„Matter Out Of Place" von Nikolaus Geyrhalter

Eine Welt voller Müll

08:38 Minuten
Filmstill aus den Dokumentarfilm: "Matter Out Of Place" von Nikolaus Geyrhalter.
Regisseur Nikolaus Geyrhalter zeigt in seinem neuen Film die Grenzen für den Umgang mit Müll auf. © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Nikolaus Geyrhalter im Gespräch mit Patrick Wellinski · 13.08.2022
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Filmemacher Nikolaus Geyrhalter konfrontiert uns in seiner neuen Dokumentation „Matter Out Of Place“ eindringlich mit unserem Müllproblem. In schönen Bildern zeigt er, dass Mülltrennung und Recycling nicht die Lösung sind.
Patrick Wellinski: Die Folgen des Menschen für unseren Planeten – das ist das große Thema des österreichischen Dokumentarfilmers Nikolaus Geyrhalter. Er betrachtete bereits die weltweite Nahrungsmittel-Verschwendung in „Unser Täglich Brot“ oder die menschengemachten Bauschuttruinen in „Erde“.
In seinem neusten Kinofilm „Matter Out Of Place“, der jetzt auf dem Filmfestival in Locarno seine Weltpremiere feierte, folgt er den Routen der Müllentsorgung auf der ganzen Erde. Geyrhalter zeigt, wie der Müll gesammelt und zerkleinert wird, wie er im Meer schwimmt und was sowohl staatliche, als auch private Initiativen tun müssen, um ihn zu entsorgen.
Große leinwandfüllende Bilder hat Geyrhalter dafür gefunden, die uns vor Augen führen, dass die ungelöste Umweltverschmutzung die Menschen noch Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte lang beschäftigen wird.
Filmstill aus den Dokumentarfilm: "Matter Out Of Place" von Nikolaus Geyrhalter.
Filmemacher Nikolaus Geyrhalter folgt dem Müll quer über den Planeten.© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Der Filmtitel "Matter Out Of Place" war mir als Fachbegriff gar nicht so geläufig, erst in der Recherche wurde mir klar, dass das schon ein Begriff ist, der sehr stark den Alltag vieler Menschen prägt. Wie sind Sie auf diesen Begriff aufmerksam geworden?
Nikolaus Geyrhalter: Wirklich geläufig war er mir auch nicht. "Matter Out Of Place" ist ein Begriff, der hauptsächlich beim US-Festival "Burning Man" wirklich sehr intensiv verwendet wird, weil nach diesem Event alles wieder wegmuss, was sozusagen menschengemacht ist.
Deswegen ist er dort ein viel umfassenderer Begriff als nur einer für Müll, aber eigentlich wird er verwendet, wie ich ihn auch in der Outdoor-Szene mitbekommen habe, wenn man irgendwo im Grünen ein Zelt aufbaut. Dann hinterlässt man einfach nichts. Alles, was vorher nicht da war und übergeblieben wäre, wäre "Matter Out Of Place".
Uns hat das einfach gefallen, denn es geht nicht nur um Müll. Es geht um viel mehr, was die Menschen hinterlassen und was übrigbleibt, was eigentlich, wo auch immer es dann übrigbleibt, dort nicht hingehören würde.
Wellinski: Ist so ein Begriff der Beginn eines solchen Projekts, oder war da erst die Vorstellung, wir müssen etwas über den Müll machen in der Welt?
Geyrhalter: Das Thema war schon Müll. Der Müll war ausgesucht und vorgegeben, aber in der Recherche stößt man halt darauf. Ich meine, die erste Einreichung hat wirklich nur Müll geheißen. Dann ist "Matter Out Of Place" uns über den Weg gelaufen, und manche Titel bleiben. Es war noch nicht klar, dass der Film wirklich so heißen wird, das hätte sich auch noch ändern können. Aber ich finde das jetzt so in dieser umfassenden Weltsicht eigentlich sehr stimmig.
