Marktwirtschaft – nicht ganz so frei
Eigentlich bin ich für die Marktwirtschaft. Und eigentlich kann ich die Einschränkung mit dem Wörtchen „eigentlich“ gleich streichen. Also gradheraus: Ich bin für die Marktwirtschaft, sogar für die freie, in der sich Unternehmer und Produzenten einerseits sowie Verbraucher und Arbeitnehmer andererseits die Freiheiten des Marktes und die Ergebnisse eines freien Wettbewerbs teilen – meinetwegen christlich teilen, soziale Verantwortung miteinander tragen.
Was das Gegenteil einer verantwortlichen freien Marktwirtschaft bedeuten kann, haben wir ja lange geahnt, aber erst richtig erkannt, als nach der Wende die staatsdirigierten Volkswirtschaften des real existierenden Sozialismus ihre Offenbarungseide leisten mussten.
Hätten heute einige Kommissare der Europäischen Union das alleinige Sagen in der Gemeinschaft, dann hätten wir längst den total entfesselten, liberalisierten Markt, irgendwann ohne Subventionen für Kohle und Landwirtschaft und mit immer weniger Steuern für die Global Player unter den Unternehmen, wegen der Wettbewerbschancen im internationalen Vergleich, versteht sich.
Aber sind wir nicht längst den Renditeerwartungen von Aktionären und ihren Kapitalmanagern ausgeliefert, also nicht mehr frei? Die vier großen Energiekonzerne, die sich den Markt in Deutschland teilen, haben uns sowie kleinen und größeren Unternehmen Strompreise aufgebrummt, die uns alle fühlen lassen, was freie Marktwirtschaft ohne freien Wettbewerb bedeuten kann. Das Bundeskartellamt lässt grüßen. Wir erleben die entfesselten Marktinstinkte einer Gesundheitsindustrie, die Versuche einer Reform des Gesundheitswesens bekämpft, im Hinterkopf ihre Rendite. Die große Telekom managt sich in Pleitezonen und jetzt müssen Arbeitnehmer mit ihren Jobs büßen, freilich auch oberste Chefs mit ein oder zwei Sesseln. Bei Siemens werden Unternehmensteile verscherbelt, dass sich Betriebsräte nur die Augen reiben. Staatsanwälte geben sich in den höheren Etagen dieses Konzerns gerade die Klinken in die Hand. Überhaupt scheinen manche unternehmerischen Tätigkeiten auf Beschäftigungsprogramme für Staatsanwälte hinauszulaufen. Erinnert sei nur an Volkswagen, an Vodafone- und Mannesmann-Manager, an den Berliner Bankenskandal, an die Milliarden-Scharade der Flowtex-Horizontalbohrer, an Gammelfleisch en gros.
Nach solchen Erfahrungen und bei diesem Personalangebot von Topmanagern soll man da noch die Marktwirtschaft so vorantreiben, dass die Öffentliche Hand sich mehr und mehr selbst privatisiert für ein paar schnell verdiente Euros zur Entlastung der Budgets? Bei der Energieversorgung, beim Wasser, bei Sicherheitskontrollen in Flughäfen, ja selbst beim Schienennetz der Bahn traue ich renditeverpflichteten Unternehmern inzwischen nicht länger über den Weg. In Großbritannien zum Beispiel musste das Schienennetz der Bahn nach der Privatisierung vom Staat wieder zurück übernommen werden, weil sich die Pannen häuften, weil die neuen Unternehmer auf Renditekurs zu scharf in die Kurven gingen.
Auch bei uns in Deutschland regen sich Zweifel zum Beispiel, wenn die Energiekonzerne Riesengewinne machen, ihre Strommasten aber umknicken. In Freiburg hat kürzlich eine Mehrheit von Bürgern die Versilberung von städtischen Wohnungen verhindert. Ob das die richtige Entscheidung im konkreten Fall war, bleibt dahingestellt. Die Aktion zeugt aber von der Angst vor übertriebenen Mieterhöhungen und vom Misstrauen gegenüber privaten Unternehmern. Eine neuere Emnid-Umfrage will herausgefunden haben, dass nur elf Prozent der Befragten Großkonzernen vertrauen. In der rot-roten Koalition in Berlin macht man sich Gedanken, wie man die Teilprivatisierung der Berliner Wasserversorgung wieder rückgängig machen kann. Die Wasserpreise sind in den letzten zwei Jahren um über 20 Prozent gestiegen. Und der Bundespräsident hat das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung, sprich ihrer Privatisierung, nicht unterzeichnet mit Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte staatliche Verantwortung
Marktwirtschaftler müssen solche Signale ernst nehmen, wenn sie sich nicht selbst auf Dauer schwindlig liberalisieren wollen, im Strudelsog zwischen Gewinnmaximierung, shareholder value und verschreckten Bürgern. Deshalb ist es vielleicht doch weiser, als am Anfang meiner Anmerkungen geschehen, das Wörtchen „eigentlich“ nicht zu streichen und für die Marktwirtschaft nur eigentlich zu sein.
Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.
Hätten heute einige Kommissare der Europäischen Union das alleinige Sagen in der Gemeinschaft, dann hätten wir längst den total entfesselten, liberalisierten Markt, irgendwann ohne Subventionen für Kohle und Landwirtschaft und mit immer weniger Steuern für die Global Player unter den Unternehmen, wegen der Wettbewerbschancen im internationalen Vergleich, versteht sich.
Aber sind wir nicht längst den Renditeerwartungen von Aktionären und ihren Kapitalmanagern ausgeliefert, also nicht mehr frei? Die vier großen Energiekonzerne, die sich den Markt in Deutschland teilen, haben uns sowie kleinen und größeren Unternehmen Strompreise aufgebrummt, die uns alle fühlen lassen, was freie Marktwirtschaft ohne freien Wettbewerb bedeuten kann. Das Bundeskartellamt lässt grüßen. Wir erleben die entfesselten Marktinstinkte einer Gesundheitsindustrie, die Versuche einer Reform des Gesundheitswesens bekämpft, im Hinterkopf ihre Rendite. Die große Telekom managt sich in Pleitezonen und jetzt müssen Arbeitnehmer mit ihren Jobs büßen, freilich auch oberste Chefs mit ein oder zwei Sesseln. Bei Siemens werden Unternehmensteile verscherbelt, dass sich Betriebsräte nur die Augen reiben. Staatsanwälte geben sich in den höheren Etagen dieses Konzerns gerade die Klinken in die Hand. Überhaupt scheinen manche unternehmerischen Tätigkeiten auf Beschäftigungsprogramme für Staatsanwälte hinauszulaufen. Erinnert sei nur an Volkswagen, an Vodafone- und Mannesmann-Manager, an den Berliner Bankenskandal, an die Milliarden-Scharade der Flowtex-Horizontalbohrer, an Gammelfleisch en gros.
Nach solchen Erfahrungen und bei diesem Personalangebot von Topmanagern soll man da noch die Marktwirtschaft so vorantreiben, dass die Öffentliche Hand sich mehr und mehr selbst privatisiert für ein paar schnell verdiente Euros zur Entlastung der Budgets? Bei der Energieversorgung, beim Wasser, bei Sicherheitskontrollen in Flughäfen, ja selbst beim Schienennetz der Bahn traue ich renditeverpflichteten Unternehmern inzwischen nicht länger über den Weg. In Großbritannien zum Beispiel musste das Schienennetz der Bahn nach der Privatisierung vom Staat wieder zurück übernommen werden, weil sich die Pannen häuften, weil die neuen Unternehmer auf Renditekurs zu scharf in die Kurven gingen.
Auch bei uns in Deutschland regen sich Zweifel zum Beispiel, wenn die Energiekonzerne Riesengewinne machen, ihre Strommasten aber umknicken. In Freiburg hat kürzlich eine Mehrheit von Bürgern die Versilberung von städtischen Wohnungen verhindert. Ob das die richtige Entscheidung im konkreten Fall war, bleibt dahingestellt. Die Aktion zeugt aber von der Angst vor übertriebenen Mieterhöhungen und vom Misstrauen gegenüber privaten Unternehmern. Eine neuere Emnid-Umfrage will herausgefunden haben, dass nur elf Prozent der Befragten Großkonzernen vertrauen. In der rot-roten Koalition in Berlin macht man sich Gedanken, wie man die Teilprivatisierung der Berliner Wasserversorgung wieder rückgängig machen kann. Die Wasserpreise sind in den letzten zwei Jahren um über 20 Prozent gestiegen. Und der Bundespräsident hat das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung, sprich ihrer Privatisierung, nicht unterzeichnet mit Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte staatliche Verantwortung
Marktwirtschaftler müssen solche Signale ernst nehmen, wenn sie sich nicht selbst auf Dauer schwindlig liberalisieren wollen, im Strudelsog zwischen Gewinnmaximierung, shareholder value und verschreckten Bürgern. Deshalb ist es vielleicht doch weiser, als am Anfang meiner Anmerkungen geschehen, das Wörtchen „eigentlich“ nicht zu streichen und für die Marktwirtschaft nur eigentlich zu sein.
Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.