Max-Planck-Gesellschaft: Grundlagenforschung stärker fördern

Peter Gruss im Gespräch mit André Hatting |
Vor dem Hintergrund des geplanten Forschungsförderprogramms "Horizon 2020" hat der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, für mehr Grundlagenforschung mit EU-Mitteln plädiert. Wichtig sei zudem, den Zugang zu den Geldern für mittelständische Firmen zu erleichtern.
André Hatting: Alle reden von Krise, überall wird gespart - nur nicht in der Forschungsförderung. Sie haben richtig gehört. Die frohe Botschaft kommt von der Europäischen Union: Sie will mit dem Rahmenprogramm "Horizont", englisch "Horizon", bis 2020 insgesamt rund 80 Milliarden Euro bereitstellen. Nie zuvor gab es so viel Geld aus Brüssel für die Forschung. Mal zum Vergleich: Im Bundeshaushalt sind für Bildung und Forschung für 2012 etwa 13 Milliarden eingepreist. Im kommenden Jahr soll das Forschungsrahmenprogramm der EU-Kommission verabschiedet werden. Bis dahin gibt es aber noch einigen Korrekturbedarf: Das fordert Prof. Dr. Peter Gruss, er ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Guten Morgen, Herr Gruss!

Peter Gruss: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: 80 Milliarden Euro für die Forschung - macht Sie das glücklich?

Gruss: Das macht mich sehr glücklich, es sollte aber alle glücklich machen, denn dieses Geld geht ja nicht für die Forschung, sondern dieses Geld wird ja dann mittelbar für die gesamte Gesellschaft, die Entwicklung unserer Projekte, die Entwicklung der Gesellschaft aber auch der industriellen Entwicklung aufgewendet.

Hatting: Genau da müssen wir nachhaken, industrielle Entwicklung: Es ist ja so, dass die EU-Kommission möchte, dass eben auch nicht nur die Wissenschaftsforschung an den Universitäten, sondern auch die der Industrie gefördert wird. Finden Sie das klug, wenn Hochschulen und Privatfirmen in einen Topf geschmissen werden?

Gruss: Das Ziel ist es ja, die Forschungsergebnisse auch zu nutzen für die Entwicklung neuer Produkte, die dann die europäischen Länder wieder international konkurrenzfähig machen auf dem Weltmarkt. Und in diesem Sinne hat dieses Programm "Horizon 2020", also "Horizont 2020", so nennt es sich, drei Säulen: Die eine Säule sind die gesellschaftlichen Herausforderungen, die zweite Säule ist die Industrieführerschaft, und die dritte Säule ist die Exzellenz in der Wissenschaft. Und ich glaube, es wird jedem Industrieprogramm gut anstehen, hier die Grundlagenforschung einzubeziehen, sodass ich mir schon gewünscht hätte, dass diese Elemente Grundlagenforschung auch in den Programmen Industrieführerschaft und gesellschaftliche Herausforderungen noch einen Raum finden.

Hatting: Der Bundesverband der deutschen Industrie betont - das ist wenig verwunderlich - dass, wenn man mit den USA, China oder Japan bestehen möchte, dann muss eben die Forschung stärker auf Produkte und Dienstleistungen gucken, sich darauf fixieren. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass es der Industrie und offenbar jetzt auch der EU-Kommission - und in Ihren Ausführen, Herr Gruss, schien das auch gerade so ein bisschen durchzuklingen - immer schwerer zu vermitteln ist, dass es eben dazu auch Grundlagenforschung braucht.

Gruss: Da stimme ich Ihnen vollständig zu. Man weiß aus wirtschaftswissenschaftlichen Studien, dass es gerade solche Forschungsergebnisse sind, die natürlich meist durch die besten Wissenschaftler dann erzielt werden, die einen hohen Anteil haben am volkswirtschaftlichen Gut und natürlich am wissenschaftlichen Gut. Ich selbst war ja mehrfach auch in Südkorea und habe von den südkoreanischen Politikern und Wissenschaftlern vernommen, dass Südkorea exakt in dieser Richtung gefördert hat in der Vergangenheit, also überwiegend anwendungsnah, jetzt aber zu dem Schluss gekommen ist, dass damit keine Weltmarktführerschaft mehr erreichbar ist und insofern ein überproportionales Förderprogramm aufgelegt worden ist zur Förderung der Grundlagenforschung in Südkorea. Das kann ich unseren europäischen Politikern nur anempfehlen, mal einen Blick auf solche Länder zu werfen, um auch dann zu den Schlüssen zu kommen, dass, und so glaube ich, die Forschung, die neugiergetriebene Forschung in Europa noch stärkere Förderung erfahren muss.

Hatting: Innovation ist mal wieder das Zauberwort. Die EU will erreichen, dass neue Ideen besser vermarktet werden, aber vielleicht gibt es einen besseren Weg, als die Industrie und die Wissenschaft gegeneinander antreten zu lassen. Was ist Ihr Vorschlag?

Gruss: Man muss heute wissen, dass Grundlagenforschung, die ja in der Breite betrieben wird durch die Universitäten, durch Strukturen wie CMS in Frankreich oder Max Planck in Deutschland, dass diese Grundlagenforschung mit ihren Ergebnissen noch nicht industriegängig ist. Früher, als es noch reichlich Venture-Kapital, also Risikokapital gab, war es kein Problem, solche frühen Ergebnisse auch zu vermarkten. Die Zeiten sind heute vorbei, insofern ist es unabdingbar, dass man Brücken baut zwischen dem Ergebnis, das der Wissenschaftler erzielt, und einem validierten Produkt, welches dann für die Industrie auch finanztechnisch bezahlbar und interessant und wobei das Risiko minimiert ist. Das heißt, es wird heute mehr als je zuvor notwendig sein, zusätzliche Förderung zu erhalten für diese - ich nenne das mal - Validierungsforschung, Instrumente aufzubauen wie zum Beispiel Inkubatoren.

Hatting: Was genau meinen Sie mit Inkubatoren?

Gruss: Inkubatoren, damit meine ich, dass ein finanziertes Programm besteht, ein Programm, das es einem jungen Entrepreneur ermöglicht, für zwei bis drei Jahre voll finanziert seine Idee in Räumlichkeiten umzusetzen, die voll ausgestattet und ausgerüstet sind. Und ich will hier nur noch mal als Beispiel ansprechen: Israel. Israel hat, ich glaube, ein Dutzend dieser Inkubatoren, und Israel ist weltweit mit das erfolgreichste Land, wenn es darum geht, die Ergebnisse der Universitäten umzusetzen in eine junge Hightech-Industrie.

Hatting: Herr Gruss, welche Änderungen am Forschungsrahmenprogramm der EU fordern Sie aufgrund dieser Erfahrungen?

Gruss: Insbesondere, dass man hier eine balanciertere und einen besseren Ausgleich in der Finanzierung schafft zwischen der Forschung, die die Grundlagenergebnisse liefert, und deswegen komme ich zurück zu meinem Eingangsstatement: Das heißt aber auch, dass man Grundlagenforschung zulassen sollte und muss, bei den gesellschaftlichen Herausforderungen, bei der Industrieführerschaft.

Darüber hinaus ist es ganz wichtig - jetzt rede ich mal mehr über strukturelle Probleme -, dass die EU-Förderung entbürokratisiert wird. Es ist zum Beispiel für mittelständische Firmen nahezu unmöglich, durch diesen bürokratischen Wasserkopf durchzudringen, um dann auch für eine klein- und mittelständische Firma hier eine Förderung zu erhalten. Das ist dringend angesagt, und ERC, also der Europäische Forschungsrat, hat beispielhaft gewirkt, wie so etwas aussehen kann, und ich würde mir sehr wünschen, wenn solche vereinfachten Prozesse für die anderen EU-Rahmenprogramme auch angelegt werden.

Hatting: Die EU-Kommission will die Forschungsförderung mit einem neuen Rahmenprogramm erhöhen, Umfang bis 2020 etwa 80 Milliarden Euro. Das war ein Gespräch mit Prof. Dr. Peter Gruss, er ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gruss!

Gruss: Vielen Dank, Herr Hatting!

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