Medien

"Fernsehentwicklung ist viel schneller geworden"

Moderation: Ulrike Timm · 02.01.2014
Trotz ihrer schwerfälligen Apparate hätten die öffentlich-rechtlichen Sender langsam von den privaten gelernt, sagt Friedrich Küppersbusch. Allerdings sieht der TV-Produzent das klassische Fernsehen insgesamt untergehen - im Zeitalter von YouTube.
Ulrike Timm: Es war ein Einschnitt in die Medienlandschaft als vor 30 Jahren nach langen politischen Konflikten und Diskussionen das Privatfernsehen an den Start ging: Am 1. Januar 1984 starteten der Vorläufer von Sat1, das hieß damals noch Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk, und RTL Plus, daraus wurde dann sehr schnell RTL. 30 Jahre Privatfernsehen, darüber habe ich vor der Sendung mit dem Journalisten und Fernsehproduzenten Friedrich Küppersbusch gesprochen, über die Chancen und die Unfälle beim Privatfernsehen und darüber, was daraus heute geworden ist. Gegründet worden ist das Privatfernsehen durchaus auch aus dem Wunsch der damaligen Regierung von Helmut Kohl, eine etwas konservativere Variante des Fernsehens zu bekommen. Hat man die bekommen?
Friedrich Küppersbusch: Sie haben nicht das Adenauer-Fernsehen bekommen, so weit reicht das nämlich zurück, das eben jener schon haben wollte, in den 50er-, 60er-Jahren immer wieder gesagt hat, also in den öffentlich-rechtlichen Medien, da sitzen ja nur Linke. Sie erinnern sich an das Wort vom Rotfunk, immer gerne und besonders auf den WDR gemünzt. Und schon Adenauer als Kanzler hat versucht, eine Staatswelle aufzubauen – da haben ihm die Verfassungsgerichte ein ums andere Mal gesagt: Das geht nicht. Daraus wurde dann das ZDF 1961, das dann eben enger an den Ländern ist und, siehe Causa Brender, den Parteien noch mehr Zugriffsrechte sichert. Darüber können wir uns für dieses Jahr ja auf Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts freuen.
Und dann kam der nächste Anlauf von Christian Schwarz-Schilling unter dem Kanzler Kohl, und da war tatsächlich die Idee, dass, wenn das Fernsehen Geld verdienen müsse, dass es dann weniger sich mit Politik aufhalte, am Anfang durchaus auch die Idee, dass Leo Kirch, der Freund von Helmut Kohl – niemand weiß dank Kohls Ehrenwort, wie die finanziellen Verhältnisse zwischen den beiden gewesen sind –, dass nun dieser Kirch den CDU-nahen Journalisten Heinz Klaus Mertes von der ARD abwarb und der da eine Vier-Schanzen-Tournee veranstaltete, also sehr, wie die Presse damals meinte, das Feuilleton, liebedienerisch mit der konservativen Politik umging.
Die Tatsache, dass neue kommerzielle Sender nicht eo ipso von sich aus konservativ sein würden und ein Gegenlager zur als links empfundenen ARD bilden würden, das hat viele Konservative später geärgert. Selbst Christian Schwarz-Schilling hat in dem ihm zu Gebote stehenden feinen Wortschatz gesagt, dass er einen dicken Strahl kotzt, wenn er "Tutti Frutti", also Nackttanz bei RTL sieht und all die Dinge, die heute, glaube ich, Dschungel heißen, also Würmer essen und einfach mit der Menschenwürde und mit dem Verletzen der Menschenwürde Quotenerfolge zu erzielen.
Viele konservative Politiker haben bald eine späte Romanze mit der ARD gehabt, weil sie festgestellt haben: Eigentlich kann ich nur die ARD-Dritten zwingen, auch mal politische Berichterstattung über Ministerpräsidentin X oder Landwirtschaftsminister Y zu machen. Das heißt, es ist auch ein bisschen enttäuschte Liebe. Aber wie das so ist mit wilden Tieren: Wenn man sie auswildert, kommen sie nicht freiwillig an die Leine zurück. Diese Sender werden nie so politisch werden, wie ihre Initiatoren sich das gewünscht haben.
Timm: Von "Tutti Frutti" bis Dschungelcamp, über die Unfälle und die Merkwürdigkeiten zu reden, das ist das eine. Andererseits haben ja die Privaten auch viele Formate entwickelt und dem Öffentlich-Rechtlichen Beine gemacht, also zum Beispiel die Sportberichterstattung fiele mir ein. Welche Formen, welche Innovationen hat das Privatfernsehen denn tatsächlich in die Medienlandschaft gebracht?
"Fernsehen ist in seinen Formaten ein Modegeschäft"
Küppersbusch: Insgesamt ist die Fernsehentwicklung sehr viel schneller geworden. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind von Behörden ausgedacht, von Behörden gemanagt und sie funktionieren auch so. Sie haben da manchmal einen Weg von der ersten Idee einer Redakteurin, eines freien Mitarbeiters bis zum fertigen Format – na ja, also wenn Audi heute sagt, sie können in drei Jahren ein Auto entwickeln, dann dauert eine Fernsehsendung länger. Das haben die privaten Sender strukturell anders gemacht. Das sind mehr so, ja, Kopfunternehmen. Also da gibt es eine Leitung, einen Programmaufkauf, eher viele Controller und dann sehr wenige Redakteure, die tatsächlich das tun, was im Wort drinsteckt, sie redigieren, sie geben freien Mitarbeitern – ein ausgewachsener freier Mitarbeiter ist dann eine Produktionsfirma – einen Auftrag, und dann sagen sie, hier hast du Geld, mach, und bringe was Ordentliches.
Öffentlich-rechtliche Sender sind von ihrer Geschichte her so aufgestellt, dass sie es im Prinzip komplett allein können, und da sind sie behindert, das dauert einfach sehr viel länger. Und wenn eine Mode – und Fernsehen ist in seinen Formaten ein Modegeschäft – vorbei ist, dann sagt RTL, gut, mit der Firma können wir nicht mehr arbeiten, die haben es nicht drauf. Die Öffentlich-Rechtlichen sagen dann, super, jetzt haben wir da 20 Planstellen, was machen wir mit den Irren?
Friedrich Küppersbusch
Küppersbusch produziert für die Privaten und das Öffentlich-Rechtliche.© dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Timm: Sie selbst, Herr Küppersbusch, haben ja mal "Privatfernsehen" im Öffentlich-Rechtlichen gemacht, so hieß Ihre Sendung. Die wurde dann wegen Quotenmangel abgeschaltet, das war natürlich eine sehr privatfernsehgemäße Begründung im Öffentlich-Rechtlichen. Haben Sie sich eigentlich lange geärgert?
Küppersbusch: Ja, also wir hatten durch die Arbeit an "Zack" und auch an "Privatfernsehen" doch so viel Kenntnisse gesammelt, dass wir uns dann im Markt behaupten konnten. Und das waren zwei Formate für 20 Jahre, die ich bei ARD und WDR gearbeitet habe, und in der Folgezeit, das sind jetzt wieder 17, 18 Jahre her, haben wir 50, 60 neue Formate lanciert. Und für jemanden ... Das gilt nur für mich oder für Leute, die so ticken wie ich.
Timm: Ich habe Sie ja gefragt.
Küppersbusch: Ja, ja. Nein, ich will damit nicht in Abrede stellen, dass es wirklich cool ist, 50 Jahre das gleiche Format zu machen und damit erfolgreich zu sein. Nur, gerade für mich damals und meine Freundinnen und Freunde, die wir diese Sendung gemacht haben, war das extrem frustrierend, wenn der Vorgesetzte immer sagte: Das ist eine tolle neue Idee, die kriegt einen Platz ganz oben in meiner Schublade. Das ist für einen Kreativen der Tod. Insofern war das auch für mich ein Moment, wo ich gesagt habe: Jetzt ist die Chance, nicht immer nur für den Rundordner zu produzieren, sondern das alles auch mal umzusetzen. Und die Sachen, die wir seitdem machen konnten, das war "Maischberger" bei n-tv, "Der große Deutschtest" mit Hape Kerkeling bei RTL, "Raus aus den Schulden" bei RTL, aber auch Dauerbrenner wie "Das Duell" von Heiner Bremer bei n-tv – ja, da würde ich mich schon sehr ärgern, wenn ich die nicht hätte machen dürfen.
Timm: Ich staune ein bisschen, weil Sie natürlich auch mit Ihrer Produktionsfirma probono ganz viel für öffentlich-rechtliche Formate arbeiten. Sie machen ja nicht nur für n-tv, Sie arbeiten für den WDR, Sie arbeiten für den SWR. Also so groß kann die Katastrophe eigentlich auch nicht sein.
Küppersbusch: Welche Katastrophe?
Timm: Von der Sie sprachen, dass Sie da immer in der obersten Schublade eines Redakteurs landen würden und da nicht wieder rauskämen.
Küppersbusch: Ja. Jetzt reden wir 20 Jahre später zu einem Zeitpunkt, wo auch die öffentlich-rechtlichen Sender zum Beispiel bei "Raus aus den Schulden" gesagt haben: Das ist eigentlich eine populäre Form der Schuldenberatung. Oder da bei der "Nanny", bei Katia Saalfrank – mein Gott, wir haben bei den Öffentlich-Rechtlichen gedacht, Erziehung, damit lockt man keinen mehr vorm Ofen vor und wir machen diese piefigen Familienmagazine eigentlich nur noch, damit wir im Rundfunk gerade sagen können: Wir haben es doch versucht. Und da kommt RTL und nimmt dieses vermeintlich mausetote Thema, das sind ja alles soziale Themen, und hat Riesen-Quotenerfolge.
Timm: Also die einen schreiben vom anderen ab?
