Mauern des Schweigens
Nein, mir ist nichts passiert. Nicht einmal ein aus Zeitungsbuchstaben zusammengeklebter Drohbrief in meinem Briefkasten, kein Pflasterstein im Wohnzimmerfenster, keine zerstochenen Reifen am Auto. Nein, mir ist nicht das mindeste zugestoßen.
Dabei hatte ich als Fernsehredakteur doch einen Film verantwortet, der sich am Beispiel Bethlehems mit der beschämenden Behandlung christlicher Palästinenser durch islamistische Landsleute beschäftigte. Er stellte muslimischen Extremisten im vermutlich niemals so richtig Heiligen Land ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. "Politisch unreif und religiös intolerant" findet sich da unter dem Rubrum 'Verhalten'.
Ausgestrahlt wurde dieser Film allerdings nie. Nach seiner Ankündigung im Internet hatten die in dem Streifen portraitierten Christen eindringlich darum gebeten, die Dokumentation im Moment nicht zu zeigen, und die ARD hatte dieser Bitte schließlich entsprochen. Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Informanten und als Schutz für ihre Kontaktpersonen vor Ort. Hatten diese wegen ihrer offenen Worte zu ihrer schwierigen Lage, zu Rechtsbrüchen bis hin zu Raub und Mord, nach dem überraschenden Wahlsieg der Hamas doch plötzlich um Leib, Leben oder wenigstens Besitz gefürchtet.
Nun kann man mit Sicherheit darüber streiten, ob diese Befürchtung berechtigt ist. Die ja immerhin demokratisch gewählten neuen palästinensischen Machthaber samt ihren Gefolgsleuten unter terroristischen Generalverdacht zu stellen, ist mindestens ebenso dumm wie die Annahme, bei Hamas-Anhängern handele es sich ohne Ausnahme um gottesgläubige Gutmenschen, die allein durch israelische Panzer und Raketen daran gehindert würden, für Menschen aller Religionen ein Paradies auf Erden zu schaffen. Wie sich die neue Regierung zwischen religiösem Anspruch und irdischer Realität letztendlich einrichten wird, kann hier aber getrost offen bleiben; darüber mögen die üblichen Experten sich zu gegebener Zeit ihre multimedial bekannten Köpfe zerbrechen.
Was hier allerdings zum Thema gemacht werden soll, ist die Einschüchterung, für die muslimische Fundamentalisten schon jetzt gesorgt haben. Die Turbulenzen um unseren Fernsehfilm sind leider nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die weltweit zu beobachten ist.
Vor allem seit den globalen Gewaltausbrüchen nach ein paar lächerlichen Karikaturen in einem dänischen Provinzblatt hat sich die Situation verändert. Wo Kollegen bislang freimütig Auskunft bekamen, werden plötzlich im Eiltempo Schweigemauern hochgezogen, hinter denen sich diejenigen verstecken, die sich bedroht fühlen. Offene Interviews werden so schnell zur Mangelware. Wenn sie überhaupt stattfinden, ist eine Anonymisierung in vielen Fällen Bedingung.
Angst haben jetzt nicht nur Christen wie die in Bethlehem, ängstlich geworden sind auch viele Muslime. Ziel von Einschüchterungen sind nicht zuletzt die Querdenker dieser Religion, diejenigen, die auf Verständnis setzen, auf Dialog, auf Fortentwicklung statt auf Stagnation oder gar Rückschritt.
Die Verhältnisse – sprich: Die ungeahnte Wucht der religiösen Auseinandersetzungen – haben uns Journalisten mittlerweile in eine Lage gezwungen, in der wir häufig nicht mehr das sagen und zeigen können, was wir eigentlich sagen und zeigen müssten. Nicht, dass wir an unseren bequemen Redaktionssitzen hierzulande etwa selbst bedroht würden, nein, es sind unsere Kontaktleute und potentiellen Interviewpartner, es sind unsere lokalen Kollegen und Helfer vor Ort, die inzwischen in einem Klima leben, das ihnen immer öfter den Mund verschließt.
Konkrete Gewaltandrohungen sind dabei noch nicht einmal nötig; Symbole genügen: Die Mafia funktioniert ähnlich. Meist reicht es schon, wenn unsere Gewährsleute beobachten können, wie es denen ergeht, die aus der Reihe tanzen, die die religiösen oder politischen Hardliner markiert haben. Wenn ihnen vorgeführt wird, was denen geschieht, die etwas anderes sagen oder tun als das, was der mehr oder minder verordneten Mehrheitsmeinung entspricht.
Seriös arbeitenden Journalisten – und das dürfte erfreulicherweise in Deutschland immer noch die Mehrheit sein - seriös arbeitenden Journalisten kann es nicht darum gehen, vereinfachenden Pauschalurteile zu fällen. Beim Islam nicht, und anderswo auch nicht.
Gerade diese Kollegen leiden aber besonders darunter, dass es bei Recherchen im muslimischen Umfeld schwieriger geworden ist, an Informationen zu kommen, wie sie für eine kritische und aufklärende Berichterstattung unabdingbar sind.
