Marshall-Plan anstelle Flugverbotszone

Von Niels Annen |
In Libyen, so kann man es in Gaddafis "Grünem Buch" nachlesen, regiert sich das Volk in spontanen Versammlungen selbst. Die Libyer haben Gaddafi vermutlich zu sehr beim Wort genommen.
Die Freude darüber hält sich in den europäischen Hauptstädten in Grenzen, denn die Revolutionen werfen ein bezeichnendes Licht auf eine Politik, die sich jahrelang mit den autokratischen Herrschern im Maghreb verbrüdert hat.

Natürlich musste man mit denen Kontakt halten, aber es war ein Fehler, die herrschenden Regime für alternativlos zu erklären und Kontakt mit oppositionellen Kräften gemieden zu haben. Die europäische Politik war nicht von eigenen Ideen, sondern von der Angst vor illegalen Einwanderern und Islamisten getrieben und hat sich in der Abwehr von Flüchtlingen gerne der Hilfe Gaddafis bedient. Das nun ausgerechnet Frankreich, das die wohl engsten Beziehungen zu den Autokraten der Region hatte, als erstes Land die Übergangsregierung anerkennt, zeugt wohl auch von schlechtem Gewissen.

Unterdessen werden die Rufe nach einer Flugverbotszone lauter. Richtig ist, die Politik steht vor eine doppelte Herausforderung, denn sie darf das Momentum nicht verpassen und muss andererseits sorgsam ihre Optionen wägen. Machen wir uns nichts vor, eine Flugverbotszone ist ein kriegerischer Akt. Was technisch klingt, kann weit reichende Folgen haben. Der Luftraum muss patrouilliert und Luftabwehrstellungen gegebenenfalls zerstört werden. Eine Aufgabe, die Europa zudem ohne Unterstützung der USA nicht schultern kann.

Die eigentliche Frage aber ist: was passiert, wenn ein NATO-Flugzeug abgeschossen wird? Stimmen wir dann dem Einsatz von Bodentruppen zu? Und was passiert, wenn Gaddafi trotz eines Flugverbots die Rebellen besiegt? Greifen wir dann auf Seiten der Rebellen ein? Einen Vorgeschmack auf diese Diskussion gibt ein offener Brief, in denen ausgerechnet ehemalige Mitglieder der Bush-Regierung von Obama bereits gezielte Luftschläge gegen Gaddafi fordern.

Dabei wissen wir wenig über die Opposition. Die wenigen bekannten Kräfte sind ehemalige Gefolgsleute Gaddafis. Zudem ist Libyen eine komplexe Stammesgesellschaft, in die wir kaum Einblick haben. Und die Präsenz amerikanischer Soldaten dürfte nicht ohne politische Folgen bleiben. Es wäre, nach Irak und Afghanistan, immerhin die dritte Intervention amerikanischer Truppen in einem muslimischen Land.

Angesichts der komplexen Situation zeigt der Ruf nach einer Flugverbotszone auch die Sehnsucht nach einer einfachen Lösung. Die aber gibt es für Libyen nicht. Das scheint auch U.S. Verteidigungsminister Robert Gates so zu sehen, der vor Rekruten eindringlich davor warnte, U.S. Soldaten nach Afrika oder den Mittleren Osten zu entsenden.

Um den Demokraten in Libyen zu helfen, muss die Internationale Gemeinschaft gemeinsam handeln. Die Entscheidung der Arabischen Liga, sich für die Einrichtung einer Flugverbotszone auszusprechen, ist ein Schritt hin zu einem möglichen Mandat der Vereinten Nationen. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass weder die libysche Opposition noch die Arabische Liga die Entsendung von westlichen Bodentruppen fordert.

Doch bevor man eine Flugverbotszone beschließt, muss Klarheit darüber herrschen, wer im Zweifelsfall bereit steht. Die bittere Wahrheit ist: niemand steht bereit: nicht die arabischen Nachbarn, nicht die demokratischen Nachbarn im Norden
Europa braucht eine langfristige Politik der Demokratieförderung. Und wir müssen es den arabischen Staaten ermöglichen, die ökonomischen Bedürfnisse ihrer jungen Bevölkerungen zu befriedigen. Ein Blick in den von den UNDP herausgegeben "Arab Human Development Report" macht das Ausmaß deutlich: bis 2020 müssten dazu 51 Millionen neue Jobs geschaffen werden. Frank Walter Steinmeier hat in diesem Zusammenhang von einem "Marshall Plan" für den Maghreb gesprochen. Die Frage ist, ob Europa angesichts der eigenen wirtschaftlichen Probleme zu einer solchen Anstrengung in der Lage ist?

Niels Annen, geboren 1973 in Hamburg, ist derzeit Non Resident Fellow beim German Marshall Fund in Washington DC. Er war von 2005-2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss zählten u.a. das deutsche Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Von 2001-2004 war er Bundesvorsitzender der Jusos in der SPD. Niels Annen ist seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstand. Er hat in Hamburg, Madrid und Berlin Geschichte und Spanisch studiert.

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