Mecklenburg-Vorpommern

Vision Wallensteingraben

Von Peter Marx · 26.11.2013
Bereits 1412 gab es erste Planungen für einen Kanal zwischen dem Schweriner See und der Ostsee. Doch bislang scheiterten alle Versuche, das Projekt umzusetzen. Aber bis heute bleibt der Kanal eine Vision.
Wo Axel Höhn heute steht, standen vermutlich schon die Herzöge von Mecklenburg und Feldherr Wallenstein: kurz hinter der Ortschaft Hohen Viechel, direkt neben einer stark befahrenden Landstraße. Heute ein unscheinbarer Platz: Eine zwei Meter breite Grasfläche, umgeben von Buchen und Eichen mit direktem Blick in einen Wassergraben, gerade tief genug, dass Paddelboote darin vorwärts kommen.
"Wir sehen den Übergang aus dem Schweriner See in den Wallensteingraben. Wir sehen die Stelle, wo Herzog Ulrich die sogenannten drei Berge hat durchstechen lassen, um einen Abfluss zu erzielen aus dem Schweriner See in den Lostener See. Der Abfluss des Lostener Sees in Richtung Wismar ist natürlich. Den gab es also schon immer und die Aufgabe des Herzogs gestaltete sich so, dass er die Elde und die Störwasserstraße hat aufräumen lassen, wie er das gesagt hat und diese Verbindung aus dem Schweriner See in Richtung Wismar durch die Aufgrabung der Berge geschaffen hat."
Axel Höhn ist Vorsitzender des Vereins Wallenstein-Wasserweg, der sich seit neun Jahren um die Vision eines schiffbaren Kanals vom Schweriner See in die Ostsee kümmert. Bislang erfolglos.
"Der Anlass war die Bundesgartenschau 2009, bei der wir gesagt haben, wir möchten die Stadt so attraktiv wie irgend möglich machen. Wir möchten beispielsweise nicht nur das Schweriner Schloss, sondern auch Güstrow und Ludwigslust gleichermaßen einer großen Öffentlichkeit präsentieren. Und wenn man dann die Entwicklungschancen für mehrere Bereiche der Stadt abgecheckt hat, kommt man ganz schnell dazu, die potenzielle Wasserverbindung Schwerin - Wismar genauer ins Kalkül zu ziehen."
Im Wismarer Landratsamt drückt sich Erhard Bräunig tief in den Besuchersessel und nippt am Kaffee. Der Ex-Landrat des früheren Kreises Nordwestmecklenburg versucht die Vision des schiffbaren Wallensteingrabens zu realisieren. Bislang erfolglos.
Die älteste Wirtschaftsvision Deutschlands
"Ausgangspunkt war ein Gutachten, das ein Berliner Ingenieurbüro gemacht hat zum Schweriner See. Da gab es zwei Varianten. Eine Variante: Den See so annehmen wie er jetzt ist und untersuchen. Und die zweite Variante war die Öffnung des Schweriner Sees nach Wismar. Das sagte aus, dass wenn der See nach Norden geöffnet wird, gebe es hier eine Belebung der gesamten Region. Es ist auch in diesem Zusammenhang gesagt worden, dass praktisch von Schweden bis Wismar, Schwerin, Berlin, bis Prag praktisch dann ein Wassertourismus entstehen könnte der in Europa seinesgleichen sucht."
Beide Protagonisten stehen für den vorläufig letzten Versuch die, mit über 600 Jahren Planungszeit, vielleicht älteste Wirtschaftsvision Deutschlands zu verwirklichen. Eine Vision, die im Mittelalter die Herzöge von Mecklenburg hatten mit dem Ziel den schwunghaften Salzhandel von Lübeck nach Wismar umzuleiten. Sie versprachen einen Schiffskanal von der Elbe über die Flüsse Elde und Stör sowie den Schweriner See bis nach Wismar. Doch die Lübecker bauten gleichzeitig einen Kanal und waren schneller. Das Monopol des Salzhandels blieb in Lübeck, verbunden mit dem Aufstieg zur mächtigsten Hanse-Stadt. Das Interesse an der "Viechelschen Fahrt" so hieß der Graben damals, dagegen sank. Der Stichkanal verfiel und der Schweriner See blieb die Endstation eines über Ländergrenzen hinaus führenden Netzes von Kanälen.
Der nächste, der sich für die rund 15 Kilometer lange Verbindung zwischen Schweriner Außensee und dem Wismarer Hafen interessierte, war Albrecht von Wallenstein. Der Feldherr brauchte unter anderem den Wasserweg für schnelle Truppentransporte im Dreißigjährigen Krieg.
Axel Höhn: "Als Wallenstein 1628 die Trümmer des Viechelschen Pfades, wie es damals hieß, besichtigt hat, hat er sofort zu seinem imaginären Geld gegriffen und hat gesagt: Hier muss investiert werden. Er hat mit Hamburger Schleusenbauer verhandelt, um dieses Projekt voranzubringen. Ist allerdings jämmerlich ermordet worden, nicht deswegen."
Was blieb, war der Name. Seither wird vom Wallensteingraben gesprochen. 1892 gab es durch den Wismarer Kanalbauverein den erneuten Versuch das Projekt anzutreiben. 1946 kam die russische Besatzungsmacht auf die Idee, Schwerin mit der Ostsee zu verknüpfen, vergaß das Projekt aber schnell wieder. Dann startete die DDR-Regierung, so Vereinsvorsitzender Axel Höhn, noch einen Anlauf.
"In den 80er-Jahren war das ein Thema, um die damalige Volksrepublik Polen zu umschiffen und den Verkehr DDR - Sowjetunion besser in den Griff zu bekommen."
Die Schnapsidee
Auch dieser Plan scheiterte an den Kosten. Mit der politischen Wende 1990 geriet der Graben in Vergessenheit. Wer dann die Idee wieder aufgriff, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Sowohl der Vereinsvorsitzende Höhn als auch der Ex-Landrat Bräunig nehmen für sich in Anspruch, die Diskussion über den Wallensteingraben begonnen zu haben. Aber vielleicht war es auch Günther Leymann, Abteilungsleiter im Umweltministerium, dessen "Schnapsidee" 1998 plötzlich eine Eigendynamik entwickelte:
"Das war im Juli, einer wunderschönen Juli-Nacht im Schlossbuchtcafe. Es war Wahlkampf und die PDS hatte gerade verkündet, 10.000 öffentliche Beschäftigte würde sie einstellen. Und wir haben ein bisschen rumgeblödelt, was könnte man kurzfristig mit 10.000 öffentlich Beschäftigten anfangen, die alle unterschiedliche Berufe haben. Ja, da bin ich dann auf die Idee gekommen, da könnte man ja aus dem Wallensteingraben einen Schiffsfahrtskanal graben nach Wismar. Natürlich nur mit Schaufeln und Schubkarren und so könnte man ganz kurzfristig 10.000 beschäftigen. Und das wurde dann weiter gesponnen in Richtung Wallenstein-Holter-Kanal. Schnaps habe ich an dem Abend nicht getrunken, aber es war natürlich eine Schnapsidee."
Wallenstein-Holter-Kanal! So benannt nach dem Feldherr und dem ehemaligen PDS-Landesentwicklungsminister Helmut Holter. Ein Scherz, mehr nicht. Aber es kam anders, als Leymann erwartet hatte. In einem NDR-Interview sagte er:
"So nahm das Unglück seinen Lauf. Kurz danach nahm die Stadt in Person des damaligen Baudezernenten Axel Höhn dieses Thema auf und es gab auch zwei Mitarbeiter, die von der Stadt eingestellt wurden nur für den Wallensteingraben. Es wurde ein schönes Büchlein über die Historie des Wallensteingrabens herausgegeben. Aber das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt und die Hansestadt Wismar und Nordwest-Mecklenburg sind wild entschlossen diesen Bau voranzutreiben."
Während Günther Leymann seine Schnapsidee bald wieder vergessen hatte, fixierte Axel Höhn, damals Baudezernent der Stadt Schwerin, den Wallensteingraben als neue Aufgabe. Er gründete 2004 den Verein Wallenstein-Wassergraben und sucht seither nach Leuten …
"… die das Thema genauso sehen wie wir und die keine oder wenig Angst davor haben, dass so etwas in einer Legislaturperiode realisiert werden kann."
Im Landratsamt des Kreises Nordwest-Mecklenburg in Grevesmühlen, rund 30 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt, übernahm Erhard Bräunig als Vorsitzender des regionalen Planungsverbandes die Rolle des Vordenkers. Der Wallensteingraben sollte so etwas wie sein Vermächtnis an die Region werden. Bräunig informierte 2005 den Kreistag, erhielt Unterstützung und forderte 500.000 Euro aus EU-Mitteln für die Planung des Projektes.
"Wallenstein taucht wieder auf"
"Ja, dieses Geld sollte für das Raumordnungsverfahren verwendet werden, um Gewissheit zu haben, bauen zu können. Das war praktisch nur einen Schritt hin zum Bau. Aber wie gesagt, nicht einmal diesen Schritt hat man zugelassen, hat das so torpediert. Fand ich ein bisschen feige, muss ich sagen."
Die Wogen gingen hoch, ansatzlos. Die Regionalzeitungen überschlugen sich mit positiven Schlagzeilen. Vom "Neuen Impuls" war die Rede, von der "Neuen Chance" bis hin zur Schlagzeile "Wallenstein taucht wieder auf." Die Bürgermeister und Ortsvorsteher der Gemeinden, an denen der Graben vorbeiführt, jubelten und kalkulierten voreilig mit großen Touristenströmen
Einer der großen Gewinner der Vision Wallensteingraben wäre die Gemeinde Mecklenburg geworden, etwa auf Hälfte der Strecke zwischen Schwerin und Wismar. Für Axel Höhn ein Dorf mit großer Geschichte und noch größeren Entwicklungschancen, wenn der Kanal gekommen wäre:
"Wir stehen am Fuße der Burg Mecklenburg, diese alte Obotritenfestung. 965 zum ersten Mal erwähnt gewesen. Und auch dieses wäre ein Punkt zur landseitigen Entwicklung, dass man sagt: Diese Burg Mecklenburg muss, wie auch immer, zum einem touristischen Punkt entwickelt werden, zu einem Informationspunkt für Schweriner und Mecklenburger, natürlich auch für die Gäste."
Ein Impuls für die ganze Region
Die Burg, von der das Bundesland den Namen ableitet, wirkt so tot wie die Gemeinde selbst. Wobei der leblose Eindruck der Gemeinde in dieser Region kein Einzelfall ist. Für den Ex-Landrat Bräunig ist es dennoch kein totes Land, sondern …
"Es ist Mecklenburg. Mecklenburg lebt ja hauptsächlich vom Fremdenverkehr. Aber wir hätten da einen großen Beitrag leisten können. Nicht nur jetzt für die Touristen, sondern auch wirtschaftlich hätte man hier allein der Bau dieses Wallenstein-Wasserweges wäre ja für die Wirtschaft ein unheimlicher Auftrag gewesen. Und es hätte sich an diesem Wasserweg einiges entwickeln können: Gaststätten, Rudervereine, Pensionen. Die Dörfer hätten davon profitiert, z.B. Dorf Mecklenburg. Also das wäre schon sehr belebend gewesen für die gesamte Region hier."
Naturschützer fürchten um den Haubentaucher
Vermutlich wäre es so gekommen. Während die Protagonisten Bräunig und Höhn zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam für ihre Vision kämpften, formierte sich der Widerstand. Allen voran Natur- und Umweltschützer wie Arnd Müller, heute Mitarbeiter in der Grünen-Fraktion des Landtages:
"Die Hauptargumente liegen ganz klar in dem Folge-Verkehr, der Schiffsverkehr, den wir bei einer Verbindung zur Wismar-Bucht auch für den Schweriner See zu erwarten hätten. Wir haben jetzt schon in der Hauptsaison eine enorme Bootsbelastung auf dem Schweriner See. Es gibt Schätzungen, dass am See 5000 Boote existieren. Eine genaue Zahl kennt keiner."
Wobei vielleicht ein Zehntel der Schiffe regelmässig auf dem viertgrößten Binnensee Deutschlands ist, davon die Mehrzahl Segelboote. Doch das verschweigt Müller. Stattdessen bringt er die Haubentaucher ins Spiel, die auch ohne Wallensteingraben immer weniger Eier legen:
"Am Schweriner See kommen zirka 50 der Haubentaucher in ganz MV vor. Das sind acht Prozent des gesamten deutschen Bestandes dieser Art, die hier vorkommt. Und in den letzten zehn Jahren haben Fachleute im Auftrag der Stadt Schwerin feststellen müssen, dass dieser Bestand um 17 Prozent abnahm, am Schweriner Außensee sogar um 50 Prozent."
Die Kritik der Umweltschützer gipfelte in der Angst, der Schweriner See würde komplett auslaufen, was allerdings nur möglich ist, wenn das Wasser bergauf fließen könnte. Noch heute schüttelt Erhard Bräunig den Kopf über die teils skurrilen Argumente der Naturschützer.
"Die Auswirkungen, was die Natur betrifft, wir hätten sie ja noch verbessert, da viele Seen entstanden wären und was weiß ich. Also ich sage mal, die Naturschützer, die haben da auch viel blinden Alarm geschlagen, der eigentlich gar nicht notwendig war. Die Natur wäre überhaupt nicht zerstört worden. Natürlich während des Baues, kann ich mir vorstellen, ja aber im Nachhinein wäre das für die Natur natürlich noch besser gewesen."
