Mazyek: Islamismus mit dem Islam bekämpfen

Aiman Mazyek im Gespräch mit Jürgen König |
Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hält die Programme und Beratungsstellen für extremismusgefährdete Muslime für unzureichend. In der Bundesrepublik brauche es mehr "geschulte Muslime, die in der Lage sind, jene zu erkennen, die auf der Kippe stehen."
Jürgen König: Da ist eine muslimische Mutter, ihr Sohn fährt in den Urlaub, sie versucht ihn dort zu erreichen und erfährt nach endlosen Versuchen, ihn anzurufen, dass er gar nicht in die Ferien gefahren ist, sondern seit Langem heimlich eine türkische Sufi-Gruppe besucht. Nun gelten die Sufis im Allgemeinen als unpolitische Vertreter des Islam, aber die Mutter hat ein ungutes Gefühl, zumal sie erleben muss, dass ihr Sohn sich allmählich verändert.

Er nennt ihren Lebenswandel unislamisch, schimpft immer öfter auf Israel und die Juden. Im Laufe der Monate beschleicht die Mutter die Angst, ihr Sohn könne auf dem Weg sein, Terrorist zu werden. Sie sucht Rat, fragt beim Jugendamt, bei der Polizei, sogar zum Verfassungsschutz wird sie geschickt, und es stellt sich heraus, es gibt in Deutschland alle möglichen Beratungszentren, eines für Muslime in solchen Fällen aber nicht. Diesen ganzen Fall berichtete die "Tageszeitung" in Berlin. Am Telefon ist nun für uns Aiman Mazyek, der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Guten Tag, Herr Mazyek!

Aiman Mazyek: Schönen guten Tag!

König: Ist dieser von der "TAZ" geschilderte Fall ein absoluter Einzelfall oder werden Sie öfter mit derlei konfrontiert?

Mazyek: Die muslimischen Gemeinden, die Imame und die Vorstände werden durchaus mit diesen Fragen konfrontiert, und sehr oft kann man auch Rat geben und auch ein Stück weit weiterhelfen, aber einen professionellen Sektenbeauftragten, eine Professionalisierung gerade in dieser Arbeit, das ist vonnöten und das brauchen wir in der Tat auch für unsere muslimische Gemeinde.

König: Aber man kann sich das eigentlich überhaupt nicht vorstellen, denn über Scientology, über die Zeugen Jehovas, alle möglichen Sektenberatungsstellen gibt es, aber ein solcher Fall, wie ihn die "TAZ" – wie ich fand, sehr eindrucksvoll – geschildert hat, dass da diese Mutter wochenlang hilfesuchend herumläuft und einer schickt sie immer zum Nächsten. Ist der Zentralrat der Muslime da ein Ansprechpartner?

Mazyek: Ja natürlich, wie gesagt, wir bearbeiten ja diese Fälle. Ich glaube, die Programme, die wir haben, Sie müssen das uns eingestehen, reichen da nicht aus. Und auf der anderen Seite – und das ist vielleicht für die, sagen wir mal, für unsere Gesellschaft etwas neu –, Islamismus oder Extremismus kann man am besten mit dem Islam selber bekämpfen, das ist die beste Medizin.

Wir brauchen aber gerade geschulte Muslime, die in der Lage sind, jene zu erkennen, die auf der Kippe stehen, und sie dann sozusagen von diesem Beginn oder beim Beginn dieses Irrwegs wieder zurückzunehmen. Und die Institutionen sind da überfordert. Sie geben wahnsinnig viel Geld aus im Kampf gegen Terrorismus und so weiter, aber gerade die nachhaltige Präventionsarbeit, wo man auch die Muslime, die muslimischen Organisationen als Partner gewinnen kann, da wird kaum was ausgegeben. Und die muslimischen Organisationen machen das immer wieder deutlich.

Sie machen klar, das ist wichtig, Sicherheitsgespräche, Dialoggespräche und so weiter, aber wir haben gerade in diesen Sicherheitsgesprächen immer wieder darauf hingewiesen: Diese nachhaltige Präventionsarbeit, da reicht's nicht nur aus, Forderungen an die Muslime zu stellen, sondern die Forderungen müssen auch ganz konkret mit Haushaltsplänen verknüpft werden. Und wir hören bisher nur Forderungen, aber wenn's wirklich um Haushaltspläne, auch um Mittel geht …

König: Um Geld dann geht.

Mazyek: … genau, dann ist das recht mau. Wir haben zuletzt das zum Beispiel auf der Islamkonferenz ganz deutlich in den Arbeitsgruppen gemacht.

