Mauer zu Mexiko

Trumps Bollwerk gegen Einwanderer

24:55 Minuten
Der Grenzschutzbeamte Anthony Garcia steht im Gegenlicht entlang der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko.
In Calexico werden im August 2019 die alten Zäune durch eine Grenzmauer ersetzt. © Getty Images / The Washington Post / Carolyn Van Houten
Von Kerstin Zilm und Anne Demmer · 20.10.2020
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Es solle die längste und die großartigste Mauer aller Zeiten werden, und Mexiko werde dafür bezahlen, versprach Donald Trump, der in seiner Amtszeit die Zuwanderung radikal begrenzt hat. Sie steht nun in großen Teilen und verursacht viel Leid.
Ein Video zeigt Demonstranten, die an der Grenze zwischen Arizona und Mexiko seit Wochen versuchen, den Bau der Mauer in einem Naturschutzgebiet aufzuhalten. Sie geben nicht auf.
Obwohl es heiß ist – über 30 Grad. Obwohl es zwischen niedrigen Büschen, Kakteen und vertrocknetem Gras keinen Schatten gibt. Obwohl sie Masken tragen müssen wegen des Coronavirus. Obwohl Sicherheitskräfte mit Tränengas und Gummigeschossen auf sie zielen. Obwohl sie verhaftet werden.
Die meisten Demonstranten gehören zum Stamm der Tohono O’odham. Dessen Gebiet umfasst Land auf beiden Seiten der Grenze. April Ignacio gehört zu der Gruppe, die versucht, den Mauerbau zu stoppen.
"Wir wachsen auf mit dem Wissen, dass dies unser Land ist, dass es unsere Aufgabe ist, es zu pflegen und zu erhalten. So ehren wir unseren Schöpfer. Schon als Kinder lernen wir von der engen Verbindung zwischen uns und dem Land, aus dem wir kommen."

Trump setzt seine Pläne um

Die Aktivistin erzählt bei einem Onlineforum über die aktuelle Lage der Zerstörung: Bauarbeiter sprengen mit Dynamit Scharten in Bergkuppen und zapfen in der Wüste kostbares Quellwasser ab für das Mischen von Beton. Bulldozer plätten das Nationalparkgelände und ebnen Bergkuppen. Laster und Lärm verscheuchen Tiere und zerstören Pflanzen.
Das Ausmaß der Mauerbauten sei weit größer, als erwartet. Ned Norris, der Vorsitzende des Stammes der Tohono O’odham beschrieb im Februar vor dem US-Kongress mit Tränen in den Augen was mit dem Land, dessen Schutz seine Aufgabe ist, geschieht.
"Es tut weh, die Sprengungen zu sehen, die Sie heute auf dem Video gezeigt haben. Denn ich weiß in meinem Herzen, was uns unsere Stammesältesten gesagt haben: Dort sind unsere Vorfahren zu Hause. Diese Sprengungen haben sie aufgestört und unserem Volk für immer Schaden zugefügt."


Der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko war Donald Trumps prominentestes Wahlversprechen. Aus starkem Beton sollte die Mauer sein, unüberwindbar, hoch, mächtig und schön.
"We will begin working on an impenetrable, physical, tall, powerful, beautiful, Southern border wall."
Trump macht sein Versprechen wahr. Die Grenzbefestigung besteht aus Stahlpollern, eingelassen in ein unterirdisches Betonfundament. Gut neun Meter hoch – mehr als doppelt so hoch wie die Berliner Mauer; 15 Zentimeter dick; gefüllt mit Beton und Stahlstreben. Donald Trump nennt sie den "Rolls Royce aller Mauern".
Knapp 550 Kilometer dieser Befestigung sind fertig. Das gab die US-Grenzbehörde Ende September bekannt. Viel davon ist auf Gebieten, die bereits Grenzsicherung hatten, allerdings nur knapp drei Meter hohe, verrostete Metallplatten oder Schranken, die Autos blockierten, nicht aber Tiere oder Menschen.

Fortschritte beim Mauerbau in Arizona und Kalifornien

Derzeit würden fast drei Kilometer Grenzsicherung pro Tag gebaut und damit bis zum Ende des Jahres mehr als 700 Kilometer vervollständigt. Knapp 2450 Kilometer fehlen also noch. Davon sind allerdings 2000 Kilometer entlang des Rio Grande, der extrem gefährlich zu überqueren ist.
Männer und Frauen, die die Grenze Tag und Nacht bewachen, seien dankbar für den Bau, sagte der kommissarische Chef der Grenzbehörde, Mark Morgan in einem Interview mit dem Trump-freundlichen Podcast "Fox across America". Drogen- und Menschenhandel seien bereits erheblich eingedämmt.
"Wir bauen keine Mauer, um die Eitelkeit des Präsidenten zu befriedigen. Anders als seine Vorgänger kam er an die Grenze und fragte, was die Kräfte dort brauchen. Dazu gehört ein Grenzsystem mit integriertem Licht, Technologie, Zugangsstraßen. Wir sollten diesem Einsatz Beifall zollen."


