Martin Walser lobt Arbeitsplatzpolitik von börsennotierten Unternehmen

Moderation: Holger Hettinger |
Der Autor Martin Walser hat positiven Folgen der Geldanlage in Aktien für den Arbeitsmarkt gewürdigt. "Es ist rühmenswert, wenn man Aktien von großen Konzernen kauft und so in Arbeitsplätze investiert", sagte Walser. Das sei anders als vor 100 Jahren, denn heute seien die Arbeitsplätze zumutbar. Die Unternehmen investierten in gute Branchen und sicherten so nachhaltig Stellen. Für seinen neuen Roman "Angstblüte" habe er sich eigens in die Lebenswelt eines Finanzberaters hereingearbeitet.
Holger Hettinger: Herr Walser, der "Spiegel" schreibt heute, dass Sie sich seit mindestens zwei Jahrzehnten allergrößte Mühe geben, eben diese moralische Relativitätstheorie auszubreiten, von der eben die Rede war. Finden Sie sich in dieser Einschätzung wieder?

Martin Walser: Ich habe das nicht gehört oder gelesen. Ich weiß nicht, wie es begründet wird. Also vielleicht meint der Autor dort, dass Romane unwillkürlich immer die geltende, die beschriebene Moral relativieren. Ein Roman ist ein System einer eigenen Moral, das nie ganz identisch ist mit dem der jeweiligen öffentlichen Moral, sonst müssen die Romane gar nicht geschrieben werden.

Hettinger: Und aus diesem Spannungsfeld beziehen Sie Ihre Stoffe?

Walser: Nein, das ergibt sich von selber, also das ist ja, so großflächig, so großthematisch wird der Roman nicht geschrieben, und das darf man auch nicht beim Romanschreiben sozusagen strategisch wissen, ich möchte das und das beweisen oder diese und diese Differenz offenbaren. Sondern man geht ganz induktiv vom kleinsten Beispiel, vom konkretesten Fall, von Satz zu Satz, von Situation zu Situation, und dieses Vorgehen, das hat Anlässe in der eigenen Erfahrung, in der eigenen Biografie, und das zusammen ergibt dann unwillkürlich so etwas wie eine Relativierung einer Moral.

Hettinger: Dann lassen Sie uns versuchen, das anhand Ihres neuen Buches ein wenig zu beleuchten. In Ihrem neuen Roman scheint der Finanzberater Karl von Kahn so sehr von der Dynamik der Aktienoptionen und Beteiligungsmodelle eingenommen, dass man den Eindruck hat, auch der Autor ist von diesem Kräftespiel fasziniert. Was interessiert Sie so sehr am Finanzamt, wo liegt für Sie die Betörungspotenz, um einen Begriff aus Ihrem Buch zu zitieren?

Walser: Na ja, dazu muss ich zuerst einmal sagen, dass ich immer, ich konnte nie einen Roman schreiben, einen Romanhelden haben, ohne den Beruf, der dabei die Hauptrolle spielt, wirklich auch zu erzählen. Mich hat immer der Beruf eines Menschen interessiert. Ich habe nie einen Helden gehabt, der einfach Geld hat und von dem man gar nicht weiß, wovon er lebt. Das ist nicht mein Fall.

Nun habe ich einen Finanzberater, das hat sich auch von selbst ergeben, ich hätte das ablehnen können, ich habe es nicht abgelehnt, ich habe ihn also akzeptiert, diesen Finanzberater, und dann habe ich mich hineingeschrieben in diese Sphäre. Da muss sich immer, wenn man ein Berufsfeld gewählt hat, muss ich immer beim Schreiben herausstellen, hat man eine Legitimität, kannst du genug aus dieser Sphäre erzählen. Wenn ich den Roman eines Chauffeurs geschrieben habe, dann habe ich aus einer gewissen Lust daran angefangen, aber dann musste sich zwei Jahre lang zeigen, kannst du einen Chauffeur ernähren, und so, kannst du einen Finanzberater ernähren, detailreich und glaubwürdig, und ich hatte das Gefühl, das kann ich.

Natürlich muss man dann Details nachträglich, wenn man daran ist, Details muss man dann bei Fachleuten erfragen, recherchieren sage ich nicht so gern. Man muss dann sich ein bisschen umsehen und herumfragen, und dann macht es Spaß, so ein Feld zu beackern, und in diesem Fall habe ich gedacht, es wird wahrscheinlich das Wort Sparen im Laufe der Zeit immer mehr durch das Wort Anlegen ersetzt werden.

Also es ist ja eine gewisse Staatsfeindlichkeit in den Karl von Kahn investiert, weil er sagt, man darf das Geld nicht dem Staat überlassen, der kann damit nichts anfangen, und man muss das bei Siemens oder bei BASF, man muss das investieren in gute Arbeitsplätze. Und das scheint mir heute ein rühmenswerter Vorgang zu sein. Vor 100 Jahren hätte man nicht sagen können, man möchte Arbeitsplätze finanzieren, weil da waren die Arbeitsplätze zum großen Teil nicht zumutbar. Heute scheinen sie mir zumutbarer zu sein.

Hettinger: Nun ist es aber doch so, dass in diesem System ja nicht nur Arbeitsplätze geschaffen werden. Gerade der Aktienbereich jubiliert, wenn Unternehmen trotz Rekordgewinne möglichst viele Menschen entlassen. Das ist ja nicht gerade freundlich.

Walser: Nein, also die Aktien jubilieren da nicht, das ist ein falscher Zusammenhang, und abgesehen davon, wenn also mein Karl von Kahn, wenn der, bleiben wir bei dem Beispiel Siemens, Schering oder BASF, natürlich seine Kunden, da hilft er mit und berät mit, investieren in, wie man das nennt, in nachhaltig gute Branchen. Und wenn das geschieht, dann werden Arbeitsplätze geschaffen. Da kann man nicht sagen, selbst wenn Sie diese Schlagwörter von der Globalisierung und von der Arbeitsplatz-Wegrationalisierung, damit habe ich mich nicht beschäftigt, das ist ein anderes Feld der Finanzwirtschaft.

Hettinger: Der Titel des neuen Buches "Angstblüte" verweist auf ein Phänomen aus der Botanik. Pflanzen treiben noch einmal ganz kräftig aus, bevor es zu Ende geht. Wie bestimmend ist dieses Phänomen für den Menschen?

Walser: Ja gut, dieses Wort hat sich bei mir selber eingestellt beim Schreiben. Ich weiß auch nicht ganz genau, warum, ich kannte es vorher gar nicht, dann hatte ich plötzlich das Wort Angstblüte auf dem Papier, dann habe ich mich herumgefragt, woher es kommt. Und habe dann erfahren, dass es eben, wenn Bäume nächstes Jahr, dass sie dann am Herbst vorher noch richtig Triebe setzen. Und da habe ich gedacht, das ist für einen einundsiebzigjährigen sehr, sehr tätigen Mann wie diesem Karl von Kahn das richtige Wort. Bei ihm heißt es aus seiner eigenen Erfahrung, wenn er in die Berge geht, da gibt es bei ihm den Satz, der öfter kommt: bergauf beschleunigen, wenn es schwierig wird, extra.

Für ihn ist das nicht eine Willenssache, sondern das passiert von selber. Wenn Mutlosigkeit droht, wenn nichts mehr zu machen scheint, dann wird er eben, dann blüht er auf, dann kommt Kraft, dann wird er positiv, und er hat gemerkt, dass er das auf seine Kunden auch übertragen kann, aber in erster Linie ist es natürlich seine eigene Erfahrung, einfach auch weil er sagt, unterzugehen kann ich mir nicht leisten, also muss ich durch Schwierigkeiten wachsen, also muss ich Angstblüte treiben.

Hettinger: Aber es ist ja ein Verströmen vor dem, ja, Hintergrund eines mehr oder weniger nahen Endes auch?

Walser: Ja gut, das Wort nah bei Ende, auf jeden Fall steht das Ende bevor, aber das Ende muss nicht als Vorweglähmung akzeptiert werden. Es gibt, bitte, das ist meine eigenste Erfahrung, nichts als Tätigkeit, was das Leben erträglich macht, und ich bin am liebsten tätig, das heißt, ich schreibe am liebsten, und ich würde niemals nichts tun. Und der Karl von Kahn ist ja auch dafür, dass alle Menschen eine Tätigkeit haben, die sie unwillkürlich und gerne tun, so dass es im Grunde genommen, so dass sie im Grunde genommen nie aufhören, je tätig zu sein, weil das ist die einzige, gut, kann man sagen, Lebensverlängerung, aber es geschieht noch nicht einmal deswegen, sondern man ist eben am liebsten tätig.

Hettinger: Vielen Dank für das Gespräch.