König: Die "TAZ" geht heute wieder auf das Thema ein, zitiert einen Experten, der sagt, der Austritt aus einer islamistischen Gruppe sei schwieriger als bei den Rechtsextremen. Sehen Sie das auch so heftig?

Mazyek: Das kann ich jetzt so nicht, ich denke auch, die Vergleiche hinken da ein Stück weit. Aber wir müssen hin, dass wir zum Beispiel erkennen, dass es auch Parallelen gibt. Schauen Sie, die gerade Angeklagten im Sauerland-Prozess, da sehen wir gewaltige Biografiebrüche. Da haben wir es mit einem Anführer zu tun, der beispielsweise einen atheistischen Vater hat, eine Mutter, die kaum religiös war, und dann plötzlich es im Islam zu … ja … eine Art Kampfesstimmung kam. Da müssen wir uns fragen, wie kommt das, welcher extremen Haltung ist er da nachgegangen, welchem Scharlatan ist er letztendlich auf den Leim gegangen? Das sind Dinge, da braucht's geschulte Kräfte, und die fehlen einfach in der Gemeinde.

König: Fehlen sie völlig oder ist es nur so, dass es, wie Sie es schon angedeutet haben, dass es sie zwar gibt, aber sie nicht die Mittel haben, wirklich effektiv arbeiten zu können?

Mazyek: Also sie gibt es, aber die sind zum Teil überfordert. Schauen Sie, der Imam kann das durchaus machen, aber der hat ja eigentlich vorrangig die Aufgabe, das Gebet zu leiten, als Seelsorger zu arbeiten, religiöse Grundbedürfnisse zu stillen und das zu tun. Natürlich kann er das noch machen, aber dann würde man ihm sozusagen das aufsatteln, aufbürden, und er wäre letztendlich auch zeitlich überfordert.

Also wir brauchen da schon professionelle Kräfte. Und ich habe auch darauf hingewiesen, dass das durchaus auch in Anlehnung an den wichtigen und guten Erfahrungen gemacht werden kann wie beispielsweise bei den Kirchen, die solche Sektenbeauftragten haben. Also da können wir ein Stück weit lernen und durchaus auch in Zusammenarbeit. Wichtig ist aber nur, dass muslimische geschulte Kräfte das tun. Das kostet Geld, aber das soll's uns eigentlich wert sein im Kampf gegen Extremismus, denn Prävention und nachhaltige Prävention gehen halt nur auch mit Mitteln, und wir können nicht nur ständig Forderungen anstellen.

König: Haben Sie, Herr Mazyek, als Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland schon Vorstellungen, wie man analog zu dem Beispiel, das sie genannt haben, analog zu den Kirchen ebenfalls entsprechende Beauftragte einrichten könnte?

Mazyek: Ja. Wir haben zum Beispiel eine ganz gute Erfahrung gemacht mit einer Arbeit, die wir in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium gemacht haben, machen zurzeit, und auch mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Und zwar ist es eine Organisation, die sich vor allen Dingen damit auskennt und langjährige Erfahrungen hat, Strafgefangene, die sozusagen auf den falschen Weg gelangt sind, wieder zurückzukriegen, vor allem im rechtsextremistischen Bereich.

Und es gibt natürlich auch muslimische Strafgefangene. Und da hat man die Zusammenarbeit mit uns aufgesucht und gesagt, das wäre doch sehr gut, wenn man zum Beispiel Imame oder auch Leute, die sozusagen auch eine gewisse Autorität haben, dass diese Imame und so weiter in die Gefängnisse gehen, zu diesen Menschen sprechen und sagen: Hört mal zu, nicht nur wegen unseren Gesetzen und wegen unserem Grundgesetz et cetera sind solche Straftaten nicht hinnehmbar, sondern auch letztendlich wegen deiner eigenen Religion, der du ja angehörst. Und Sie glauben gar nicht, was das für eine nachhaltige Wirkung hat.

Also dieses Beispiel kann man ranziehen. Und ich glaube, in so einem Kontext, in so einem Zusammenhang kann ich mir das auch gut vorstellen, sektenbeauftragte muslimische oder Extremismusbeauftragte, Extremismus auch Sachexperten, die dann sozusagen auf solche Fragen, die zum Beispiel diese Mutter hatte, eingehen und dann auch konkret helfen können.

König: Was mir noch dazu einfiel: Die Bundeszentrale für politische Bildung, die betreibt doch nun das, was sie in ihrem Namen schon vertreten, nämlich politische Bildung seit Jahrzehnten. Wäre das nicht auch ein Ansprechpartner für Sie, vielleicht Kooperationsprojekte?

Mazyek: Natürlich. Und auch da haben wir schon Konzepte, sozusagen in Vorleistung sind wir gegangen, haben auch schon Konzepte, Vorentwürfe gemacht.

