Mediennutzung und ihre Folgen
Sehr geehrte Hörerschaft des Deutschlandradios. Ich gratuliere Ihnen. Sie hören Radio. Das erhöht ihre Chancen, der schleichenden, nein rasenden Verblödung durch übermäßigen Fernsehkonsum zu entgehen. Halten Sie ihre Kinder von der Glotze fern, sperren Sie die Spielekonsole weg, wenn Ihnen die kognitiven Fähigkeiten Ihrer Kinder am Herzen liegen.
Wieder einmal hat uns die wissenschaftliche Forschung Hinweise auf die schädlichen Folgen von zu viel Fernsehen und übersteigertem Medienkonsum geliefert. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat herausgefunden, dass Kinder, die zu viele Medien nutzen, gar einen eigenen Fernseher im Zimmer haben, schlechtere schulische Leistungen erbringen. Mädchen sind schulisch erfolgreicher und – PISA lässt grüßen – im Süden der Republik wird weniger geglotzt als im Norden, so die ersten Befunde einer großen Untersuchung unter dem Titel: Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen? Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Befunde ihre Wirkung erst durch allgemeine Medienpublizität erfahren. Machen uns solche Nachrichten schlauer oder dümmer? Manche Themen sind nicht tot zu kriegen. Der Zusammenhang zwischen Medienkonsum und negativen Entwicklungen der Menschheit gehört dazu. Medien und Gewalt, Medien und Manipulation, Medien und Schulerfolg, Medien und Wahlergebnisse. Immer wieder jagen Wissenschaftler diesen Zusammenhängen hinterher.
Nun gehört es zu den Grundprinzipien guter wissenschaftlicher Forschung, ohne Vorurteile und mit wenigen allgemeinen Vorannahmen an Probleme heranzugehen. Wir kennen das aus der Ökonomie. Dort lernen wir, dass Menschen ihren Nutzen maximieren und ihre Kosten minimieren wollen. Auf dieser Überlegung ruht das Firmament konventioneller wirtschaftswissenschaftlicher Weisheiten. In der medienpädagogischen und medienwissenschaftlichen Forschung wird seit langem darüber gestritten, welche Wirkung der Konsum von Medien auf das Verhalten der Nutzer hat. Vermutlich kann man das Ganze auf den trivialen Nenner bringen: Medien machen die Klugen gescheiter und die Dummen dümmer. Mediennutzung ist, wissenschaftlich gesehen, ein Faktor in einem komplexen Bedingungsgefüge und möglicherweise – trotz der Omnipräsenz von Medien im Alltag – nicht einmal ein besonders wichtiger. Schulerfolg ist ein Produkt der sozialen Vererbung. Kinder aus bildungsfernen Schichten tun sich schwerer mit den Anforderungen des Bildungssystems in seiner jetzigen Form und das Bildungssystem ist nach wie vor – aufs Ganze gesehen – der zentrale Mechanismus zur Reproduktion sozialer Ungleichheit. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie der alte Spruch der ostpreußischen Adligen belegt: man halte sich etwas darauf zu Gute, weniger klug als das Personal zu sein, wofür habe man es schließlich.
Nun werden die Wissenschaftler sicherlich zu dem Befund kommen, dass die medienelektronische Ausstattung in den unteren Schichten sehr gut ist. Die kostenlose Empirie vor der Haustüre liefert der Besuch in einem der einschlägigen Großmärkte, die uns jeden Tag mit neueren und größeren Flatscreens und Multimediabombast locken wollen.
Die interessante Frage aber wäre doch: würde der Schulerfolg der angeblich medial verblödeten Kinder sich bessern, wenn man ihnen medial den Hahn zudrehte? Würde ein Sonderschüler, ein Kind mit Migrationshintergrund durch gedrosselte Fernsehzeiten schulisch nach vorne kommen? Man mag das mit dem Alltagsverstand bezweifeln. Die Wirklichkeit ist komplizierter und einfacher zugleich. Komplizierter ist das Bedingungsgefüge, das die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten beeinflusst. Da sind Zeiten vor der Glotze möglicherweise ein Indikator, aber vermutlich kaum eine erklärungskräftige Ursache. Einfacher ist das Ganze, weil das Bildungssystem – Fernsehen hin, Gameboy her – ein Mechanismus zur Verteilung knapper Positionen ist und solange es wenige attraktive Positionen am oberen Ende der Skala und viele am unteren Ende gibt, wird sich daran nichts ändern. So gesehen zäumen unsere Medienforscher das Pferd vom Schwanz her auf. Es mag legitim sein, sich Fragen nach dem Zusammenhang zwischen individuellem Medienkonsum und Schulversagen zu stellen. Aber stellt man sich damit im Hinblick auf die Erklärung sozialer Probleme nicht dümmer, als es eigentlich notwendig wäre? Könnte man Schulversagen und Schulerfolg nicht weit plausibler erklären, wenn man die Orientierung, Beschaffenheit und Ausstattung unseres Bildungssystems betrachtet? Vielleicht könnte man mehr über Schulerfolg lernen, wenn man sich die Organisation der Bildung in anderen Ländern betrachtet. Eines hat uns PISA doch gelehrt: ein Land wie Finnland, hat bessere Ergebnisse als Deutschland, aber auch ein kindgerechtes, weniger selektives und auf die Bedürfnisse der Schüler eingehendes Bildungssystem. Die Finnen aber schauen genauso viel Fernsehen wie die Deutschen, hören so viel Radio und nutzen das Internet weit mehr als wir. Das belegt natürlich gar nichts, aber es sollte uns vor übereilten Vermutungen über den Zusammenhang von Medienkonsum und Schulerfolg bewahren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, sie dürfen den Fernseher jetzt wieder anschalten; aber besser noch – sie bleiben bei ihrem Radioprogramm.