Wenn ein solcher unabhängiger Journalismus mehr und mehr von außen gelähmt zu werden droht, weil die Informationsquellen versiegen, dann wird eine gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt. Dass wir als Redakteure und Reporter unsere Informanten schützen, ist nicht mehr als recht und billig. Dass dieser Schutz so wichtig geworden ist, ist das eigentliche Problem.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt.
Ausgestrahlt wurde dieser Film allerdings nie. Nach seiner Ankündigung im Internet hatten die in dem Streifen portraitierten Christen eindringlich darum gebeten, die Dokumentation im Moment nicht zu zeigen, und die ARD hatte dieser Bitte schließlich entsprochen. Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Informanten und als Schutz für ihre Kontaktpersonen vor Ort. Hatten diese wegen ihrer offenen Worte zu ihrer schwierigen Lage, zu Rechtsbrüchen bis hin zu Raub und Mord, nach dem überraschenden Wahlsieg der Hamas doch plötzlich um Leib, Leben oder wenigstens Besitz gefürchtet.
Nun kann man mit Sicherheit darüber streiten, ob diese Befürchtung berechtigt ist. Die ja immerhin demokratisch gewählten neuen palästinensischen Machthaber samt ihren Gefolgsleuten unter terroristischen Generalverdacht zu stellen, ist mindestens ebenso dumm wie die Annahme, bei Hamas-Anhängern handele es sich ohne Ausnahme um gottesgläubige Gutmenschen, die allein durch israelische Panzer und Raketen daran gehindert würden, für Menschen aller Religionen ein Paradies auf Erden zu schaffen. Wie sich die neue Regierung zwischen religiösem Anspruch und irdischer Realität letztendlich einrichten wird, kann hier aber getrost offen bleiben; darüber mögen die üblichen Experten sich zu gegebener Zeit ihre multimedial bekannten Köpfe zerbrechen.
Was hier allerdings zum Thema gemacht werden soll, ist die Einschüchterung, für die muslimische Fundamentalisten schon jetzt gesorgt haben. Die Turbulenzen um unseren Fernsehfilm sind leider nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die weltweit zu beobachten ist.
Vor allem seit den globalen Gewaltausbrüchen nach ein paar lächerlichen Karikaturen in einem dänischen Provinzblatt hat sich die Situation verändert. Wo Kollegen bislang freimütig Auskunft bekamen, werden plötzlich im Eiltempo Schweigemauern hochgezogen, hinter denen sich diejenigen verstecken, die sich bedroht fühlen. Offene Interviews werden so schnell zur Mangelware. Wenn sie überhaupt stattfinden, ist eine Anonymisierung in vielen Fällen Bedingung.
Angst haben jetzt nicht nur Christen wie die in Bethlehem, ängstlich geworden sind auch viele Muslime. Ziel von Einschüchterungen sind nicht zuletzt die Querdenker dieser Religion, diejenigen, die auf Verständnis setzen, auf Dialog, auf Fortentwicklung statt auf Stagnation oder gar Rückschritt.
Die Verhältnisse – sprich: Die ungeahnte Wucht der religiösen Auseinandersetzungen – haben uns Journalisten mittlerweile in eine Lage gezwungen, in der wir häufig nicht mehr das sagen und zeigen können, was wir eigentlich sagen und zeigen müssten. Nicht, dass wir an unseren bequemen Redaktionssitzen hierzulande etwa selbst bedroht würden, nein, es sind unsere Kontaktleute und potentiellen Interviewpartner, es sind unsere lokalen Kollegen und Helfer vor Ort, die inzwischen in einem Klima leben, das ihnen immer öfter den Mund verschließt.
Konkrete Gewaltandrohungen sind dabei noch nicht einmal nötig; Symbole genügen: Die Mafia funktioniert ähnlich. Meist reicht es schon, wenn unsere Gewährsleute beobachten können, wie es denen ergeht, die aus der Reihe tanzen, die die religiösen oder politischen Hardliner markiert haben. Wenn ihnen vorgeführt wird, was denen geschieht, die etwas anderes sagen oder tun als das, was der mehr oder minder verordneten Mehrheitsmeinung entspricht.
Seriös arbeitenden Journalisten – und das dürfte erfreulicherweise in Deutschland immer noch die Mehrheit sein - seriös arbeitenden Journalisten kann es nicht darum gehen, vereinfachenden Pauschalurteile zu fällen. Beim Islam nicht, und anderswo auch nicht.
Gerade diese Kollegen leiden aber besonders darunter, dass es bei Recherchen im muslimischen Umfeld schwieriger geworden ist, an Informationen zu kommen, wie sie für eine kritische und aufklärende Berichterstattung unabdingbar sind.
Wenn ein solcher unabhängiger Journalismus mehr und mehr von außen gelähmt zu werden droht, weil die Informationsquellen versiegen, dann wird eine gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt. Dass wir als Redakteure und Reporter unsere Informanten schützen, ist nicht mehr als recht und billig. Dass dieser Schutz so wichtig geworden ist, ist das eigentliche Problem.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt.