver wahrzunehmen. Genau das möchte Nico Rönpagel erreichen. Der Tänzer, Kunstpädagoge und Achtsamkeitsforscher ist der Initiator der Meditationskonzerte beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Für ihn ist Meditation ein ziemlich komplexer Begriff. Deswegen spricht er lieber von Achtsamkeit.
"Bei Achtsamkeit geht’s wirklich darum, im Hier und Jetzt zu sein und mir bewusst zu sein, was ich gerade denke, was ich gerade fühle für Emotionen und wie sich mein Körper gerade anfühlt. Im Innen und mich aber dann auch zu öffnen für das, was außen um mich herum passiert."
Rönpagel ist überzeugt, dass auch ein kleiner Moment im Konzert genügt, achtsam zuzuhören und die eigene Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und die Musik zu richten. Schon dann ist die Wahrnehmung verändert.

"Ich höre hin und erlebe es dadurch neu"

"Also es ist nicht unbedingt so, dass das Konzert auf einmal wie auf LSD in einer ganz anderen Farbe vor mir herflimmert. Insofern geht es gar nicht darum, in einer halben Stunde Meditationsexperte zu sein oder was radikal anderes zu erleben in dem Konzert, sondern vielleicht eher Inspiration zu kriegen: Wie kann ich noch mal anders zuhören, wie kann ich mich selbst noch mal anders öffnen, während ich im Konzert da sitze."
Die Gedanken abschalten und die Musik spüren. Ist das wirklich der Königsweg zum neuen Musikerlebnis? Ersetzt die Meditation die Information, das Nachdenken und Reflektieren über die Musik? Nico Rönpagel:
"Natürlich kann ich analytisch und musikwissenschaftlich rangehen, gerade im Dialog und Austausch, Reflexion mit anderen Menschen, also sprachlich. Das erweitert für mich einfach das Spektrum, das ersetzt es nicht."

Lust an der Musik

Auch wenn es mir bei diesem Konzert selbst nicht gelungen ist, mental ganz in die Musik einzutauchen. Oft gelingt es mir schon. Auch ohne Meditation. Aber mit Sicherheit sind die Meditationskonzerte eine gute Möglichkeit, den Körper und Geist nach einem arbeitsreichen Tag für die Musik vorzubereiten.
Die zahlreichen positiven Rückmeldungen zeigen, dass viele Menschen tatsächlich von diesem Format profitieren. Und mitunter sogar einen ganz neuen Zugang zur klassischen Musik bekommen, wie diese Besucherin berichtet.
"Also ich habe nicht so eine klassische Musikausbildung, ich hatte ein bisschen Klavierunterricht und so etwas. Aber ich habe nicht so viel Struktur im Kopf. Und dann hatte ich dadurch auch eine Barriere im klassischen Konzert, weil ich dachte: Ich verstehe es ja nicht. Und jetzt höre ich einfach, ich höre hin und erlebe es dadurch neu. Und ich habe jetzt Lust, mich auch damit zu beschäftigen."
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