Masken auf der Mathildenhöhe

Von Rudolf Schmitz · 08.03.2009
Masken haben schon viele Maler, Bildhauer und Fotografen fasziniert. Eine Ausstellung der Darmstädter Mathildenhöhe zeigt jetzt Meisterwerke von Rodin bis Picasso.
Wer dem Blick der Medusa begegnete, wurde zu Stein verwandelt. Sie ist die Schreckensfigur par excellence, sie zählt zu den bevorzugten Motiven der Maskenproduktion – von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Als Arnold Böcklin ein Schild mit Medusenhaupt aus bemaltem Pappmaché kreiert, vermenschlicht er die antike Mythengestalt: Jetzt wirkt sie wie eine über sich selbst entsetzte Femme fatale. Sie wird zum Angstlustobjekt. Ralf Beil, Leiter der Mathildenhöhe Darmstadt:

"Angstlust ist ein schönes Stichwort, denn Angstlust ist eigentlich das, was Masken immer bestimmt, es ist so eine Mischung aus Furcht und Lust am Schauspielern, am Maskenaufsetzen. Das Fremdwerden, und auch der Wille, sich selbst fremd zu werden, Rollen zu spielen, das ist so die Bandbreite, in der das Ganze ansetzt."

"Eine Maske verrät uns mehr als ein Gesicht", hat Oscar Wilde gesagt, und diese Faszination für das Spiel mit der Maske bestimmt vor allem das späte 19. Jahrhundert. Der französische Bildhauer Jean-Joseph Carriés experimentiert mit glasiertem Steingut, um die Maske zur eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform zu machen. Er modelliert nach dem eigenen Gesicht. Eine Doppelmaske zeigt ein von 1000 Falten durchfurchtes Antlitz, einmal melancholisch, dann verschmitzt und grimassierend. Paris ist die Hauptstadt der Masken.

Hier werden sie gesammelt, hergestellt, auf Maskenbällen getragen, in den Künstlerateliers als Inspiration drapiert. Im Jardin du Luxembourg wird 1886 sogar ein Denkmal für einen Maskenhändler aufgestellt, gestaltet hat es Zacharie Astruc. Jetzt ist der Sockel leer: Denn der jugendliche Maskenhändler begrüßt inzwischen die Besucher der Mathildenhöhe gleich am Eingang der Ausstellung.

Ralf Beil: "Der hält eben eine Maske von Victor Hugo hoch, unter seinen Füßen befinden sich noch Balzac und Berlioz, also all die Größen Frankreichs, und das ist zwar einerseits weihevoll, aber auch kokett gemeint, denn dieser Jugendliche trägt diese Geistesgrößen wie Karnevals-Jahrmarktsmasken vor sich her, präsentiert sie, bietet sie feil, das heißt, das ist ironisch gebrochen und doch respektvoll dem Paris gegenüber, was damals nicht nur die Kapitale der Künste, sondern auch der Masken war."

Doch die Maske ist mehr als das Spielzeug und der Spiegel einer Gesellschaft, die sich in einer Identitätskrise befindet. Sie wird zum Schlüsselobjekt der modernen Skulptur und der modernen Malerei. Das erste erhaltene Werk von Auguste Rodin, der "Mann mit gebrochener Nase", zwischen 1862 und 1864 entstanden, wird vom Künstler selbst als seine erste gültige Skulptur angesehen. Dabei ist sie als Atelierunfall entstanden.

Ralf Beil: "In dem Atelier, das nicht beheizt ist, platzt der Hinterkopf ab, und es bleibt nur noch die Maske. Und dieses Maskenbild, dieses Fragment eines Kopfes ist die Initialzündung für die moderne Skulptur, die ja bei Rodin beginnt. Das ist nicht nur dieses eine Werk, sondern eben auch Balzac, mit dem Balzacdenkmal und Hanako, eine japanische Tänzerin, die fast schon in Giacometti-Expressivität eigentlich dort auftrat, entschält wird, die Haut wird dem Gesicht runtergenommen und man hat nur noch die Struktur des Gesichtes, für mich eines der ganz großen Beispiele der Maskenkunst in der Ausstellung, also da ist Rodin der Anfangspunkt."

Was Picassos Schockbild der Moderne, "Les Demoiselles d’Avignon" von 1907, dem Umgang mit afrikanischen Masken verdankt, ist hinlänglich bekannt. Picasso begeistert sich für die Kultmasken im Pariser Musée de Trocadero und fühlt sich sowohl von ihrer Magie als auch ihrer geometrischen Abstraktheit zu Formexperimenten ermutigt, die unser Bild der Moderne bis heute prägen. Dieses Kultbild ist natürlich nicht in Darmstadt, aber zumindest wird es durch eine Diaprojektion herbeizitiert. Von James Ensor allerdings, dem belgischen Maskenmaler, sind drei wunderschöne Bilder vertreten.

Sie zeigen am Beispiel der Ostender Karnevalsmasken, wie hier ein Maler Gesellschaftskritik übt: Bei den Würdenträgern der belgischen Gesellschaft lässt sich kaum noch unterscheiden, wo das Gesicht endet und die Larve beginnt.

Und selbstverständlich spart die in Kooperation mit Paris und Kopenhagen entstandene Ausstellung den Jugendstil von Darmstadt nicht aus, denn da gibt es schließlich auf der Mathildenhöhe reiches Anschauungsmaterial. Doch man muss kein Kunsthistoriker sein, um diese Ausstellung zu mögen. Sie bringt ein Thema zurück, das vielleicht lange vergessen war, aber uns alle noch fasziniert. Die Maske spielt mit den menschlichen Emotionen, so suggestiv und virtuos, dass wir dieser Magie augenblicklich verfallen.

Service: "Masken. Metamorphosen des Gesichts von Rodin bis Picasso"
Mathildenhöhe Darmstadt
Vom 8.3. bis zum 7.6.2009