Dr. Reinhard Kreissl, geboren 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".
Nun gehört es zu den Grundprinzipien guter wissenschaftlicher Forschung, ohne Vorurteile und mit wenigen allgemeinen Vorannahmen an Probleme heranzugehen. Wir kennen das aus der Ökonomie. Dort lernen wir, dass Menschen ihren Nutzen maximieren und ihre Kosten minimieren wollen. Auf dieser Überlegung ruht das Firmament konventioneller wirtschaftswissenschaftlicher Weisheiten. In der medienpädagogischen und medienwissenschaftlichen Forschung wird seit langem darüber gestritten, welche Wirkung der Konsum von Medien auf das Verhalten der Nutzer hat. Vermutlich kann man das Ganze auf den trivialen Nenner bringen: Medien machen die Klugen gescheiter und die Dummen dümmer. Mediennutzung ist, wissenschaftlich gesehen, ein Faktor in einem komplexen Bedingungsgefüge und möglicherweise – trotz der Omnipräsenz von Medien im Alltag – nicht einmal ein besonders wichtiger. Schulerfolg ist ein Produkt der sozialen Vererbung. Kinder aus bildungsfernen Schichten tun sich schwerer mit den Anforderungen des Bildungssystems in seiner jetzigen Form und das Bildungssystem ist nach wie vor – aufs Ganze gesehen – der zentrale Mechanismus zur Reproduktion sozialer Ungleichheit. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie der alte Spruch der ostpreußischen Adligen belegt: man halte sich etwas darauf zu Gute, weniger klug als das Personal zu sein, wofür habe man es schließlich.
Nun werden die Wissenschaftler sicherlich zu dem Befund kommen, dass die medienelektronische Ausstattung in den unteren Schichten sehr gut ist. Die kostenlose Empirie vor der Haustüre liefert der Besuch in einem der einschlägigen Großmärkte, die uns jeden Tag mit neueren und größeren Flatscreens und Multimediabombast locken wollen.
Die interessante Frage aber wäre doch: würde der Schulerfolg der angeblich medial verblödeten Kinder sich bessern, wenn man ihnen medial den Hahn zudrehte? Würde ein Sonderschüler, ein Kind mit Migrationshintergrund durch gedrosselte Fernsehzeiten schulisch nach vorne kommen? Man mag das mit dem Alltagsverstand bezweifeln. Die Wirklichkeit ist komplizierter und einfacher zugleich. Komplizierter ist das Bedingungsgefüge, das die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten beeinflusst. Da sind Zeiten vor der Glotze möglicherweise ein Indikator, aber vermutlich kaum eine erklärungskräftige Ursache. Einfacher ist das Ganze, weil das Bildungssystem – Fernsehen hin, Gameboy her – ein Mechanismus zur Verteilung knapper Positionen ist und solange es wenige attraktive Positionen am oberen Ende der Skala und viele am unteren Ende gibt, wird sich daran nichts ändern. So gesehen zäumen unsere Medienforscher das Pferd vom Schwanz her auf. Es mag legitim sein, sich Fragen nach dem Zusammenhang zwischen individuellem Medienkonsum und Schulversagen zu stellen. Aber stellt man sich damit im Hinblick auf die Erklärung sozialer Probleme nicht dümmer, als es eigentlich notwendig wäre? Könnte man Schulversagen und Schulerfolg nicht weit plausibler erklären, wenn man die Orientierung, Beschaffenheit und Ausstattung unseres Bildungssystems betrachtet? Vielleicht könnte man mehr über Schulerfolg lernen, wenn man sich die Organisation der Bildung in anderen Ländern betrachtet. Eines hat uns PISA doch gelehrt: ein Land wie Finnland, hat bessere Ergebnisse als Deutschland, aber auch ein kindgerechtes, weniger selektives und auf die Bedürfnisse der Schüler eingehendes Bildungssystem. Die Finnen aber schauen genauso viel Fernsehen wie die Deutschen, hören so viel Radio und nutzen das Internet weit mehr als wir. Das belegt natürlich gar nichts, aber es sollte uns vor übereilten Vermutungen über den Zusammenhang von Medienkonsum und Schulerfolg bewahren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, sie dürfen den Fernseher jetzt wieder anschalten; aber besser noch – sie bleiben bei ihrem Radioprogramm.
Dr. Reinhard Kreissl, geboren 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".