Max Ophüls

„Die Liebe. Das Leben. Eben.“

Max Ophüls auf einem historischen Porträtfoto in schwarz-weiß.
Max Ophüls Leben war kurz, von 1902 bis 1957. Ein Leben im Zickzack, quer durch Europa bis nach Hollywood und zurück. © imago / Ronald Grant Archive / Mary Evans
Von Martina Müller · 07.05.2022
„Tragische und komische, klassische und moderne Stücke, Operetten und politische Zeitstücke, Possen, alles durcheinander. Von einer Art zur anderen zu wechseln und nicht festgelegt zu werden auf einen Stil oder eine Spezialität, war meine einzige Ambition.“ Max Ophüls
In Max Ophüls’ Filmen ist alles in Bewegung: Kamera, Personen, Objekte. Ein ununterbrochenes Spiel, das keine Eindeutigkeit preisgibt, immer neue Perspektiven schafft. Alle Verhältnisse geraten ins Rutschen – ein atemloses Tempo im Rhythmus der Musik. Kamerafahrten von schwebender Leichtigkeit – wie das Tanzen, das im fließenden Dahingleiten kein Ende nimmt und Zeichen einer eigenen Zeit setzt. Wie die Liebe, die jenseits der Logik zirkuliert.

Leben und Werk

Sein Leben war kurz, von 1902 bis 1957. Ein Leben im Zickzack, quer durch Europa bis nach Hollywood und zurück. Die Nazis haben ihn, der in Saarbrücken als Max Oppenheimer geboren wurde, vertrieben. Wie sein Künstlername auszusprechen sei – Ofüls oder Op-hüls – hat er unklar gelassen. Bloß keine Eindeutigkeiten – das gilt auch für seine Filmarbeit. 25 Filme in 25 Jahren.
Vor seinem ersten Film 1931 liegen zehn Jahre Theaterarbeit: Schauspielerei und Regie, siebzig Inszenierungen an deutschen Provinztheatern; aber auch am Burgtheater in Wien, in Frankfurt, Breslau und in Berlin. Wann immer Ophüls mit seiner Gage als Theaterregisseur nicht auskam, gab es den Rundfunk: „Ich fing als literarischer Kolumnist an, fand meinen eigenen Stil von Zwischen-Vorlesungen von Gedichten, dramatischen Szenen, Romanen, verbunden mit eigenen Improvisationen, Parodien, Betrachtungen, und dieses Potpourri vermengte ich manchmal mit Reportagen von Vorstellungen oder sogar Sportveranstaltungen“, beschreibt Ophüls selbst sein Schaffen.
Eine neue Sicht von der Welt zu geben, Dinge umzukehren, selbst in Stein gemeißelte Worte zum Tanzen zu bringen – darin sah Max Ophüls die Aufgabe des Filmregisseurs.

Exil oder Karrieresprung?

Der Exodus aus der deutschen Filmindustrie ab 1933 klingt bei einem Reporter zwanzig Jahre später so, als sei es um einen Karrieresprung gegangen.
Der internationale Erfolg von Liebelei erleichtert Ophüls den Neuanfang in der Emigration, er bekommt Filmaufträge in Frankreich, Italien und in den Niederlanden. Seine erste Arbeit im Pariser Exil: ein französisches Remake von „Liebelei“. Sein letzter Film vor dem Einmarsch der Nazis in Frankreich: „Von Mayerling bis Sarajewo“, die Geschichte des österreichischen Thronfolgerpaars.
In Paris beteiligt sich Ophüls an antifaschistischen Radiosendungen, die regelmäßig nach Nazideutschland übertragen werden. Nach der Kapitulation 1940 und der deutschen Besetzung Frankreichs flieht er in den Süden nach Aix-en-Provence und weiter in die Schweiz. Mit Therese Giehse und anderen Emigranten inszeniert er am Zürcher Schauspielhaus. Ein Filmprojekt in Genf scheitert. 1941 kann er über Marseille und Lissabon mit seiner Frau Hilde und dem Sohn Marcel in die USA einreisen.
In Europa ein Wiener – und in Hollywood? Einer von vielen Emigranten mit einem Namen, aus dem die Amerikaner Offals oder Awfuls machen. Der Produzent Howard Hughes erfindet den wenig schmeichelhaften Spitznamen The Oaf. 1947, sechs Jahre nach seiner Ankunft in den USA, bekommt Ophüls das Regieangebot für den Film „Letter From An Unknown Woman – Brief einer Unbekannten“, nach der Erzählung von Stefan Zweig.
Filmszene aus "BRIEF VON EINER UNBEKANNTEN FRAU" aus dem Jahr 1948. Von links: Louis Jordan, Joan Fontaine, Marcel Journet.
Filmszene aus "Brief von einer unbekannten Frau" aus dem Jahr 1948. Von links: Louis Jordan, Joan Fontaine, Marcel Journet.© imago / Everett Collection

