Maxim Didenko beim Kunstfest Weimar

Den Wahn der Revolution zertanzt

Szene aus "Tschapajew und Pustotka" von Maxim Didenko auf dem Kunstfest Weimar.
Szene aus "Tschapajew und Pustotka" von Maxim Didenko auf dem Kunstfest Weimar. © Dasha Trofimova
Von Michael Laages · 01.09.2017
Das Kunstfest Weimar schließt mit einem Bühnen-Highlight ab: "Tschapajew und Pustotka" von Maxim Didenko nach dem Roman von Viktor Pelewin, gespielt vom Ensemble "Praktika Teatr" aus Moskau. Die Inszenierung der komplexen Geschichte ist Didenko absolut gelungen.
Dies ist eine Art Wiedersehen – denn als Schauspieler war Maxim Didenko Mitglied der in Dresden beheimateten Gruppe "Derevo", eines russisch-deutschen Ensembles; mit "Tschapajew und Pustotka" setzt er nun als Regisseur den fulminanten Schlusspunkt beim "Kunstfest in Weimar", das sich auf durchaus umstrittene Weise dem 100. Jahrestag des in der sowjetischen Oktober-Revolution siegreichen Kommunismus widmete. Didenkos Spiel-Version des komplex-abstrakten Romans von Viktor Pelewin, 1996 erschienen, reißt noch einmal rabiat die politisch-sozialen Abgründe auf, die sich zwischen dem Sieg 1917 und dem Untergang des Sowjetreiches 1991 auftun – auch im Bewusstsein der Künste.

Die Sprache der Körper

Als Regisseur setzt Didenko dabei selbst in der Umsetzung eines derart wort- und gedankenreich aufgefächerten und zerfasernden Romans weniger auf den Text als vielmehr auf die Sprache der Körper. In der mechanisch, ja maschinell und automatisch wirkenden Choreographie eines punkig-schrillen Rock-Konzertes zelebriert er im ersten Teil Pelewins Plot – mit dem Dichter Piotr Pustotka im Zentrum, der im Bürgerkrieg nach 1917 an den hohen Militär und dramatischen Haudegen Wassili Tschapajew gerät. Begleitet von einem dozierenden Pychiater, der ganz aus dem Hier und Heute stammt, werden die fundamentalen Widersprüche zwischen künstlerischem Eigensinn und kriegerischem Kollektiv verhandelt, zu Ivan Kushnirs schwermetallischem Rock-Sound.
Szene aus "Tschapajew und Pustotka" von Maxim Didenko auf dem Kunstfest Weimar.
Szene aus "Tschapajew und Pustotka" von Maxim Didenko auf dem Kunstfest Weimar. © Dasha Trofimova
Nur wer zumindest ein wenig Russisch kann, kommt gut mit – die Übertitelung ist wahnsinnig schnell und optisch grenzwertig schwach; ohne Russisch bleibt das Publikum wie der Ochs‘ vorm Tor. Dabei sollte schon zugänglich werden, ob "Bog", der gegen Ende vielbeschworene russische "Gott", tatsächlich Erlöserkraft besitzen kann … oder ob auch das wieder nur eine falsche Vision ist.

Tänzer mit indischen Göttermasken

Windeseilig wird die Bühne umgebaut – jetzt sehen wir (zwischen nun gelben und nicht mehr roten Eierkistenwänden) drei rätselhafte Baumstümpfe und sechs gelbe Leuchtstäbe. Über die Stümpfe hinweg (also "im Wald") schreiten wie in einer religiösen Prozession drei drogenkundige Kleinkriminelle, die nach dem "ewigen Kick" suchen. Ein Tänzer mit indischer Göttermaske begleitet das ruppig-ulkige Trio: ist das der erlösende "vierte Mann"? "Om mabni pade hum" hat das Ensemble ja schon zu Beginn gesungen …
Teil 3 spielt in der Badeanstalt. Der indische Gott ist nun eine singende Frau; und zu ihrer Litanei stürzen sich sechs Männer im Badeanzug und mit Badekappe nach grandios choreographierten Ritualen in eine Art Eis-Imitat, das hinten im (nunmehr blaugrünen) Raum liegt. Nur einer bleibt draußen – er scheint jetzt austherapiert zu sein: als ewiger Individualist gegenüber dem seelenlosen Kollektiv.

Kunstfest hat hohen Rang bewiesen

Das klingt so einfach zum Schluss – ist es aber nicht. "Tschapajew und Pustotka" ist ein zutiefst rätselhaftes Epos, das in immer wieder neuen, außerordentlich phantasievollen Bildern und Arrangements den Wahn zertanzen will, der "die Revolution" war in Bewusstsein der Massen. Didenko verfügt für diesen Dauer-Tanz auf dem Sowjet-Vulkan über ein unerhört kollektiv agierendes Ensemble, und die für diese Gruppe kreierten Choreographien reißen wirklich mit – in einen Strom, einen Sog, eine Art Delirium, das auch dann noch alle Sinne stärkt und schärft, wenn wir nichts oder zumindest nicht genug von den Worten verstehen, wie sie geschrieben stehen in Pelewins Roman.
Was mehr ist zu erwarten von der Bühnen-Adaption einer ohnehin schon extrem komplexen Geschichte?
Dies ist ein Highlight zum Finale – das Weimarer "Kunstfest" hat einmal mehr hohen Rang bewiesen. Ein Jahr noch wird es von Christian Holtzhauer geleitet, der danach Schauspielchef in Mannheim wird. Was wohl nach ihm kommt in Weimar …
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