König: Aber?

Mazyek: Ja, wir haben so ‛ne, gerade was diese Fragen angeht, läuft alles oder vieles noch mit Handbremse. Ich glaube, man tut sich schwer, sozusagen den Muslimen oder auch muslimische Organisationen als Partner zu begreifen und sozusagen dann in die Vollen zu steigen.

Ich glaube, da brauchen wir noch ein Stück weit Aufklärung, auch vielleicht ein Stück weit politischer Wille, der da und dort nicht so vorhanden ist, damit wir den Mut aufbringen, das eben mit in Zusammenhang mit den Muslimen zu machen. Ich kann nur wiederholen: Islamismus, Extremismus mit Islam bekämpfen, das ist die beste Medizin und das kann man am besten in der Partnerschaft mit den Muslimen machen, und mit den gehörigen und guten Erfahrungen beispielsweise einer Bundeszentrale für politische Bildung.

Denn was die Muslime brauchen wie Nicht-Muslime, wie alle, ist eben politische Kultur, politische Aufklärung. Das brauchen die Moscheen, die islamischen Gemeinden genauso wie andere Organisationen, und dafür werben wir und das fordern wir ein. Und ich denke, da sind wir – ein kleines Beispiel habe ich hier genannt, was die Gefängnisarbeit angeht –, das könnte man aber durchaus in anderen Bereichen auch ausweiten.

König: Sie haben das so allgemein gesagt, da gäbe es noch eine gewisse Scheu oder Berührungsängste – haben Sie denn mal den Leiter dieser Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, gefragt, und was hat er gesagt?

Mazyek: Ja, wir haben ihn ganz auch konkret mit diesen Vorstellungen konfrontiert und mit diesen Konzepten konfrontiert. Man hat das durchaus positiv aufgenommen, man hat das entgegengenommen. Aber bisher ist da nicht so viel passiert.

König: Es machen ja immer wieder Warnungen die Runde, Warnungen vor einem Terroranschlag vor der Bundestagswahl oder im Rahmen, im Zusammenhang mit der Bundestagswahl, um nach Logik der islamistischen Terroristen die Bundeswehr aus Afghanistan herauszubomben sozusagen. Gibt es eigentlich in Ihrem, im Zentralrat der Muslime in Deutschland Überlegungen, was in einem solchen Fall, wie die friedlichen Muslime in Deutschland sich in einem solchen Fall verhalten, sich äußern würden?

Mazyek: Also wir haben im Rahmen der Spitzen- oder der Dialoggespräche mit BKA und mit Verfassungsschutz auf Leitungsebene genau uns auch mit dieser Thematik auseinandergesetzt, auch was die Terrorwarnungen vor den Wahlen hier angeht. Und ich kann nur darauf hinweisen und immer wieder wiederholen: Was passiert eigentlich an so einem Tag X, der hoffentlich nie eintrifft, was passiert da? Und ich weiß zum Beispiel aus den Gesprächen mit Muslimen aus New York, dass gerade nach dem 11. September tagelang viele Muslime, zum Beispiel auch mit Kopftuch und so weiter, sich gar nicht getraut haben, auf die Straße zu gehen.

Was machen wir mit solchen Szenen, wenn die dann eintreffen? Wie gehen wir damit um? Und die Islamfeindlichkeit ist zum Teil stärker heute als noch vor acht, neun Jahren. Und wie gehen wir mit Überreaktionen auf die Muslime um? Das sind wichtige Dinge, die wir in Gesprächen mit den muslimischen Verbänden und den Sicherheitsbehörden erörtern und die, wenn ich das so sagen darf und salopp sagen darf, noch eher rudimentär behandelt werden. Und ich glaube, das müssen wir ändern.

König: Aber ich stelle mir das schon als Druck auf der Seele vor, wenn ich das etwas pathetisch sagen darf. Also das ist einfach eine große Last, stelle ich mir vor, wenn ich mich in Ihren Kopf hineinversetze.

Mazyek: Natürlich, und ich glaube nicht nur für die Muslime selber, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Geschichte. Also wenn hier sozusagen eine Hatz, eine Hetze in einem unvorstellbaren Maße stattfindet – und das kann man sich ja durchaus vorstellen –, wenn es zu einem so schrecklichen Anschlag kommen soll, was wir alle, so Gott, hoffen wir, nicht passieren wird, wenn es aber dann passiert, dann müssen wir da ganz konkrete Pläne haben, und die sind nicht da.

König: Herr Mazyek, ich danke Ihnen. Ein Gespräch mit Aiman Mazyek war das, er ist Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland.