Matthew Quick: "Anstand"

"Angry white man" mit Herz

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Zornige alte Männer haben Trump gewählt - aber manche haben offenbar auch ein großes Herz. © Cover: Harper Collins, Foto: picture alliance / dpa
von Irene Binal · 09.01.2018
Derb, politisch unkorrekt – und wunderbar: Matthew Quicks Roman über einen erzkonservativen Vietnam-Veteranen und seinen linksliberalen Sohn zeigt, was wichtiger ist als die "richtige" Ausdrucksweise: Herzenswärme und Anstand.
David Granger ist kein liebenswürdiger Charakter: Der Vietnam-Veteran läuft am liebsten im Tarnanzug herum, trägt eine Glock im Knöchelholster und wählt selbstverständlich die Republikaner. Schwarze sind für ihn "Bimbos", seinen Spinningtrainer bezeichnet er als "Schwuli-Timmy" und seinen Sohn Hank als "linksliberales Weichei".
Als David nach einer Gehirnoperation (bei der man ihm, wie er vermutet, militärische Erinnerungen herausgeschnippelt hat) Betreuung braucht, willigt Hank ein, seinen Vater aufzunehmen – obwohl Hanks Leben gerade aus dem Ruder läuft, seit seine niederländische Frau Femke ihn betrogen hat. So zieht David widerwillig zu Hank und tröstet sich damit, dass er wenigstens seine Enkelin Ella, die ihren "gefährlichen, erzkonservativen Großvater" ebenso heiß liebt wie er sie, um sich haben wird.

Vermeintlicher Rassist mit großem Herz

Auf den ersten Blick entspricht David also genau jenem Typus des "alten weißen Mannes", der spätestens seit der Wahl von Donald Trump in Verruf geraten ist: stur, politisch völlig inkorrekt und ein Rassist erster Güte. Aber schnell wird klar, dass diese Schublade nicht passt: Zu Davids besten Freunden gehören das Schwulenpaar Timmy und Johnny, im Fitnessclub spielt er mit mehreren Schwarzen regelmäßig Basketball, und die in den USA aufgewachsene Vietnamesin Sue sieht er quasi als Ersatztochter und möchte sie allzu gern mit seinem Sohn verkuppeln.
Im Gegensatz dazu steht Hank, der zwar bemüht ist, sich politisch korrekt auszudrücken, aber ungern in schwarze Viertel fährt und überhaupt wenig mit Menschen anderer Herkunft zu tun hat. Es ist ein reizvolles und oft sehr komisches Spiel mit Klischees, in dem der vorgebliche Rassist David sich als ein Mann mit großem Herzen entpuppt, der mitunter sehr viel sympathischer und vorurteilsfreier wirkt als sein verklemmter Sohn.

Klarer Blick für gesellschaftliche Tendenzen

All das lässt Matthew Quick seinen Protagonisten in einer ebenso derben wie authentischen Sprache erzählen. David wirft unverfroren mit Kraftausdrücken um sich ("Schlitzaugen", "Dschihad-Jenny", "Windmühlenschlampe"), er erinnert sich an das Grauen in Vietnam, vermisst seine verstorbene Frau Jessica und kämpft mit einer lang zurückliegenden Schuld aus dem Krieg, die er begleichen möchte, obwohl er nichts mehr fürchtet als ein Treffen mit seinem alten Widersacher, einem Indianer namens Clayton Fire Bear.
Hinter der ruppigen Prosa verbirgt sich viel Feingefühl und ein klarer Blick für gesellschaftliche Tendenzen. Es geht um die Frage, was Anstand bedeutet, um Doppelmoral und die vielen Gesichter des Rassismus, um alte Sünden und aufrechte Reue und nicht zuletzt um Familienbande und den Wert echter Freundschaft. Es ist ein Roman, der zum genauen Hinschauen auffordert und die "political correctness" hinterfragt, der feststellt, dass es wichtiger ist, was jemand tut, als was er sagt, und der beim Blick hinter die Fassade des "alten weißen Mannes" Herzenswärme entdeckt, Aufrichtigkeit und nicht zuletzt Anstand.

Matthew Quick: "Anstand"
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag HarperCollins, Hamburg 2017
304 Seiten, 18,00 Euro

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