Marzipan zum Apothekenpreis

Von Udo Pollmer |
Marzipan erfreut sich seit Jahrhunderten großer Beliebtheit, die heute vor allem in der Vorweihnachtszeit ihren Höhepunkt erreicht.
War Marzipan eigentlich immer eine Adventsspeise? Nein, einfach deshalb, weil der Zucker noch vor einigen Jahrhunderten extrem teuer war und von den Apotheken als Medikament verkauft wurde. Insofern verwundert es nicht, dass vor 500 Jahren in Lübeck auch die Apotheken erstmals das Recht bekamen, Marzipan herzustellen. Vorher war das aus Venedig importiert worden. Marzipan wurde vor allem als Stärkungsmittel angepriesen.

Ist die Herstellung immer noch die gleiche? Prinzipiell schon – auch wenn es je nach Land leicht unterschiedliche Verfahren gibt. Bei uns werden die Mandel gebrüht, um die Schale mechanisch abquetschen zu können, dann werden die weißen Mandeln mit Zucker und Wasser zerkleinert und gewalzt, um die Masse innig zu vermischen. Dabei wird das Ganze auf 100 Grad erhitzt, es wird „abgeröstet“. Das sorgt für die nötige Haltbarkeit. Zur Geschmacksverbesserung werden manchmal bittere Mandeln zugesetzt. Sie enthalten den Stoff Amygdalin, der bei der Verarbeitung Blausäure und Benzaldehyd freisetzt. Die Blausäure pflegt sich bei der Erhitzung zu verflüchtigen, während der Benzaldehyd für das typische Mandelaroma sorgt. Der riecht genau so wie ein Mandellikör. Früher gab man noch etwas Rosenwasser oder auch Orangenblütenwasser dazu.

Nun finde ich aber auf der Verpackung in der Zutatenliste statt dem Rosenwasser manchmal eine „Invertase“? Das ist ein Enzym. Marzipan hat die Neigung auszutrocknen. Dagegen gibt es verschiedene Maßnahmen. Erstens den Zusatz von Sorbit, ein Zuckeralkohol, der auch in Zuckerfreien Kaugummis enthalten ist und die Masse feucht hält. Die zweite Möglichkeit besteht in einem Zusatz von Invertzucker. Das ist vereinfacht gesprochen eine gespaltene Saccharose – also Haushaltszucker, der mittels Enzymen in seinen beiden Bestandteilen Glucose und Fructose zerlegt wurde. Auch dies trägt zur Feuchthaltung bei. Die dritte Möglichkeit besteht darin, eine Invertase zuzusetzen. Dadurch wird während der Lagerung der darin enthaltene Zucker ebenfalls aufgespalten. So entsteht der Invertzuckersirup kontinuierlich und in geringer Menge im Produkt.

Sie sagten in anderen Ländern unterscheiden sich die Verfahren ein wenig. Ja, in Dänemark z.B. dürfen statt der Mandeln auch Aprikosenkerne verwendet werden. Die fallen in großer Menge bei der Herstellung von Trockenaprikosen, Aprikosennektar und Aprikosenhälften an. Die Kerne werden geknackt und die Blausäurehalten Samen weiterverarbeitet. Ein solches Produkt gibt es übrigens auch in Deutschland. Bei uns heißt das Erzeugnis, um Verwechslungen zu vermeiden, Persipan – also nachgemachtes Marzipan. Allerdings findet man den Begriff selten – weil es natürlich am liebsten dort eingesetzt wird, wo auf eine Deklaration verzichtet werden kann und zudem gern „vergessen“ wird.

Zu den Mandel-Zucker-Mixturen gehören ja auch die Makronen. Was ist der Unterschied zum Marzipan? Traditionell besteht die Rezeptur aus Zucker, geriebenen Mandeln, Eiweiß und geriebenen Zitronenschalen. Unsere Bäckereien nehmen dafür aber gerne Fertigmischungen, deren Inhalt nur noch entfernt an die traditionelle Weihnachtsbäckerei erinnert, auch wenn das Backergebnis so ähnlich schmeckt. Hier die Zutatenliste eines handelsüblichen Produktes: „Zucker, Mandeln, Weizengries, Weizenquellstärke, pflanzliche Öle (gehärtet), Backtriebmittel, Verdickungsmittel Johannisbrotkernmehl, Hühnereiweiß getrocknet, Aroma, Salz, Curcumaextrakt, Karottenextrakt“. Das ganze gibt es im 12,5 Kilosack. Wer will, kann die teuren Mandeln auch noch durch Aprikosenkerne ersetzen – das spart nochmals ein paar Cent. Ehrlich gesagt, da ist mir ein ordentliches Marzipan aus dem Supermarkt doch lieber als diese Art von „handwerklicher Qualität“.
Quellen:
Müller K: Marzipan – nur Mandeln und Zucker. bmi aktuell 2004; Heft 3: S.5-7
Anon: Den Mandeln auf der Spur. brot + backwaren 2008; H.3: S.30-33
Davidis H: Praktisches Kochbuch (nach der Originalausgabe von 1844) Manuscriptum, Waltrop 1997