Fortschritt beim Mauerbau wird vor allem in Kalifornien und Arizona gemacht. Dort ist die Bundesregierung für die meisten Grenzgebiete zuständig, nicht die Bundesstaaten oder Privatbesitzer. In Texas ist das meiste Grenzland in Privatbesitz. Dort geht der Bau der Mauer nur langsam voran, obwohl US-Präsident Trump im Februar des vergangenen Jahres einen nationalen Notstand an der Grenze ausrief.

Das erlaubte ihm durch ein unter Präsident Bush Junior eingeführtes Gesetz knapp 50 gesetzliche Auflagen für Bauarbeiten zu umgehen. Dazu gehören Regulierungen zum Schutz von Luft, Wasser und heiligen Stätten indigener Völker, erklärt Sandy Bahr, Direktorin des Sierra Clubs in Arizona. Menschen- und Drogenschmuggler würden Wege finden, die neue Grenze zu überwinden, viele Tiere hätten dagegen keine Chance.
Baufahrzeuge reissen den alten Grenzzaun entlang der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko ab, am Straßenrand liegt das Baumaterial für die neue Grenzmauer.
Baubeginn der Grenzmauer entlang der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko, 2019 in Calexico.© Getty Images / The Washington Post / Carolyn Van Houten
"Wenn es heiß und trocken wird, wie jedes Jahr im Sommer, suchen sie Wasser. Rehe und Jaguare zum Beispiel. Nun kommen sie nicht mehr zu ihren gewohnten Quellen. Wir verlieren schon so viele Arten wegen des Klimawandels. Die Mauer könnte den verbliebenen Tieren den Rest geben."

Die Zahl der Toten steigt

Doch der fortschreitende Mauerbau bringt auch mehr Menschen in Gefahr. Flüchtlinge, die von Mexiko ohne Antrag auf Asyl die USA erreichen wollen, werden in immer abgeschiedenere Gegenden verdrängt. Die Zahl der Menschen, die im Rio Grande und in der Steinwüste Arizonas starben, ist 2020 im Vergleich zum vorigen Jahr um mehr als ein Viertel gestiegen. Das berichtet das Berliner Missing Migrant Project.

Die meisten von ihnen kamen aus Mexiko oder flüchteten vor Gewalt und Armut aus den Ländern Mittelamerikas. Insgesamt nahmen die Grenzbehörden von Oktober 2019 bis September dieses Jahres über 400.000 Menschen fest, die versuchten, illegal in die USA zu kommen. Im Jahr davor waren es mehr als doppelt so viel. Trumps Mauerprojekt werde Flüchtlinge aber nie komplett aufhalten, meint Nathan Perl-Rosenthal, Professor für Immigrationsgeschichte an der University of Southern California in Los Angeles.
"Wer glaubt, dass irgendein Hindernis Menschen davon abhält, ein Land zu verlassen, in dem ihnen der Tod droht, für einen Ort, wo sie leben und sich entwickeln können, der versteht nicht, was Menschen antreibt. Die Mauer ist nicht nur wirkungslos. Sie wird Leute umbringen."
Sehr wirkungsvoll, um Menschen von den USA fernzuhalten, sind dagegen Dekrete, die Präsident Trump erließ. Die Liste ist nahezu endlos. Dazu gehören:
Einreisebeschränkungen für Muslime. Reduzierung der Aufnahmequote für Flüchtlinge von 110.000 unter Präsident Obama zu 15.000 im laufenden Haushaltsjahr. Die sogenannte ‘Zero Tolerance Policy’ – die erlaubte es Grenz- und Immigrationsbehörden, Kleinkinder an der Grenze von ihren Eltern zu trennen. Eine Praxis, die Gerichte später als verfassungswidrig verboten. Das sogenannte ‘Remain in Mexico’ Programm - das zwingt Zehntausende Asylbewerber, auf der südlichen Seite der Grenze auf den Beginn ihrer Gerichtsverfahren zu warten.