Rückkehr nach Europa

Für einen Film mit Greta Garbo reist Ophüls 1949 zurück nach Europa. Das Projekt mit der Garbo löst sich in Luft auf … Doch Ophüls bleibt in Europa und beginnt von vorn. Seine Vorkriegsfilme sind kaum bekannt, seine in Hollywood gedrehten Filme kommen gerade erst in die Kinos. Wo anknüpfen? Beim Südwestfunk in Baden-Baden wird er Hörspiele inszenieren, der Intendant kennt seine Radioarbeiten aus der Vorkriegszeit. Rundfunk in Deutschland, Wohnsitz in Frankreich.
Seine Filme kann Ophüls nicht unabhängig von Angebot und Nachfrage realisieren. Als sich das Scheitern des Garbo-Films abzeichnet, bekommt er in Paris das Regieangebot für den Film "La Ronde" – "Der Reigen". Nach dem Theaterstück von Arthur Schnitzler.

„Der Reigen“

Zehn Paare, zehn Partnerwechsel. Die Liebe und der Verrat der Liebe halten Schnitzlers Reigen zusammen wie eine ansteckende Krankheit, die von einem zum nächsten getragen wird.
Ophüls erfindet eine Figur, die in Schnitzlers Reigen nicht auftaucht und lässt den Schauspieler selbst nach seiner Rolle suchen. Unangestrengt und beiläufig sehen wir, was sonst verborgen bleibt: die Vorarbeit zu einem Film – von den ersten Überlegungen zum Konzept. Ein namenloser, erotisch unbestimmbarer Deus ex machina führt die Paare zusammen. Regie als eigenständige Rolle. Die Liebe fällt nicht vom Himmel, sie wird von einem „Meneur de jeu“ inszeniert, der mit einem Karussell spielt, dessen Mechanik den Kreislauf in Gang hält. Ein Spiel mit den Erwartungen des Publikums und mit den zu erwartenden Vorbehalten der Zensur.
Szene aus dem Film "Der Reigen" von Max Ophüls
Szene aus dem Film "Der Reigen" von Max Ophüls© Imago / Mary Evans
Wie selbstverständlich wird der Wechsel von einem Schauplatz zum nächsten sichtbar gemacht – bei einem Spaziergang vorbei an Scheinwerfern, umher stehenden Dekorationen, Schnüren, Leitern und Lüstern. Mechanismen der Inszenierung, die Herstellung des Films selbst wird vorgeführt. Der Glaube an Ort, Zeit oder gar an Liebe, die Einfühlung des Publikums in das Schicksal der Paare, all das wird von vornherein gebrochen. Für die Besetzung des Films bekam Ophüls die besten französischen Schauspieler: Simone Signoret, Jean-Louis Barrault, Gérard Philipe oder Danielle Darrieux in der Rolle der Ehefrau; ihren jungen Liebhaber spielt Daniel Gélin.

„Lola Montez“

Das todsichere Geschäft mit Filmen – damit ist Max Ophüls vertraut. Bei seinem Film „Lola Montez“ hat er es mit Produzenten zu tun, die wenig Kenntnis von Filmproduktion haben, aber eine große Begabung, Millionen aufzutreiben und auf einen Kassenerfolg zu spekulieren, der mit roten Zahlen und Bankrotterklärungen endet. Die leitenden Herren sind Filmverkäufer, Devisenhändler, Immobilienmakler, Hotel- und Brauereibesitzer.
„Lola Montez“, ist der teuerste Film im Nachkriegseuropa und soll das europäische Gegenstück zu Hollywoods „Vom Winde verweht“ werden. Internationale Besetzung. Farbe, CinemaScope. Drei eigenständig gedrehte Fassungen in Deutsch, Französisch, Englisch. Weltweite Vermarktung. Ein garantierter Gewinn. Was für Aussichten!
„Als man mir vorschlug, einen Film über Lola Montez zu machen, war mir dieses Sujet absolut fremd. Ich mag keine Biographien, in denen so viele Dinge passieren. Eines Tages erzählte mir der Produzent das Leben der Lola Montez, und mich packten Schwindel und Mitleid; Mitleid für diese arme Lola, Mitleid für den Filmemacher, der diesen Auftrag annehmen würde.“
Historisches Filmplakat zu "Lola Montez" von Max Ophüls aus dem Jahr 1955. Es zeigt Martine Carol und Peter Ustinov.
„Lola Montez“, war der teuerste Film im Nachkriegseuropa und sollte das europäische Gegenstück zu Hollywoods „Vom Winde verweht“ werden.© imago / KHARBINE-TAPABOR
„Langsam fand ich einen Gedanken, der mich interessierte an diesem Leben und zwar war das der Gedanke über die Leerheit, über das Unnütze von manchen Karrieren, die nur aufgebaut sind auf Sucht nach Geltung, auf äußeres Vorwärtskommen, und ich habe mir vorgestellt – vielleicht ist das eine Illusion – , dass es interessant wäre, einen Karrierefilm von dem Gesichtspunkt her mal zu drehen.“
Dass die historische Lola Montez um 1850 ihr Leben zur Schau gestellt hat, das hat ihn interessiert. Dafür erfindet er einen amerikanischen Fantasiezirkus mit einer Revue, die mehr mit dem Showbusiness der Gegenwart zu tun hat als mit dem 19. Jahrhundert.
Ustinov umkreist Lola mit der Peitsche – wie ein Dompteur ein regungsloses Raubtier. Und mit ihm dreht sich die Kamera um 360° – eine doppelte Kreisbewegung um ein erstarrtes Zentrum. Während des Fragespiels wird Lola auf einer Drehscheibe zur Schau gestellt und vom Ringmeister um die eigene Achse gedreht. Nicht sie, die berühmte Tänzerin Lola Montez, tanzt: Sie wird gedreht, ein passives Tanzen im Stillstand.

„Lola Montez“ – zwischen Kritik und Bewunderung

Paris 1955. Der Kinostart von „Lola Montez“ provoziert einen Skandal auf den Champs-Elysées: Hunderte von Kinobesuchern protestieren gegen Max Ophüls’ Film. Sie fordern das Eintrittsgeld zurück, hindern neu ankommende Besucher daran, das Kino zu betreten. Der Einsatz der Polizei verschärft die Proteste.
In der öffentlichen Kritik handelt sich Ophüls den Vorwurf ein, dass in drei Sprachen durcheinander gesprochen werde, gehe über die Einfühlungskraft des ohnehin strapazierten Publikums. Niemand könne etwas verstehen, in den normalen Vorstellungen werde gemurrt und gepfiffen.
In der Presse vernichtende Kritiken – und kollegiale Unterstützung: Jean Cocteau, Roberto Rossellini, Jacques Becker und andere Filmemacher veröffentlichen ihre Begeisterung für Lola Montez. Der offene Brief wird zu einem Manifest, dem sich Filmkritiker anschließen. Bewunderung für Max Ophüls, der es gewagt und gekonnt hat, einen Film der Avantgarde zu machen. Speerspitze der Verteidigung ist François Truffaut: „Ganz wie seine Titelheldin kann dieser Film Skandale provozieren und Leidenschaften entfachen. Wenn gekämpft werden muss, werden wir kämpfen, wenn polemisiert werden muss, werden wir polemisieren. Das ist das Kino, das man heute verteidigen muss, ein Autorenkino, das zugleich ein Ideenkino ist, das mit jedem Bild die Einfälle aufsprühen lässt, ein Kino, das Türen einrennt, die lange versperrt waren.“

Der Auftakt zur „Nouvelle Vague“

„Es ist wirklich eine unglaubliche Sache, dass es das Publikum eigentlich nicht mehr gibt. Es gibt eine Masse von Konsumenten, das ist alles. Das sind keine Individuen mehr, die bereit sind, etwas aufzunehmen, das sind lediglich Leute, die kommen und konsumieren und zerstören, was sie gerade konsumiert haben.“ So charakterisiert Ophüls das Publikum seiner Zeit.
Sein letzter Film, der Produzenten und Publikum schockiert, öffnet einer jungen Generation von Filmemachern Augen und Ohren; in schönster Anlehnung an Ophüls’ Ideen entsteht Ende der Fünfziger Jahre ein radikal neues Kino – das Kino der Nouvelle Vague. Für Ophüls selbst wird es nach dem Misserfolg von „Lola Montez“ in der Filmbranche eng, Produktionstermine für einen neuen Film verschleppen sich.
Mit großem Erfolg inszeniert Ophüls Beaumarchais’ „Der tolle Tag“ im Schauspielhaus Hamburg. Bei der Premiere im Januar 1957 liegt er krank im Hotelzimmer, zwei Monate später stirbt er im Hamburger Marienkrankenhaus. Seine Urne wird auf dem Friedhof „Père-Lachaise“ in Paris beigesetzt.

Literatur und Medien:
Helmut G Asper, Max Ophüls: Spiel im Dasein: Eine Rückblende (Erinnerungen). Alexander Verlag, Berlin, 2015
Max Ophüls und Marianne Kehlau: Gedanken über Film: Originaltondokument aus dem Jahr 1956, Audio-CD

Eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur 2022.
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