Das bestätigten Gutachten von Ingenieurbüros und Diplomarbeiten von Studenten, die immer neue Varianten des Wallensteingrabens entwickelten und damit vor allem für Verwirrung unter Gegnern wie Befürwortern sorgten: Mal sollte der historische Graben nur auf zwei Meter Tiefe ausgebaggert und auf 20 Meter Breite vergrößert werden, mal sollten vorhandene Seen aufgestaut und miteinander verbunden werden. Bräunig blieb jedoch bei Variante eins:
"Den jetzigen Graben öffnen und natürlich wären dort auch Wasserflächen entstanden, um die Schleusen auch mit Wasser zu bedienen. Nach Berechnungen unseres Büros wäre das Buddeln eines neuen Kanals mit Entstehung von Seen nicht bezahlbar gewesen. Da wären die Kosten um das Vielfache gestiegen."
Diese Idee – die sogenannte Variante vier – gefiel dagegen dem Vereinsvorsitzenden Höhn, auch weil die Planer ein Schiffshebewerk vorgesehen hatten, das so groß geworden wäre wie das Hebewerk im brandenburgischen Niederfinow. Auch dort müssen wie auf der Strecke Schwerin – Wismar über 36 Meter Höhenunterschied bewältigt werden.
"Sämtliche Vertiefungen, die es gibt, die durch die Eiszeit entstanden sind, sind mehr oder weniger Nord-Süd gerichtet. Und der Gedanke, den wir hatten ist, dass man diese Vertiefungen ausnutzen sollte, dass man diese Vertiefungen miteinander verbinden sollte und dadurch eine ganz natürliche neue Seenlandschaft entsteht, die natürlich das Ziel hat in Wismar oder Schwerin anzukommen. Und aus diesen Überlegungen heraus haben wir gesagt, wir wollen nicht den Wallensteingraben selbst in seiner Naturbelassenheit stören, denn die ist ja natürlich Jahrhunderte alt, sondern wir wollen östlich von hier einen neuen Weg finden."
Von nun an kämpften die Befürworter erbittert gegeneinander und verloren viele ihrer Unterstützer. Die öffentliche Stimmung wendete sich gegen das Projekt.
"Wir stehen im Augenblick im Westhafen in Wismar, genau an der Stelle, an der der Wallenstein-Wasserweg in die Ostsee münden müsste. Das steht relativ fest. Wir kommen über die Kuhweide, am Wonnemar vorbei, am Rande der Stadt in die Ostsee."
Soweit Axel Höhn mit seiner Variante Vier. Der historische Verlauf des Wallensteingrabens führt dagegen unter der heutigen Autobahn A 20 durch und weiter durch die Innenstadt zum alten Hafen. Der Stadtgraben ist noch vorhanden, wenn auch an vielen Stellen fast ausgetrocknet.
Die Landespolitik "blockiert"
Die beiden Kontrahenten blieben stur bei ihren Varianten und beschleunigten so das Ende ihres eigenen Traums. Beide machen heute die Landespolitik für das Scheitern des Wallensteinkanal-Projektes verantwortlich. Denn sowohl die Regierung Ringsdorf als auch die Regierung Sellerring distanzierten sich vom gesamten Projekt, was den Ex-Landrat noch immer ärgert:
Bräunig: "Ja das ist es und wenn Herrschaften solche Sprüche schmieden und sagen 'Spinnerei' oder 'nicht diskussionswürdig' dann zeigt es eigentlich nur, dass man sich auf dieser Ebene einig war, dieses Projekt nicht umsetzen zu wollen. Das war die hohe Politik in Schwerin, die haben das blockiert. Ich kann auch die Namen Ringsdorf sagen und Seidel, da habe ich überhaupt kein Problem mit."
Harald Ringsdorf war damals der Ministerpräsident des Landes und Jürgen Seidel der Wirtschaftsminister. Er führt finanzielle Gründe gegen das Wallenstein-Projekt an:
"Na ich will nicht sagen, zu einfach gestrickt. Wenn mir wirklich ein Konzept präsentiert wird, dann muss das am Ende eine Wirtschaftlichkeitsberechnung beinhalten und dann muss dies am Ende auch sagen, wie wollen wir das wirklich machen. Da muss man über Eigenanteile reden und all diese Dinge. Man bekommt ja keine Förderung zu 100 Prozent, das muss man auch mal an dieser Stelle erwähnen. Also in so fern. Das alles hat es nicht gegeben und ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, dieses Projekt Wallensteingraben zu einer solchen Qualität zu bringen, dass man wirklich eine Entscheidungsgrundlage hätte. Und ich gebe zu, dass ich persönlich, auch heute noch nicht, den Bedarf sehe, den manche auch aus verständlichen oder traditionsbewussten Gründen sehen, dass hat sich bis heute für mich nicht erschlossen."
Bundesland mit 2000 Seen
Aus der Sicht von Jürgen Seidel, heute Vorsitzender des Tourismusverbandes, hat das Bundesland mit insgesamt 2000 Seen genügend Wasserflächen, so dass weitere Seen nicht notwendig sind. Und die größten Seen davon sind in der Müritzregion; Heimat und Wahlkreis von Seidel, was Bräunig gerne aufgreift:
"Was sie sagen hier … die Vermutung liegt nahe. Ich kann ihm dass aber nicht unterstellen, aber es war eine Reaktion vieler, als wir ihm das vorstellt haben und er dann ablehnend reagiert hat, dass man sagte: 'Mensch, der Seidel will seine Region schützen.'"
In seiner Zeit als Wirtschaftsminister förderte Seidel lieber mit zweistelligen Millionensummen Firmenneubauten und Luxus-Hotels. Das heute nicht wenige der geförderten Projekte pleite sind oder die Betreiber sich wegen Subventionsbetruges vor dem Gericht verantworten müssen, dass sei "eben das übliche Risiko", so Seidel.
"Also es ist am Ende immer eine Überlegung, das stimmt, wie setze ich die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, ein und da war dieser Gedanke, das muss ich klipp und klar sagen, das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert, nicht überzeugend."
Gesamtkosten: 250 Millionen Euro
Die Stimmung kippte endgültig, als die Gesamtkosten für das Wallensteinprojekt bekannt wurden. Erst war von 100 Millionen Euro die Rede, dann 150 Millionen. Schließlich pendelte sich die Gesamtsumme bei über 250 Millionen Euro ein. Das Geld sollte durch Mittel aus dem EU-Topf für Regionalförderung, vom Bund und Land kommen. Der Landkreis selbst wollte sich lediglich um die Unterhaltskosten von rund einer Million Euro jährlich kümmern. Europäische Union, Bund und Land winkten jedoch ab. Der Landrat stand alleine da und konnte nur noch auf die Gutachten verweisen, die dem Wallensteingraben eine gute wirtschaftliche Entwicklung attestierten:
"Es gab ein Gutachten eines Hamburger Büros, IBS, und die haben auch die finanziellen Auswirkungen auf das Projekt, natürlich auch die Einnahmen berechnet. Die waren dann gestaffelt, je nach dem, wie viele Urlauber oder Segler jetzt da durch fahren. Natürlich, man hätte, wenn ich mich jetzt so richtig entsinne, innerhalb von drei Jahren praktisch die Kosten wieder reinholen können, bei 100-prozentiger Befahrungsregelung dieses Kanals."
Nach diesem Gutachten sollten jährlich rund 15.000 Schiffe den Wallensteingraben benutzen und der Region rund 107.000 Übernachtungsgäste mehr bringen. In Marinas, an den Schleusen und in Hotels, so die Gutachter, wären über 600 neue Arbeitsplätze entstanden. Es hätte der Region gut getan. Keine Frage. Denn außer dem touristischen Angebot hat die Region kein wirtschaftliches Entwicklungspotenzial. Doch der letzte Versuch, den Wallensteingraben flott zu machen, scheiterte im September 2008 am Veto des Kreistages. Es war die letzte Sitzung, die Landrat Erhard Bräunig leitete. Seine Nachfolgerin stand schon bereit. Heute formulierte er die entscheidende Sitzung so:
"Wenn der Kreistag nein sagt, dann kannst du nichts machen. Dann bist du tot."
Tot ist allerdings die Vision einer Wasserverbindung zwischen der Landeshauptstadt und der alten Hansestadt Schwerin nicht. Sie lebt weiter, beim Vereinsvorsitzenden Axel Höhn:
"Ich sehe es nicht als Kampf. Ich sehe es als Notwendigkeit, als Entwicklungsnotwendigkeit für das Land. Je mehr Klarheiten es geben wird, desto mehr Leute werden auch sehen, dass das ein ganz wichtiges Landesentwicklungsprogramm ist."
Und genauso bei Pensionär Bräunig.
"Den Mut hat man nicht verloren, glaube ich nicht, nein, nein. Was mich betrifft und auch alle anderen, die damit befasst waren. Wir haben bis zum Letzten aufrecht gekämpft. Wir sind in der Lage so was zu machen jetzt und wann denn wenn nicht jetzt."
Vielleicht klappt es in den nächsten 100 Jahren. Für Mecklenburger Verhältnisse kein all zu langer Zeitraum.