Die Ablehnung aller Asylanträge von Bewerbern, die auf der Flucht ein sogenanntes "sicheres Land" durchquert haben – das betrifft praktisch alle Flüchtenden aus Mittelamerika, die nun in Mexiko bleiben müssen. Und schließlich mit dem Coronavirus begründete zusätzliche Beschränkungen – die erlauben es unter anderem, Asylbewerber an der Grenze ohne jegliche Anhörung direkt abzuweisen. Seit März dieses Jahres sind mehr als 159.000 Menschen davon betroffen, darunter rund 8000 unbegleitete Minderjährige.
Trumps Anti-Immigrationspolitik wende sich bewusst gegen eine ganz bestimmte Zielgruppe, sagt USC-Professor Perl-Rosenthal.

"Er kam ins Amt mit der Ankündigung, Einwanderung massiv zu reduzieren. Damit meinte er Einwanderung aus Ländern mit mehrheitlich nicht-weißer Bevölkerung: Mexiko, Mittelamerika, Afrika südlich der Sahara, Indien. Als Chef der Exekutive kann er diese Prozesse verlangsamen, Zahlen reduzieren, die Entwicklung aufhalten."

Trumps Immigrationsrhetorik macht Angst

Außerdem macht Präsident Trump den rund elf Millionen Immigranten, die in den USA ohne geregelte Aufenthaltsgenehmigung leben, die Existenz zusätzlich schwer. Dazu gehören die sogenannten ‘Dreamer’, rund 700.000 Einwanderer, die vor ihrem 17. Geburtstag in die USA kamen. Jahrelang kämpften sie für Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. 2012 führte Präsident Obama dann die sogenannte Deferred Action for Childhood Arrivals ein, kurz DACA.

Sie ermöglichte den Dreamern, legal zu arbeiten, legal Auto zu fahren und außerhalb der USA zu reisen. Sie konnten finanzielle Unterstützung fürs Studium beantragen und bekamen den Zugang zu einer Krankenversicherung. Außerdem schützte DACA sie vor der Abschiebung.
Nadia Sulbaran war drei Jahre alt, als ihre Eltern sie aus Mexiko nach Kalifornien brachten. Die alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen sagt, sie habe zwei Jahre lang gezögert, DACA zu beantragen. Nadia hatte Angst und viele Fragen.

"Werden sie das gegen uns benutzen? Ist das nur ein Weg, an unsere Informationen zu kommen? Denn: Dann wissen sie, wo ich bin. Dann wissen sie auch, wo meine Eltern sind, dass sie keine Papiere haben, und dann können sie sie abschieben."
Diese Angst verstärkte sich mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Der hatte den Dreamern im Wahlkampf zwar versprochen, ihren Status nicht anzufechten. Doch wenige Monate nach Amtsantritt ordnete Trump an, keine DACA-Anträge mehr zu genehmigen und bestehende Verträge nicht zu verlängern.

Der Beschluss wurde sofort von mehreren US-Bundesstaaten und Bürgerrechtsorganisationen vor Gericht angefochten. Trumps Anti-Immigrations-Rhetorik habe jedoch jede Hoffnung auf einen Weg zur Legalisierung der jungen Immigranten zerstört, sagt Nancy Meza. Sie kam im Alter von zwei Jahren mit ihrer Mutter in die USA und kämpft seit über zehn Jahren um die Rechte für Einwanderer.

"Als Trump DACA angriff, hat mich das sehr erschreckt. Dafür hatten wir so sehr gekämpft. Das ist das Baby unserer Bewegung. Wir hatten das durch unseren Druck erreicht. Ich mache mir vor allem Sorgen um die jüngeren DACA-Empfänger, die im Gegensatz zu mir nicht wissen, wie man sich durch das Leben ohne Papiere manövriert."
Selbstporträt von Nancy Meza
Aktivistin Nancy Meza kämpft seit über zehn Jahren um die Rechte für Einwanderer. © privat / Nancy Meza
Nadia Sulbaran hat auch schon einen Plan für ein Leben ohne DACA: Statt für ein regelmäßiges und steuerpflichtiges Gehalt im Anwaltsbüro wird sie schwarz für Cash als Hundesitterin arbeiten und Kinder der Nachbarn zum Sport und anderen Aktivitäten fahren. Sollte sie abgeschoben werden, würde Nadia ihre sieben und neun Jahre alten Söhne beim Vater in den USA zurücklassen, damit sie weiter zur Schule gehen können. Der Vater hat die US-Staatsbürgerschaft.

"Es ist wirklich schrecklich, daran zu denken, dass ich diese Entscheidung vielleicht treffen muss, auch weil es sicherer für sie ist. Als Englisch sprechende Frau ist es gefährlich in Mexiko. Sie werden denken, ich habe Geld. Es werden dort gerade viele Frauen entführt und ermordet."

Biden verspricht Legalisierung von "Dreamern"

Im Juni gab der Oberste Gerichtshof den DACA-Empfängern neue Hoffnung. Trumps Widerruf der Obama-Entscheidung sei willkürlich gewesen. Er verstoße außerdem gegen ein Gesetz für Regelungsänderungen mit weitreichenden Konsequenzen. Das 2012 von Präsident Obama eingeführte Gesetz bleibe deshalb in Kraft.
Einen Monat später veröffentlichte das US-Heimatschutzministerium trotzdem neue DACA-Einschränkungen. Seither werden keine neuen Anträge mehr genehmigt. Verlängerungen gelten nicht mehr zwei, sondern nur noch ein Jahr, bei gleicher Antragsgebühr von knapp 500 Dollar. Reisegenehmigungen wurden gestrichen. Die Regierung behalte sich außerdem vor, DACA jederzeit komplett zu beenden. Diese Reaktion sei ein Hohn auf die Gerechtigkeit, sagt USC-Geschichtsprofessor Nathan Perl-Rosenthal.

"Um es deutlich zu sagen, es ist völlig daneben, sie zurückzuschicken in ein Land, das nicht wirklich ihres ist. Ihre Papiere und ihre gesellschaftliche Existenz passen nicht zusammen. Wir sind moralisch und ethisch verpflichtet, dieses Dilemma zu lösen. Die Trump-Regierung hat das unmöglich gemacht."
Aktivisten setzen nun darauf, dass Joe Biden im Januar US-Präsident wird und wie versprochen, DACA-Empfängern die US-Staatsbürgerschaft gibt. Ihr Vertrauen in den ehemaligen Vizepräsidenten ist allerdings eingeschränkt, weil unter Obamas und seiner Regierung mehr Menschen abgeschoben wurden als unter George Bush oder Donald Trump.


Es gehe in US-Immigrationspolitik außerdem um so viel mehr als die Dreamer, sagt Nancy Meza. Sorgen bereitet ihr, dass das Thema Einwanderung im Wahlkampf weder in Reden noch Debatten eine große Rolle gespielt hat. Umso wichtiger sei es, Joe Biden und Kamala Harris im Falle eines Wahlsiegs der Demokraten zur Verantwortung zu ziehen.

"Unsere Arbeit geht nach dem dritten November erst richtig los. Wir müssen Druck ausüben, dass in den ersten hundert Tagen der neuen Regierung Gerechtigkeit für Immigranten Vorrang hat. Wir fordern einen Weg zur Staatsbürgerschaft nicht nur für uns, ein Moratorium für Abschiebungen und dass alle, die in Lagern sind, entlassen und mit ihren Familien vereint werden."
Blick durch die Stäbe der Grenzmauer zu Mexico. Ein Junge hält ein Transparent mit der Aufschrift "Wir sind alle Migranten" in den Händen.
Gläubige Amerikaner an einer Veranstaltung, bei der sie die Mauer segnen, die Mexiko von den Vereinigten Staaten trennt.© Getty Images / Nur Photo / David Peinado

Mit Strickleitern über die Mauer

Auch die indigenen Demonstranten an der Grenze zwischen Arizona und Mexiko konnten inzwischen einen gerichtlichen Teilerfolg verbuchen. Ein Berufungsgericht in Kalifornien befand Anfang Oktober, dass es verfassungswidrig ist, Gelder aus dem US-Verteidigungshaushalt für den Mauerbau zu nutzen. Die Richter ordneten an, Arbeiten an der Grenze, die aus diesen Mitteln finanziert werden, zu stoppen.
Präsident Trump hatte im vergangenen Jahr zehn Milliarden Dollar Militärausgaben für sein Prestigeprojekt umfunktioniert. Denn Mexiko hat bis heute keinen Cent für die Mauer bezahlt. Aber das Urteil schert die Trump-Regierung erst einmal nicht. Es wurde sofort Einspruch erhoben, die Bauarbeiten wurden nicht einmal unterbrochen.

Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat angekündigt, den Mauerbau am ersten Tag seiner Amtszeit zu stoppen. Die Washington Post meldet unterdessen, dass Schlepper schon Wege gefunden haben, die betonverstärkten, drei Stockwerke hohen Stahlpoller zu überwinden. Mit Spezialwerkzeug aus dem Baumarkt würde es ihnen gelingen, die Befestigungen in wenigen Minuten durchzusägen. Ein anderer Weg von Mexiko in die USA erfolge mithilfe von selbst gemachten, langen Strickleitern.

Bis Jahresende sollen 700 Kilometer der Mauer zu Mexiko fertig werden. Donald Trump ist stolz auf seinen Erfolg. Nun meldet die Washington Post, dass sich Trumps Grenzbefestigung angeblich problemlos mit Strickleitern überwinden lässt. Mexiko-Korrespondentin Anne Demmer im Gespräch mit Ellen Häring über die Situation in der Grenzregion.
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