Max Richters Komposition: "Sleep"

Schlafen im Konzert

Premiere Max Richters "Sleep" im Kraftwerk Berlin
Schlafende Frau im Konzert © MaerzMusik/ Berliner Festspiele / Camille Blake
Von Philipp Quiring · 17.03.2016
Das Stück "Sleep" dauert geschlagene acht Stunden. Aber keine Angst: Die Besucher des Konzertes dürfen, nein, sie sollen sogar schlafen. Max Richter will seine Musik mit ihrer Traumwelt verbinden, ein aufwändiges Schlaflied.
"Hello, welcome to our premier performance of ‘SLEEP’. So I wish you all a nice journey through the night and I’ll see you on the other side"
Eine Aufforderung zum Schlafen: In den frühen Morgenstunden des 16. März findet im Kraftwerk Berlin die öffentliche Weltpremiere von Max Richters Mammut-Schlaflied "Sleep" statt. Rund 500 Feldbetten stehen bereit. Schlafsäcke, Kopfkissen und Kuscheltiere müssen selbst mitgebracht werden. Acht Stunden lang - von 00:00 bis 08:00 Uhr - dauert der Variationen-Zyklus Max Richters.
"Ich wollte eine Art "Treffpunkt" finden von Musik und Geist, aber von einer schlafenden Perspektive ausgehend. Ich denke die Schlaflied-Musik, die sehr universal in der menschlichen Kultur ist, zeigt irgendwie eine intuitive Verbindung zwischen diesen beiden Seiten und das wollte ich ein bisschen erforschen."
Vor allem junge Leute von Mitte bis Ende 30 haben es sich bequem gemacht, um Teil dieses Experimentes zu werden.
"Bei anderen Konzerten möchte ich auf jeden Fall gerne lieber stehen oder sitzen oder mich dazu bewegen, aber wenn es so was ist…"
"Ich finde es schön, weil ich sonst ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn ich im Theater oder auf Konzerten müde werde und einschlafe. Und das dann sehr genieße, wenn das jetzt mal gewollt ist."
Max Richters Premiere von "Sleep" im Rahmen der MaerMusik im Kraftwerk Berlin
Konzert: "Sleep" von Max Richter© MaerzMusik/ Berliner Festspiele / Camille Blake

Musik, wie ein Kalaidoskop

Elena Garcia Gerlach und Nicolas Fethi Türksever bilden eines von vielen Paaren an diesem Abend.
Zu Beginn der Performance beginnt Richter selbst am Klavier. Seine langsamen Akkordrepetitionen erinnern an Messiaens ruhigen Cello-Klavier Satz aus dem "Quartett für das Ende der Zeit".
Nach rund einer halben Stunde nimmt auch der Streicherapparat - bestehend aus zwei Celli, zwei Geigen und einer Bratsche - am klanglichen Geschehen teil; später dann noch eine Sängerin.
Der 31-teilige Zyklus ist angelehnt an Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen - in denen die Basso-Ostinato Linie einer Aria in 30 Variationen verarbeitet wird.
"Als ich dieses Stück gemacht habe, dachte ich, wenn ich in der Mitte des Konzertes aufwachen würde: Dann möchte ich wissen, wo ich bin. Eine Form der Variation ist sehr gut dafür. Du hast noch die Basis-DNA des Themas. Es kann sich unterschiedlich anfühlen, aber du wirst es immer noch erkennen. Ich denke, diese Wiedererkennung ist sehr wichtig. Eine Art ‚Umwelt von unbewusster Information‘ - sodass du erkennst, was im Stück passiert."
Trotz des barocken Vorbildes und der kammermusikalischen Besetzung, ist Richters Werk alles andere als traditionell, vielmehr stellt es Kaleidoskop artig dar, was den vielseitigen Künstler ausmacht. Neben seinem klassischen Hintergrund - er ist studierter Pianist, studierte Komposition bei u.a. Luciano Berio - wird seine Auseinandersetzung mit den Minimal-Music Größen Steve Reich und Philipp Glass hörbar. Er verwendet kurze Motive, die er in Dauerschleifen sphärisch wiederholt.
Er arbeitet mit verschiedenen Klang-Ebenen, die übereinander liegen und mit Klangverarbeitungstechniken: Klangverzerrungen und Halleffekten - wie es in der elektronischen Kunstmusik ebenso wie in der Techno- und Ambient-Musikkultur gang und gäbe ist.

Manche Besucher schnarchen

"Während wir dies ausprobiert haben, waren wir lange wach und haben dafür tagsüber geschlafen -ebenso die Band. Denn das war körperlich sehr hart."
Mit fortschreitender Verweildauer bewegen sich die Zuhörer mehr und mehr Richtung Feldbett, - schlafen, manche schnarchen. Für die Musiker gilt es, sich über diesen langen Zeitraum hinweg zu konzentrieren. Richters "SLEEP" ist so komponiert, dass immer wieder längere Verschnaufpausen möglich sind, die Sängerin etwas trinken kann, der Cellist sich entspannen kann.
Als Zuhörer zu schlafen, ist nicht immer einfach. Die laut singende Sängerin weckt auf - nach einer längeren Halbschlafphase -, der elektronische Bass vibriert. Manch ein Besucher schläft nicht.
"Weil es so schön ist und ich überhaupt nicht das Bedürfnis hatte zu schlafen die ganze Zeit."
Nach der Spannung zu Beginn des Konzertes stellt sich eine friedliche Stimmung ein. Ein kollektives Erleben einer räumlichen und zeitlichen Erfahrung findet statt. Müdigkeit und Ausgeruhtheit bleiben gleichermaßen - ganz im Sinne des Schöpfers Max Richter.
"Für mich ist das Thema des Stückes: Die individuelle Reise durch dieses Material, die der Zuhörer durchlebt und die jeder auf seine eigene Weise vollzieht. Einige Leute schlafen, andere bleiben wach. Aber die meisten werden ein wenig von beidem machen. Aber genau das möchte ich herausfinden, dass ich sehe, wie Menschen diese Reise vollziehen."
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