"Keine ernsthafte politische Sendung in einem Privatsender"
Küppersbusch: Ja, natürlich. Auch ... Die Öffentlich-Rechtlichen hatten ja aufgegeben, so verfilmten Erdkundeunterricht oder Physik oder Chemie zu machen, Schulfernsehen abgeschafft, weil das wirklich keiner mehr sehen will. Die Leute wollen nur noch Unterhaltung, da kommt Pro7 und erfindet "Galileo". Da wird zwar ununterbrochen ein Hochhaus gesprengt oder schwindelfreie Indianer bauen Hochspannungsleitungen, aber es ist oft auch Biologie, Physik, Chemie, Nebenfächer at their best. Und dann laufen die Öffentlich-Rechtlichen los und sagen, ah, wir müssten mal wieder so was über Naturwissenschaften machen. Also das befruchtet sich in der einen Richtung sehr stark. Da muss ich auch meinen Hut ziehen. Die Öffentlich-Rechtlichen beweisen da langsam und gegen die enormen Beharrungskräfte ihrer Apparate, die eben riesig sind, Lernfähigkeit. Umgekehrt muss man sagen: Es gibt keine ernsthafte politische Sendung in einem Privatsender in Deutschland. Die lernen nicht.
Timm: Die klaren Kampflinien, die es viele Jahre gab zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und dem Privatfernsehen, die gibt es ja so nicht mehr. Das ist lange vorbei. Günther Jauch und Thomas Gottschalk switchen, ihre Firma probono switcht auch. Kämpft man im Internetzeitalter nicht eher um die weniger werdenden Zuschauer, egal, in welchem Boot man sitzt?
Küppersbusch: Ja, Frau Timm, da gebe ich Ihnen recht, und damit schließt sich auch ein bisschen der Kreis zu Ihrer ersten Frage, denn dieses Untergehen oder dieses Abendrot dieses klassischen, linearen Fernsehens, also einer sendet und ganz viele empfangen, das wirft jetzt wieder die Frage auf: Wer hat denn nun eigentlich so die Medienhoheit? Und wir erleben gerade, dass der Springer-Konzern sich aufmacht, nachdem das vor zehn Jahren ihm verboten worden war, auf einen Haps die ganze Sat1-Pro7-Gruppe zu kaufen. Nun haben sie schon mal den ehemaligen Nachrichtensender dieser Gruppe N24 gekauft. Das Verfassungsgericht hat inzwischen gesagt, na ja, das war damals ein Fehlurteil, ihr würdet den Rest auch kaufen dürfen. Und dann hätten wir einen dreigeteilten Markt aus eben Bertelsmann, Springer und den Öffentlich-Rechtlichen.
Und alle drei tun diese Geschäfte zurzeit, und Springer sehr ausdrücklich, weil sie sagen: Wir brauchen eigentlich keinen Fernsehkanal, wir brauchen eine Bewegtbildmaschine, um diese Bewegtbilder auf unsere Onlineplattformen, mit Abstrichen auf die Onlineplattformen der Print-Zeitungen, die es noch gibt, und vielleicht auch ein bisschen im altmodischen Fernsehen zu distribuieren. Also darum wird es gehen. Wer ist der Herr der Bilder, der bewegten Bilder? Und in wieviel Kanäle kann er sie streuen? Und damit ist auch die Frage, wem gehört eigentlich das Bewusstsein, das durch diese Bewegtbilder geprägt wird, im Moment wieder Gegenstand des Kampfes sogar, nicht nur der Debatte.
Timm: Wer wird denn diesen Kampf um die beste Bewegtbildmaschine und die vielen getrennten Sparten gewinnen? Erwarten Sie denn noch, dass sich wirklich Neues entwickelt jenseits von Castingshow und Dschungelcamp?
"Dann wird es ein neues Goldenes Kalb geben"
Küppersbusch: Bisher hat ihn gewonnen YouTube. Sie erinnern sich, dass "Clipfish" bei RTL oder auch Pro7 hatte eine solche Plattform, die Mediatheken von ARD und ZDF versucht haben: Ja, unsere tollen Bewegbildinhalte bekommt ihr nur bei uns. Und inzwischen ist es so, dass mehr oder minder alle gucken, dass sie einen ordentlich frequentierten Kanal da bekommen. Da tickt die Uhr, dass die Kanzlerin wie in vielen Fragen von Airbus bis NSA sagt: Wir sollten ein deutsches YouTube haben. Ich fürchte, dafür wird es zu spät sein. Und die Formatanregungen, die von dort ausgehen, dass künftig nur erfolgreich sein wird, was auch bei YouTube besteht, heißen: Innerhalb von sieben Sekunden muss der erste Kracher passiert sein. Manche gucken wirklich grundsätzlich nicht länger als 1:30.
Und dann wird es ein neues Goldenes Kalb geben, das the long tail, also in dem Fall also oxtail, heißen wird. Die Programme, die wirklich große Massen interessieren, werden seltener, noch seltener werden, das sieht man am Niedergang von "Wetten, dass ...". Und die wenigen Leuchtturmproduktionen, auf die wir jetzt für 2013 zurückschauen. Und the long tail, das ist dann die Grafik, die so einen ganz langen Schwanz hat, der immer flacher wird, bis Sie irgendwann in Bereiche kommen, wo eine Sendung nur einen Zuschauer hat. Davon wird es mehr geben.
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