Wellinski: Weltsicht ist auch ein Stichwort, denn wir sehen Säuberungsarbeiten und Müll auf der ganzen Welt. Man ist erst mal ziemlich geschockt, dass die Welt voller Müll ist. Wir haben es nur geschafft, ihn relativ clever irgendwie an den Rand zu schieben. Sie machen ihn wieder sichtbar.
Wie haben Sie sich die Orte ausgesucht? Wir sind auch beim "Burning Man" in der Wüste von Nevada, wir sind in den Alpen, wir sind am Meer. Wir sind fast auf der ganzen Welt, aber es sind schon sehr spezifische Orte, die natürlich nicht zufällig sind. Wie haben Sie die ausgewählt?
Geyrhalter: Müll gibt es überall und Müll hat viele Gesichter. Auch der Umgang mit dem Müll ist sehr vielseitig. Was wir zeigen wollten, war ein Blick hinter die Kulissen. Wenn wir irgendetwas wegwerfen, idealerweise in getrennte Tonnen, damit es schön recycelt wird, dann ist normalerweise für Bürger und Bürgerinnen die Geschichte eigentlich erledigt.
Man kommt sich auch noch gut vor, weil man Müll getrennt hat. Was dann beginnt, ist ein riesiger Industriezweig oder zumindest ein immenser Aufwand, diesen Müll zu transportieren, ihn eventuell noch zu sortieren. Vielleicht wird er verbrannt. Selbst dann bleibt Schlacke und Asche übrig, die deponiert werden muss.
Mir ging es darum, zu zeigen, dass es nicht so leicht ist, dass wir Müll nur getrennt wegwerfen und es dann erledigt ist, weil der Müll einfach nie aufhört. Müll ändert vielleicht seine Form und Müll kriegt vielleicht ein zweites oder drittes Leben. Aber irgendwas bleibt einfach übrig – was immer wir produzieren, nicht mehr brauchen, nicht organisch ist, geht einfach nicht mehr weg.
Filmstill aus den Dokumentarfilm: "Matter Out Of Place" von Nikolaus Geyrhalter.
Der Film "Matter Out Of Place" würdigt die Menschen, die täglich versuchen, den Unmengen von Abfall überhaupt Herr zu werden.© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Wellinski: Sie zeigen nicht nur die Maschinen, die diesen Müll zerkleinern und verbrennen, Sie zeigen auch die Menschen, die das machen. Sie machen die Menschen sichtbar, die man gar nicht so wahrnimmt. Es gibt diese Menschen. Der Film macht auch die Arbeit dieser Menschen letztendlich sichtbar.
Geyrhalter: Das wollte ich auch. Das gehört zu den Dingen, die Kino wirklich schön kann, dass man das Publikum mitnimmt – zu Umgebungen, zu geschlossenen Orten, die man normalerweise nicht sieht, weil sie entweder Industriebetriebe oder nicht schön anzusehen sind, wo man als Mensch auch nicht hingehen will. Diese Arbeitsplätze und diese Orte ins Kino und auf die Leinwand zu transferieren, ohne das zu werten, sie aber einfach sichtbar zu machen, das war im Grunde genommen das Ziel dieses Films.
Wellinski: Es gibt immer wieder sehr poetische Bilder, die Sie dafür finden, wenn der Müll mit einer Gondel von den Bergen transportiert wird. Wie wichtig ist Ihnen, dass so ein Bild auch eine Schönheit hat?
Geyrhalter: Es gibt natürlich die Ästhetik des Hässlichen. Prinzipiell ist auch alles, was viel ist, auf irgendeine Weise beeindruckend und lässt sich schön darstellen. Das ist ein Widerspruch, mit dem ich immer gerne arbeite.
Im Grunde genommen ist es schrecklich, trotzdem ist es erstaunlich. Ich will einerseits die Leute bei etwas abholen, wo man dann dahinter blicken muss. Andererseits ist Kino auch ein Format, das schön sein darf. Nur weil ein Thema unangenehm ist, muss man keinen hässlichen Film machen.
Wellinski: Dann ist die lange Einstellung, die eines Ihrer Lieblingsmittel ist, wahrscheinlich für Sie logisch gesetzt. Sie gucken sehr lange und aufmerksam zu, das schärft auch unseren Blick als Zuschauer. Wenn wir uns lange auf ein Bild oder einen Ablauf konzentrieren, konzentrieren wir uns auch anders auf das Bild.
Geyrhalter: Prinzipiell drehe ich sehr lange. Die Bilder, die ich drehe, haben schon einmal einen gesetzten Atem. Dann sind das natürlich oft Plansequenzen, die so angelegt sind, dass Dinge passieren können. Wenn viel passiert und sich Bilder entwickeln, dann haben wir uns auch ein paar Mal dafür entschieden, die wirklich in voller Länger auszuspielen, einfach weil, wenn man sich einschaut und Details erkennt.
Das ist dann zum Teil wie ein Wimmelbild, wo einfach ständig irgendetwas Neues kommt oder passiert. Die Länge einer Sequenz sagt nicht unbedingt etwas aus. Es geht darum, was in dieser Zeit erzählt wird, was man mitnimmt aus dieser Zeit. Ob man das in einer langen Sequenz dreht, oder ob man dann vier, fünf Schnitte hat, ist im Grunde nur eine formale Sache. Aber ich mag lange, stehende Bilder einfach aufgrund der Konzentration, die entsteht, schon sehr gerne.
Wellinski: Mein Kritiker-Ich würde jetzt sagen, dass hier die lange Einstellung natürlich auch die Verweildauer des Mülls auf unserem Planeten widerspiegelt, der einfach sehr, sehr lange da ist.
Geyrhalter: Natürlich, das ist ja kein Geheimnis. Wir alle wissen schon ziemlich viel über Müll. Wir wissen, dass er überall ist. Wir wissen, dass Kunststoffmüll sowieso ein Problem ist und von selber sich nicht zersetzt – wenn, dann nur über eine Dauer von hunderten Jahren.
Deswegen erzählen wir das alles in diesem Film nicht mehr, weil es als diffuses Vorwissen schon vorausgesetzt werden kann. Das spürt man. Müll ist ein Thema, das einfach nie aufhört. Deswegen haben wir angefangen mit dieser Deponie in der Schweiz, wo man in den 1960er- und 1970er-Jahren geglaubt hat, man deponiert das schön, dann wächst eine Wiese drüber, dann hat sich das. Jetzt muss man das wieder ausgraben.
Gleichzeitig wird heute immer noch viel deponiert. Selbst wenn Müll verbrannt wird, wird die Schlacke deponiert. Wer weiß, wann das wieder ausgegraben werden muss. Es entsteht einfach immer mehr Zeug.: "Matter Out Of Place", das in irgendeiner Weise jetzt mehr oder weniger sachgerecht behandelt wird. Trotzdem wissen wir, es wird uns auch in Zukunft wieder Probleme machen. Gleichzeitig entsteht noch mehr. Es ist ein Problem, das wir nicht im Griff haben.
Wellinski: Was treibt Sie eigentlich an? Aktivismus? Ist das Aufklärung, ist das Neugierde gegenüber diesen Prozessen? Die Filme haben nichts Aufdringliches. Trotzdem gehen Sie den wesentlichen Dingen, die unser Leben letztendlich bestimmen, auf den Grund.
Geyrhalter: Wahrscheinlich ist jeder Film ein Versuch, das absurde Phänomen Mensch ein bisschen besser zu verstehen. Ob man sich das jetzt an verlassenen Orten anschaut oder an großen Baustellen wie beim letzten Film oder jetzt beim Müll – es ist eigentlich dieselbe Neugierde.
Es geht immer darum, sich mit ein bisschen Abstand anzuschauen: Was tun wir hier eigentlich? Und zu versuchen, das ein bisschen einordnen zu können. Dabei ist jedes Thema eigentlich nur ein Vehikel, um ein bisschen auch festzuhalten, zu dokumentieren, was wir jetzt hier in der Gegenwart eigentlich auf diesem Planeten so alles anrichten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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