Burniat/Selosse: „Eine Reise unter die Erde“

Auge in Auge mit Mikroben, Milben und Bakterien

05:11 Minuten
Das Buchcover von "Eine Reise unter die Erde" zeigt verschiedene Comicfiguren, die sich durch den Boden bewegen.
© Knesebeck Verlag

Mathieu Burniat, Marc-André Selosse

Aus dem Französischen von Ebi Naumann

Eine Reise unter die Erde. Die Geheimnisse der Welt unter unsKnesebeck, München 2022

176 Seiten

24,00 Euro

Von Eva Hepper  · 11.05.2022
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In einer abenteuerlichen Actionstory jagt der französische Comiczeichner Mathieu Burniat seine Figuren unter und durch den Erdboden. Rasant und lehrreich, aber auch ziemlich brutal.
Hades hat die Schnauze voll. Tausende Jahre Herrschaft über die Unterwelt reichen dem griechischen Gott vollends. Zumal die Menschheit ihm mit ihrer Ignoranz die Freude an seinem Reich genommen hat: Sie interessiert sich nicht für das Leben unter ihren Füßen – nicht für den Boden und nicht für die Abermilliarden Lebewesen, die dort hausen.
Bevor Hades seine Rente auf dem Olymp antreten kann, muss er allerdings einen Nachfolger finden. Ein Mensch soll es sein – zur Belehrung der ganzen Spezies und auch, wie sich zeigen wird, um Rache zu nehmen. Seine Stellenausschreibung lockt verführerisch mit Unsterblichkeit und unermesslichen Reichtum.  
Aberwitziges Setting
Es ist ein aberwitziges Setting, das Mathieu Burniat für seine Graphic Novel gewählt hat. Doch es passt zu dem Stil des französischen Comiczeichners und seiner Leidenschaft, komplexe wissenschaftliche Inhalte populär zu verpacken. Nach Abenteuergeschichten über die Quantenwelt und das menschliche Gedächtnis – konzipiert jeweils mit einem Wissenschaftler an der Seite – nimmt er sich nun im Team mit dem Biologen Marc-André Selosse das Ökosystem Boden vor.

Wie dieses funktioniert, lernen die potenziellen Hades-Nachfolgerinnen und -nachfolger in ihrem knallharten Bewerbungsverfahren. Gekleidet in Anzüge, die sie auf ein winziges Maß schrumpfen lassen, bewegen sich die 300 Jobanwärter in bis zu zwei Meter Tiefe durch das Erdreich und müssen dort diverse Prüfungen durchlaufen. Dabei begegnen ihnen organische Substanz, Erdgestein, Mikroben, Insekten und Milben, Bakterien oder Pilze.
Bodenschäden werden so nach und nach sichtbar

Deren komplexe Interaktion, aber auch die durch den Menschen verursachten Schäden, werden so nach und nach sichtbar. Etwa wenn die Kandidat*innen totes Gebiet unter einem konventionell bewirtschafteten Acker durchqueren, oder wenn sie von Wassermassen weggespült werden, das durch den erodierten Boden schießt.  

Das ist ein origineller und lehrreicher Plot, aber leider von großer Brutalität. Denn diejenigen, die die Prüfungen nicht bestehen, kommen um: Sie werden gefressen, zerrissen, erschlagen oder erdrückt, sie verglühen, ertrinken oder landen in der Hölle. Und auch gegenseitig trachten sich einige nach dem Leben, wenige nur setzen auf Teamarbeit.
Rache an der Menschheit
Das erinnert an Bücher, Filme oder Serien wie „Die Tribute von Panem“ oder „Squid Games“. Tatsächlich sind bereits auf den ersten Seiten abgerissene Körperteile und Blutlachen zu sehen, von Hades sarkastisch als Kollateralschaden bezeichnet. Seine Rache an der Menschheit und deren umweltzerstörerischem Tun ist überdeutlich, der moralische Zeigefinger bisweilen auch.

Das ist schade, denn das Wissen über den Reichtum des Bodens, ist noch immer viel zu wenig verbreitet. Es in eine Actionstory zu verpacken, ist daher klug überlegt. Auch die Bildsprache Burniats besticht durch ihre kräftigen Farben und einen dynamischen Stil. Eigentlich perfekt für die Generation Greta. Weniger Brutalität hätte auch nicht geschadet – auch wenn die Geschichte gut ausgeht.
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