Mary MacLane: "Ich erwarte die Ankunft des Teufels"
Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Ann Cotton
Reclam Verlag, Stuttgart 2020
205 Seiten, 18 Euro
Ein Genie sein und berühmt werden
06:49 Minuten
Wütend, selbstbewusst und manchmal verzweifelt: Mary MacLanes "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" ist ein Manifest weiblicher Selbstermächtigung. Die Autorin war gerade einmal 19 Jahre alt, als ihr autobiografischer Text 1902 erstmals erschien.
Von weiblicher Selbstermächtigung ist in den letzten Jahren viel die Rede. Junge Frauen schreiben Artikel und Bücher, in denen sie dezidiert Abstand nehmen von traditionellem Rollenverhalten. Selbstbewusst verwahren sie sich gegen feministischen Dogmatismus ebenso wie gegen Klischees und Männerfantasien.
Einer der wohl radikalsten, kraftvollsten und poetischsten Zeugnisse dieser Art ist jetzt herausgekommen. Aus dem Amerikanischen übersetzt, knapp 120 Jahre nach seinem Erscheinen - "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" von Mary MacLane, erstmals erschienen 1902.
MacLane verfasste ihren autobiografischen Text in Form eines Tagebuchs. Über knapp vier Monate erstrecken sich Beobachtungen und Bekenntnisse. Doch sind sie nicht als Tagebuchenträge zu lesen, sondern als Manifest.
Eine junge, gerade der Pubertät entronnene Frau
Mary MacLane hatte die feste Absicht, ihren Text zu publizieren und damit berühmt zu werden. Und tatsächlich machte er die damals 19-Jährige schlagartig zu einer Art Popstar. Das muss man sich vorstellen: Da sitzt eine junge, gerade der Pubertät entronnene Frau, deren literarische Vorbildung aus ihrer Schulzeit stammt, im Zentrum der nordamerikanischen Bergbauindustrie, in Butte, Montana, unweit des damals weltweit größten Kupferbergwerks.
Arbeiter bevölkern die Stadt, Einwanderer aus aller Herren Länder, viele Iren, "die unter dem Gewicht großer Mengen Whiskey durch die Straßen stolpern und die Lebensweisheiten ihrer grünen Insel vor sich hin brüllen".
Aber auch "ausgehungert wirkende Chinesen, dreckverkrustete Indianer, schicke afrikanische Dandies – der Bodensatz, die Elite, die untertänigst Respektablen, der Abschaum – alle zusammengeworfen und geschüttelt und gut durchgemischt".
Erbärmlich ausgehungerte Seele
Die junge Frau betrachtet diese Menschen quasi wissenschaftlich mit hoher Rationalität – und erhebt sich über sie. Sie selbst, da ist sie sicher, sei ein Genie: "Ich habe die Persönlichkeit, die Anlagen eines Napoleon, wenngleich in einer weiblichen Version."
Egoistisch nennt sie sich, originell, gewissenlos. Und einsam. Ein "leeres Herz" habe sie und eine "erbärmlich ausgehungerte Seele" in einem "ausgezeichneten, starken, jungen Frauenkörper". Verzweiflung und Grandiositätsfantasien reichen sich in MacLanes Text die Hand.
Hinreißende Landschaftsschilderungen gehen über in philosophische Betrachtungen, radikale Selbstanalyse und -preisung wechseln ab mit Bekundungen von Ennui und Ekel vor den Mitmenschen.
Das Böse erscheint schön
Erlösung aus Ödnis und Mediokrität, die Erweiterung der Seins-Erfahrung, verspricht der Teufel. Die Autorin will ihn verführen und von ihm verführt werden, ihn lieben, mit ihm verschmelzen. Das Böse erscheint ihr schön, verglichen mit dem Nichts, das sie angesichts einer bereits ausgebeuteten Natur und verrohten Kultur empfindet.
Auch wenn vieles als Pose erkennbar und auf knapp 200 Seiten mitunter redundant ist, auch wenn man ein wenig Baudelaire darin hört und Walt Whitman, so zeigt dieser Text doch, dass Frauen schon lange in der Lage und willens sind, sich literarisch zu behaupten: wütend, selbstbewusst, überzeugend.