Martin Becher über Rechtsextremismus in der Kirche

Erkennen, dass man Teil des Problems ist

08:51 Minuten
Ein Anhänger der PEGIDA-Bewegung hält auf der Protestkundgebung vor der Frauenkirche in Dresden ein in deutschen Nationalfarben gemaltes Kreuz in der Hand.
Die Kirche müsse auch mit Menschen reden, die eine konservative Position vertreten, so Martin Becher. Bei Menschenfeindlichkeit sei für ihn aber die Grenze überschritten. © AFP/Tobias Schwarz
Martin Becher im Gespräch mit Nicole Dittmer · 11.11.2019
Audio herunterladen
Auch in Kirchengemeinden würde es unter Mitgliedern rechte Positionen geben, sagt Martin Becher, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche gegen Rechtsextremismus. Um dem etwas entgegen zu setzen, müsse man auch über Hass und Hetze in den eigenen Strukturen sprechen.
Nicole Dittmer: Seit gestern tagt die EKD-Synode in Dresden, und schon bevor das Treffen überhaupt begann, wurde diskutiert darüber, ob der zurückgetretene sächsische Landesbischof Carsten Uwe Rentzing noch mal konkret Stellung beziehen sollte zu dem, was er vor 30 Jahren an Gedankengut veröffentlicht hat. Eigentlich ist der Fall Rentzing auch gar kein Programmpunkt bei der Jahrestagung, aber der Fall hat erneut die Frage aufgeworfen, wie Kirchengemeinden rechtsextremistischem Ideen begegnen können. Martin Becher ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche gegen Rechtsextremismus und Geschäftsführer des bayerischen Bündnis für Toleranz. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, ob der Fall Rentzing für die Kirche noch mal Anstoß geben sollte, das Thema intensiver in den Blick zu bekommen.
Martin Becher: Also ich glaube, dass der Fall Rentzing, wenn man ihn so benennen möchte, tatsächlich ein Anlass sein kann, aber ich gehe davon aus und nehme es wahr, dass die EKD und die Gliedkirchen der EKD, aber auch die katholische Kirche sowieso über diese Fragen die ganze Zeit nachdenken. Von daher ist es jetzt tatsächlich noch mal was, was öffentlich deutlich gemacht hat, worum es hier geht, aber das Thema steht sowieso auf der Agenda.
Dittmer: Aber würden Sie denn sagen, so ein Fall wie Carsten Rentzing ist eher die Ausnahme, oder ist zumindest das Gedankengut durchaus verbreitet?
Becher: Also ich würde sagen, so ein Fall wie jetzt von Carsten Rentzing an der Spitze einer Landeskirche und dann auch noch mit eindeutig rechtsextremen Äußerungen in seiner Jugendzeit von vor 30 Jahren, die dann auch noch verheimlicht worden sind, das ist tatsächlich ein Einzelfall. Aber selbstverständlich muss man davon ausgehen, wenn die Kirchen, die sich ja erst mal auch als Volkskirchen verstehen, die Gesellschaft repräsentieren, dann muss man davon ausgehen, dass Kirchen natürlich dann auch die Menschen repräsentieren, wie sie in der Gesamtheit vorkommen, dann sind natürlich auch menschenfeindliche, menschenverachtende, von Hass und von Hetze getragene Positionen durchaus natürlich auch bei Kirchenmitgliedern vorhanden, wie das zum Beispiel auch für Gewerkschaftsmitglieder gilt.

Kirchen könnten Teil der Lösung sein

Dittmer: Es hat auch gezeigt, dass der Fall Rentzing durchaus intensiv diskutiert wurde, auch in den Foren. Ich habe mir das mal angeschaut. Also da hatten doch viele Unverständnis geäußert dafür, dass das jetzt so extrem diskutiert wird. Jetzt heißt es, die Kirche will mehr gegen die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft tun. Was kann sie denn tun?
Becher: Also die EKD-Synode hat schon vor vielen, vielen Jahren den schönen Spruch geprägt, wir sind erst dann Teil der Lösung, wenn wir erkennen, dass wir Teil des Problems sind. Das finde ich einer sehr, sehr schöne Formulierung, weil in ihr natürlich ein Stück weit erst mal eine gewisse Demut deutlich wird. Das heißt, wir können nicht über die Gesellschaft als Ganzes reden, wenn wir nicht über uns reden, und wir müssen auch ein Stück weit selber als Institution gucken, wo gibt es denn bei uns entsprechende Strukturen oder auch Positionen, und gleichzeitig hat aber dieser Spruch auch eine schöne Wendung, weil er letztendlich dann sagt, wenn wir das tun, wenn wir uns über uns selbst Gedanken machen, dann können wir damit auch produktiv ein Teil der Lösung sein, und zwar für uns selbst, aber natürlich auch für das Ganze.
Von daher denke ich, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass Kirche überhaupt erst mal guckt, wo sind denn insbesondere für diese menschenverachtenden Positionen überhaupt Andockpunkte, denn man muss ja ganz klar sagen, die Energie geht ja da von der Seite der Rechten, wenn ich das mal so subsumieren darf, aus. Die versuchen ja an verschiedenen Stellen, Andockpunkte zu bekommen. "Vollende die Wende", dafür sucht man einen Andockpunkt an 1989 oder bei den Gewerkschaften versucht man, Andockpunkte zu finden. Bei den Kirchen sind es ganz spezielle Themen, zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Islam, die Auseinandersetzung mit Homosexualität und die Auseinandersetzung mit allen Fragen zum Thema Gender und Geschlecht. Ich denke, hier muss Kirche natürlich in allererster Linie mal sensibel sein und sich dessen gewahr werden, dass das auch genau die Punkte sind, die für Rechte attraktiv sind, wo sie versuchen, in kirchlichen Kreisen dann auch Menschen für ihre Sache zu gewinnen.

Bayrischer Sportschützenbund unterstützt Kampf gegen Rechts

Dittmer: Da muss man dann in den Gemeinden versuchen, gegenzusteuern. Sie selbst sind ja auch Geschäftsführer des bayrischen Bündnis für Toleranz und versuchen, Verschiedenes in Projekten in Bayern. Was machen Sie konkret?
Becher: Also wir versuchen bei diesem Beispiel Bündnis für Toleranz, wo die evangelische Kirche ganz maßgeblich ist, Heinrich Bedford-Strohm ist der Sprecher dieses Bündnisses, wir versuchen, genau diesen Leitsatz mit dem Teil der Lösungen und dem Teil des Problems auch ein Stück weit voranzutreiben. Also ein schönes Beispiel, von dem ich gerne erzähle, ist der bayrische Sportschützenbund, der eine Schützenhilfe gegen Rechts herausgegeben hat und die zehntausendmal gedruckt hat und an seine Übungsleiterinnen und Übungsleiter verteilt hat, um damit ein Stück weit Menschen in den Schützenvereinen zu sensibilisieren und zu motivieren, guckt bitte auf dieses Thema, seid gewahr, dass Neonazis vielleicht auch mal zu Schießübungen kommen, guckt, wie ihr damit umgeht, erkennt die Codes, erkennt die Symbole und unterstützt auch eure Jugendlichen, damit sie nicht sich mit diesen Gedanken in irgendeiner Weise infiltrieren lassen.
Das heißt, wir versuchen immer wieder, die Dinge zu benennen. Wir versuchen, über die verschiedenen Gruppierungen, die Blasen, wie man heute sagen würde, über die verschiedenen Milieus hinauszugehen. Wir versuchen, die Menschen in ihren jeweiligen Lebenskontexten zu erreichen, und wir versuchen, auch diejenigen zu stärken, die sowieso schon für Demokratie und Toleranz und Respekt und Menschenwürde unterwegs sind. Da gibt es nämlich wesentlich mehr, als wir alle denken. Man kann nämlich schon davon ausgehen, dass diejenigen, die dagegen sind, die also Hass und Hetze und diese rechten Parolen verstreuen, dass die eigentlich nicht so viele sind, aber dass sie sehr lautstark und sehr radikal sind.

Diejenigen stärken, die von rechter Hetze betroffen sind

Dittmer: Da fällt mir eine Äußerung des Europapolitikers Michael Roth letzte Woche ein, der in dem Zusammenhang angesichts der Morddrohungen gegen ihn gesagt hat, eigentlich sind es nicht so viele, die sind aber laut, wir müssen mehr – das sei wichtiger – die schweigende Mehrheit zum Reden bringen. Geht das eigentlich darum, dass sich mehr deutlich gegen Rechtsextremismus positionieren?
Becher: Ich glaube, es geht um beides. Es geht um die Menschen, die wir jetzt nicht als wirklich schon Rechtsextreme bezeichnen würden, sondern die mal eine entsprechende Partei wählen aus welchen Gründen auch immer, nicht unbedingt, weil sie überzeugt sind, aber weil sie vielleicht mit dem anderen frustriert sind, dass wir die erreichen, mit denen ins Gespräch kommen, das heißt, nicht mit den Funktionären von Parteien oder entsprechenden Bewegungen, sondern mit denjenigen, die wir ein Stück weit zurückgewinnen wollen für die Demokratie. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist aber, diejenigen stärken, die möglicherweise von rechter Hetze betroffen sind, aber die sich auch dagegen wehren und die eine andere Position haben.
Für mich die ermutigendste Zahl aus diesem Jahr ist über Infratest dimap genannt worden bei den Europawahlen, wo gesagt worden ist, es haben drei Millionen Menschen bei der Europawahl in diesem Jahr gewählt, die bei der Bundestagswahl 2017 nicht gewählt haben. Von diesen drei Millionen Menschen haben 2,7 Millionen demokratische Parteien gewählt. Also nur zehn Prozent haben rechte, rechtspopulistische Parteien gewählt. Das heißt, in den zwei Jahren ist was passiert. Wir haben 2,75 Millionen Menschen dazu bewegen können, wieder ihre Stimme abzugeben, und wir haben 2,75 Millionen Menschen bewegen können, für unsere demokratische Verfasstheit, die unsere Demokratie mit Rechtsstaatlichkeit, mit Menschenrechten, mit Menschenwürde unterstützen, und denen deutlich gemacht, Mensch, ich muss zur Wahl gehen. Das ist der berühmte Brexit-Effekt, wo viele nach der Wahl aufgewacht sind und gesagt haben, Mensch, ich hätte ja auch abstimmen können. Das ist ja nicht wie Facebook, dass ich nur klicke, sondern da geht es auch tatsächlich um was. Hier müssen wir tatsächlich immer aktiver werden.
Dittmer: Muss die Kirche noch klarer als bisher Haltung zeigen?
Becher: Sie muss einerseits klare Haltung zeigen, und sie muss gleichzeitig auch trotzdem gesprächsfähig sein. Eine Kirche, die selbst Intoleranz oder Unbarmherzigkeit predigen würde gegenüber denjenigen, die unbarmherzig sind, die würde sich ja auch in ihren Grundfesten selbst verraten. Das ist das, was ich Toleranzdilemma oder auch Demokratiedilemma nenne. Wie kann eine Gewerkschaft solidarisch sein mit denjenigen, die unsolidarisch sind, und wie kann eine Demokratie demokratisch sich verhalten mit denjenigen, die sich undemokratisch verhalten. Für eine Kirche heißt das, wie kann sich eine Kirche barmherzig gegenüber denjenigen zeigen, die unbarmherzig sind.
Da komme ich natürlich sehr, sehr schnell auch an meine eigenen Grenzen, und dann muss ich sehr, sehr gut gucken, wo hört dann quasi für mich die Toleranz dessen, was hörbar und sagbar ist, auf. Das wäre für mich zum Beispiel Menschenfeindlichkeit. In dem Moment, wo sich jemand menschenfeindlich äußert, katapultiert sich diese Person eigentlich selbst aus dem Gespräch heraus. Aber alle, die unterhalb dieser Schwelle unterwegs sind und die auch eine konservative Position meinetwegen vertreten, mit der muss Kirche im Gespräch sein. Das darf aber nicht auf Kosten dessen gehen, dass man selber eine klare Haltung vertritt. Hier müssen wir immer wieder gucken, wie wir diesen Spagat hinbekommen. Darüber sind wir auch im Gespräch mit vielen Gemeindemitgliedern, aber auch mit den Spitzen unserer Kirchen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema