Markt und Museum
Die Altstadt bildet das Kernstück der syrischen Großstadt Aleppo, der traditionellen Märkte wegen von Einheimischen wie von Touristen gerne besucht. Doch seit Jahren überwiegend bewohnt vom ärmeren und älteren Teil der Bevölkerung, der kein Geld hat, die historischen Häuser instand zu halten. Erst als 1986 Aleppo von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde, wuchs das Interesse an der zerfallenden Stadt. Jetzt erstrahlt dort wieder das eine oder andere Haus in neuem Glanz.
Morgens in der Altstadt von Aleppo. In den Geschäftsstraßen herrscht schon reger Betrieb. Der Scherenschleifer am alten Antiochia-Tor hat sein Schleifrad angeworfen. Hagere Beduinen in Kaftanen, ein Tuch oder einen Turban auf dem Kopf, schreiten gemessen durch die gepflasterten Gassen. Frauen in langen schwarzen Kleidern und Schleiern, die nur das Gesicht freilassen, ziehen ihre Kinder an der Hand hinter sich her, tragen Körbe oder Stoffballen auf dem Kopf, feilschen in einem Haushaltwarenladen um Plastikschüsseln. Hier und da bahnt sich ein Tourist den Weg durch die Menge.
Ein kleines Wunderwerk ist diese Altstadt von Aleppo. Ein über Jahrhunderte gewachsenes Labyrinth, in dem auf engstem Raum gelebt, gearbeitet und gehandelt wird. Ein Stück Orient, voller Farben, Düfte, Gewürze und Geschrei.
Seit 1993 hat die GTZ gemeinsam mit den syrischen Behörden Kanalisation und Trinkwasserleitungen der Altstadt erneuert. 1.000 Familien konnten ihre Häuser mithilfe eines zinslosen Mikrokredits renovieren. Nun stößt man in der Altstadt hier und da auf restaurierte alte Häuser, aufgearbeitete Holztüren und -fenster und glänzende rote Ziegeldächer – Musterbeispiele, an denen man sieht, wie es sein könnte. Das Gesamtbild ist jedoch grau und staubig wie eh und je. Die Altstadt wirkt wie ein alter Elefant, der sich nur ungern von der Stelle rührt.
Im kühlen Halbdunkel der Kuppeln reiht sich Laden an Laden. Souq heißt so ein traditionelles Geschäftszentrum auf Arabisch: Markt, wobei es auf diesem Markt nicht nur Obst und Gemüse zu kaufen gibt, sondern Kosmetika, Kleidung, Kochgeschirr und Perserteppiche.
Seit jeher werden im Souq Waren nicht nur verkauft, sondern auch hergestellt. Der Souq von Aleppo ist einer der größten der arabischen Welt – seine engen Gässchen erstrecken sich auf etwa zehn Kilometer Länge. Und er ist einer der Traditionellsten. Er hat sich noch nicht, wie der Große Bazar in Istanbul oder der Khan el-Khalili in Kairo, in einen riesigen Souvenirladen verwandelt.
Die Gassen gehören den Fußgängern. Nur gelegentlich werden sie von einem waghalsigen Fahrrad- oder Mopedfahrer, einem Pick-up oder einem Lastenesel zur Seite gedrängt. Für Touristen ist diese große Fußgängerzone erfreulich – die meisten Einheimischen sehen darin jedoch einen Nachteil. Jenny Poche-Marrache etwa, eine resolute Dame über 60, Nachfahrin europäischer Juden und Christen und Witwe eines Syrers.
"Es ist schwierig, in die Altstadt hinein zu kommen, vor allem, wenn man zu einem Diner oder einem Ball geht. Man kann in den Souqs nicht mit Absätzen laufen. Deshalb ziehen die Leute moderne Orte vor, wo man das Auto gleich gegenüber parken kann."
Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein. Vor 80 Jahren hatte Aleppo 120.000 Einwohner, und die lebten alle in der Altstadt. Heute hat Aleppo zweieinhalb Millionen Einwohner, aber die Einwohnerzahl der Altstadt ist die gleiche geblieben. Der Kleinunternehmer Mustafa Kawayya fährt nur dorthin, um seine Mutter zu besuchen. Sie lebt noch immer in dem Haus, in dem er geboren wurde.
Kawayyas dickes Auto passt kaum durch die schmalen Straßen. In den dämmrigen Gässchen der Wohnviertel sind nur Schritte und Stimmen zu hören. Hier kennt man sich.
Mustafa Kawayyas Mutter lebt in einem engen, verschatteten Haus, das Feuchtigkeit atmet. Im ungeheizten Schlafzimmer blüht dunkelrosa Schimmel an der Wand, der Putz wölbt sich. Die Zimmer gruppieren sich um einen kleinen Innenhof. Im Winter wird nur das Wohnzimmer beheizt, mit einem Petroleumöfchen. Jedesmal, wenn die alte Frau das Wohnzimmer verlässt, muss sie den kalten, unüberdachten Innenhof durchqueren. Dennoch lebt sie gerne dort. Da sie Hemmungen hat, vor dem Mikrofon zu reden, übernimmt ihr Sohn Mustafa einen Großteil der Antworten.
"Alte Frauen ziehen das Leben in den alten Häusern vor. Es gibt die Erinnerungen an das Leben in der Großfamilie, mit Großeltern und Enkeln."
Die unüberdachten Innenhöfe sind das Herz arabischer Wohnhäuser. Topfpflanzen tauchen sie im Sommer in ein grünes Licht, in der Mitte flüstert zumeist ein Springbrunnen. Alle Zimmer öffnen sich auf diesen Innenhof. Doch hat so ein Hof auch seine Schattenseiten, wie Abdel Hayy Kaddour erklärt, der in der Altstadt ein altes Haus zum Hotel umgebaut hat.
"Diese Häuser sind open air, der Regen kommt rein, Staub, und viele junge Familien sagen: Oh nein, ich bleibe nicht in diesem Haus, das muss man jeden Tag putzen und viel Arbeit – oh in der neuen Stadt haben wir eine moderne Küche, einen Balkon und so. Deshalb möchten alle in die neuen Häuser wohnen."
Auch das Warenangebot in den Neubauvierteln sagt den Mittelschichtsfamilien mehr zu. In den Läden der Neustadt gibt es grell duftende Seifen, abgepackte Chips, Handys und Kleidung von ausländischen Designern zu kaufen. Im Souq hingegen hängen ganze Hammel am Haken in der Gasse, und die billigen Kleider sind Made in Hongkong. Rana Rishi ist eine junge Mutter von 26 Jahren. Sie wohnt in einem reichen Neustadtviertel. Über den Souq sagt sie abschätzig:
"Dort gibt es nur so altmodische Sachen. Wir wollen aber neue Sachen. Im Souq gibt es zum Beispiel kein Waschpulver für Waschmaschinen. Es gibt nur Lorbeerseife und so altes Zeug. Deshalb müssen wir in den neuen Läden einkaufen."
Ja, der Souq ist konservativ. Über Jahrtausende war er das Herz der Stadt und die Quelle ihres Reichtums. Vermutlich im Jahr 3.000 vor Christi gegründet, gilt Aleppo als eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt. Im Osmanischen Reich galt Aleppo als eine der wichtigsten Handelsstädte des Nahen Ostens, neben Beirut, Kairo und Istanbul. Und der Souq war ihr Warenumschlagplatz.
An den Wänden von Zuheir Abu-Shaars Gewürzgeschäft ist kein Kubikzentimeter Platz frei: In den Schränken stecken Dutzende Schubladen voller Kräuter, Pulver, Körner, Samen; auf den Regalen stehen Fläschchen, Tiegel, Päckchen und gefüllte Säcke. Der Duft nach Kräutern und Gewürzen erfüllt die ganze Gasse. Zuheir Abu-Shaar zieht Schubladen auf, öffnet Tüten.
"Das ist Ingwer, den gibt man in den Tee, in Gemüsesuppen, und in kleinen Mengen in den Kaffee. Dieses Kraut hier ist gut für die Nieren, das ist arabische Medizin. Das ist schatta, sehr scharfer Pfeffer, der kommt aus China. Und das ist Anis, der ist gut für den Magen."
Gewürzläden gehören zu jedem ordentlichen arabischen Souq. Nicht nur, weil man in der Küche der arabischen Länder mit Gewürzen hervorragend umzugehen versteht. Sondern auch, weil viele Araber – vor allem auf dem Dorf – noch auf die althergebrachte Kräutermedizin setzen. Der Gewürzhändler ist also gleichzeitig so etwas wie ein Apotheker. Das Wissen über die Wirkung der Kräuter hat Zuheir Abu-Shaar von seinem Vater übernommen. Über Mangel an Kunden kann er sich nicht beklagen.
"Das Geschäft läuft von Jahr zu Jahr besser, denn die Kunden werden immer mehr. Es kommen immer mehr Touristen, und die kaufen alle Geschenke. Und außerdem ist das öffentliche Verkehrssystem heute besser als früher, deshalb ist es auch für die Bewohner der Dörfer ringsum einfacher, herzukommen. Wir haben immer mehr Kunden aus den Dörfern."
Bauern und Touristen besuchen den Souq, aber kaum Stadtbewohner von Aleppo, trotz Rehabilitierung der Altstadt. Ist das Projekt der GTZ zur Aufwertung der Altstadt gescheitert? Projektleiter Spiekermann:
"Modernes Leben ermöglicht modernes Wohnen ermöglicht modernes Geschäfte machen, nur dann kann man auch die Altstadt erhalten. Aber unter bestimmten Bedingungen, nämlich Erhalt der Traditionen, des soziokulturellen Gefüges, das wir hier vorfinden. Wir wollen keine Schicksanierung, das haben wir auch bisher nicht gemacht, sondern wir wollen die Lebensbedingungen verbessern, damit diejenigen, die hier wohnen, auch in Zukunft hier wohnen bleiben und es gleichzeitig attraktiver wird für Bevölkerungsschichten, die jetzt nicht hier wohnen und die in den letzten 50, 60 Jahren ausgewandert sind."
Eine Erfolgsgarantie gibt es für diese Entwicklung allerdings nicht. Denn wer in der Altstadt arbeitet, hat in der Regel den Beruf des Vaters übernommen und bringt nur wenig Bereitschaft für neue Ideen mit. Die Seifenherstellung in Aleppo ist dafür ein Beispiel, ein jahrhundertealtes Gewerbe, nicht wegzudenken aus der Altstadt. Doch ein Besuch in einer Seifensiederei lässt die Romantik schwinden.
Die Firma Zanabili, eine der alteingesessenen von Aleppo, liegt gleich hinter dem Souq der Kupferschmiede. Der Eigentümer, Abdelbadih Zanabili, sitzt in einem Kabuff hinter einem abgestoßenen Resopalschreibtisch, darauf ein schwarzes Telefon aus den fünfziger Jahren. In einem dämmrigen Gewölbe stehen zwei Männer in Gummistiefeln und passen auf, dass die olivgrüne heiße Suppe, die vor ihnen in einem Becken wabert, auch ordentlich umgerührt wird. Ein Stockwerk tiefer beheizt ein Holzfeuer den grünen Brei. Zanabili erklärt, wie man Seife herstellt.
"Hier kommt Olivenöl rein und Wasser und Soda und Lorbeeröl. Das Rühren geht über zwei Tage, jeweils 5 bis 7 Stunden. Wenn man viel Lorbeer reintut, dauert es länger."
Wenn der Seifenbrei genug gerührt und erhitzt wurde, verändert sich die Farbe. Dann wird er in höherliegende Gewölbe gepumpt und dort auf dem Fußboden ausgestrichen, damit er erkalten kann. Etwas sehr Altertümliches hat das alles an sich. Als habe sich seit Jahrhunderten an der Herstellung der berühmten Alepposeife nichts geändert. Und tatsächlich:
Zanabili: "Ich stelle seit 70 Jahren Seife her. Es gibt nur eine Herstellungsweise. Und dann gibt es unterschiedliche Sorten. Das hängt von dem Lorbeeranteil ab. Lorbeer ist teuer. Je mehr davon drin ist, desto teurer die Seife."
Auf die Idee, mit seiner Seife zu experimentieren, kommt Zanabili nicht. Dabei haben sich die Zeiten geändert, auch für die Alepposeife. Lange Zeit reichte ihr Ruhm weit über Syrien hinaus. Da Lorbeer aber Allergien auslösen kann, darf die traditionelle Alepposeife in Europa nicht mehr als Körperseife verkauft werden, sondern nur noch als Haushaltsseife. Das erschwert den Export. In Syrien selbst wurde früher die Aleppiner Kernseife für alles benutzt, was man waschen kann. Doch inzwischen machen Shampoo, Waschpulver und Geschirrspülmittel ihr Konkurrenz.
Andere haben inzwischen Konsequenzen aus den veränderten Bedingungen gezogen. Muhammad Musaffi al-Asal etwa. Der 79-Jährige ist ein kleines Männchen, mit einem langen Kaftan und einem roten Fes auf dem Kopf, wachen Augen und Entschiedenheit in der Stimme. Seit 66 Jahren führt er das bedeutendste Teppichgeschäft des Souqs. An den Wänden stapeln sich Teppiche und Kilims, also Webteppiche, bis zur Decke. Zusätzlich zu dem im Souq hat al-Asal vor Jahren schon in der Neustadt einen weiteren Laden eröffnet.
"Draußen, in der Neustadt, verkaufe ich mehr. Denn die Aleppiner kommen nicht so oft in den Souq. Sie können nicht mit dem Auto her. Und dort ist auch abends offen, hier wird abends zugemacht."
Abdel Hayy Kaddour versucht, mit dem Pfund zu wuchern, das die traditionelle aleppinische Architektur darstellt. Er baut gerade das zweite alte Haus in der Altstadt von Aleppo zum Hotel aus. In Damaskus ist es bereits Mode unter den Jugendlichen, an Feiertagen oder am Wochenende die Altstadt zu besuchen und dort in einem Café Wasserpfeife zu rauchen. Die Altstadt dort ist wieder schick geworden. Abdel Hayy Kaddour sieht diese Entwicklung auch für Aleppo voraus.
"Die reichen, großen Familien, die in der Neustadt wohnen, gehen gerne – Nostalgie – zwei, drei Freundinnen sagen: oh ja, gehen wir in al-Medina zu kaufen Gewürze oder Stoff, und kommen zurück nach die Altstadt. Das ist wie Tourismus, aber auch oh ja, erinnern sie meine Mutter, als sie in den Souq ging und Gewürze kaufte und die typische Medizin mit Pflanzenmedizin. Und viele kommen jetzt in die Altstadt."
Langsame, kleine Schritte werden hier getan. Ob sie zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und einer Aufwertung der Altstadt führen werden, ist noch ungewiss. Aber bislang hat die Altstadt von Aleppo eine große Chance nicht vertan: Ihr Weltkulturerbe lebendig zu erhalten.
Ein kleines Wunderwerk ist diese Altstadt von Aleppo. Ein über Jahrhunderte gewachsenes Labyrinth, in dem auf engstem Raum gelebt, gearbeitet und gehandelt wird. Ein Stück Orient, voller Farben, Düfte, Gewürze und Geschrei.
Seit 1993 hat die GTZ gemeinsam mit den syrischen Behörden Kanalisation und Trinkwasserleitungen der Altstadt erneuert. 1.000 Familien konnten ihre Häuser mithilfe eines zinslosen Mikrokredits renovieren. Nun stößt man in der Altstadt hier und da auf restaurierte alte Häuser, aufgearbeitete Holztüren und -fenster und glänzende rote Ziegeldächer – Musterbeispiele, an denen man sieht, wie es sein könnte. Das Gesamtbild ist jedoch grau und staubig wie eh und je. Die Altstadt wirkt wie ein alter Elefant, der sich nur ungern von der Stelle rührt.
Im kühlen Halbdunkel der Kuppeln reiht sich Laden an Laden. Souq heißt so ein traditionelles Geschäftszentrum auf Arabisch: Markt, wobei es auf diesem Markt nicht nur Obst und Gemüse zu kaufen gibt, sondern Kosmetika, Kleidung, Kochgeschirr und Perserteppiche.
Seit jeher werden im Souq Waren nicht nur verkauft, sondern auch hergestellt. Der Souq von Aleppo ist einer der größten der arabischen Welt – seine engen Gässchen erstrecken sich auf etwa zehn Kilometer Länge. Und er ist einer der Traditionellsten. Er hat sich noch nicht, wie der Große Bazar in Istanbul oder der Khan el-Khalili in Kairo, in einen riesigen Souvenirladen verwandelt.
Die Gassen gehören den Fußgängern. Nur gelegentlich werden sie von einem waghalsigen Fahrrad- oder Mopedfahrer, einem Pick-up oder einem Lastenesel zur Seite gedrängt. Für Touristen ist diese große Fußgängerzone erfreulich – die meisten Einheimischen sehen darin jedoch einen Nachteil. Jenny Poche-Marrache etwa, eine resolute Dame über 60, Nachfahrin europäischer Juden und Christen und Witwe eines Syrers.
"Es ist schwierig, in die Altstadt hinein zu kommen, vor allem, wenn man zu einem Diner oder einem Ball geht. Man kann in den Souqs nicht mit Absätzen laufen. Deshalb ziehen die Leute moderne Orte vor, wo man das Auto gleich gegenüber parken kann."
Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein. Vor 80 Jahren hatte Aleppo 120.000 Einwohner, und die lebten alle in der Altstadt. Heute hat Aleppo zweieinhalb Millionen Einwohner, aber die Einwohnerzahl der Altstadt ist die gleiche geblieben. Der Kleinunternehmer Mustafa Kawayya fährt nur dorthin, um seine Mutter zu besuchen. Sie lebt noch immer in dem Haus, in dem er geboren wurde.
Kawayyas dickes Auto passt kaum durch die schmalen Straßen. In den dämmrigen Gässchen der Wohnviertel sind nur Schritte und Stimmen zu hören. Hier kennt man sich.
Mustafa Kawayyas Mutter lebt in einem engen, verschatteten Haus, das Feuchtigkeit atmet. Im ungeheizten Schlafzimmer blüht dunkelrosa Schimmel an der Wand, der Putz wölbt sich. Die Zimmer gruppieren sich um einen kleinen Innenhof. Im Winter wird nur das Wohnzimmer beheizt, mit einem Petroleumöfchen. Jedesmal, wenn die alte Frau das Wohnzimmer verlässt, muss sie den kalten, unüberdachten Innenhof durchqueren. Dennoch lebt sie gerne dort. Da sie Hemmungen hat, vor dem Mikrofon zu reden, übernimmt ihr Sohn Mustafa einen Großteil der Antworten.
"Alte Frauen ziehen das Leben in den alten Häusern vor. Es gibt die Erinnerungen an das Leben in der Großfamilie, mit Großeltern und Enkeln."
Die unüberdachten Innenhöfe sind das Herz arabischer Wohnhäuser. Topfpflanzen tauchen sie im Sommer in ein grünes Licht, in der Mitte flüstert zumeist ein Springbrunnen. Alle Zimmer öffnen sich auf diesen Innenhof. Doch hat so ein Hof auch seine Schattenseiten, wie Abdel Hayy Kaddour erklärt, der in der Altstadt ein altes Haus zum Hotel umgebaut hat.
"Diese Häuser sind open air, der Regen kommt rein, Staub, und viele junge Familien sagen: Oh nein, ich bleibe nicht in diesem Haus, das muss man jeden Tag putzen und viel Arbeit – oh in der neuen Stadt haben wir eine moderne Küche, einen Balkon und so. Deshalb möchten alle in die neuen Häuser wohnen."
Auch das Warenangebot in den Neubauvierteln sagt den Mittelschichtsfamilien mehr zu. In den Läden der Neustadt gibt es grell duftende Seifen, abgepackte Chips, Handys und Kleidung von ausländischen Designern zu kaufen. Im Souq hingegen hängen ganze Hammel am Haken in der Gasse, und die billigen Kleider sind Made in Hongkong. Rana Rishi ist eine junge Mutter von 26 Jahren. Sie wohnt in einem reichen Neustadtviertel. Über den Souq sagt sie abschätzig:
"Dort gibt es nur so altmodische Sachen. Wir wollen aber neue Sachen. Im Souq gibt es zum Beispiel kein Waschpulver für Waschmaschinen. Es gibt nur Lorbeerseife und so altes Zeug. Deshalb müssen wir in den neuen Läden einkaufen."
Ja, der Souq ist konservativ. Über Jahrtausende war er das Herz der Stadt und die Quelle ihres Reichtums. Vermutlich im Jahr 3.000 vor Christi gegründet, gilt Aleppo als eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt. Im Osmanischen Reich galt Aleppo als eine der wichtigsten Handelsstädte des Nahen Ostens, neben Beirut, Kairo und Istanbul. Und der Souq war ihr Warenumschlagplatz.
An den Wänden von Zuheir Abu-Shaars Gewürzgeschäft ist kein Kubikzentimeter Platz frei: In den Schränken stecken Dutzende Schubladen voller Kräuter, Pulver, Körner, Samen; auf den Regalen stehen Fläschchen, Tiegel, Päckchen und gefüllte Säcke. Der Duft nach Kräutern und Gewürzen erfüllt die ganze Gasse. Zuheir Abu-Shaar zieht Schubladen auf, öffnet Tüten.
"Das ist Ingwer, den gibt man in den Tee, in Gemüsesuppen, und in kleinen Mengen in den Kaffee. Dieses Kraut hier ist gut für die Nieren, das ist arabische Medizin. Das ist schatta, sehr scharfer Pfeffer, der kommt aus China. Und das ist Anis, der ist gut für den Magen."
Gewürzläden gehören zu jedem ordentlichen arabischen Souq. Nicht nur, weil man in der Küche der arabischen Länder mit Gewürzen hervorragend umzugehen versteht. Sondern auch, weil viele Araber – vor allem auf dem Dorf – noch auf die althergebrachte Kräutermedizin setzen. Der Gewürzhändler ist also gleichzeitig so etwas wie ein Apotheker. Das Wissen über die Wirkung der Kräuter hat Zuheir Abu-Shaar von seinem Vater übernommen. Über Mangel an Kunden kann er sich nicht beklagen.
"Das Geschäft läuft von Jahr zu Jahr besser, denn die Kunden werden immer mehr. Es kommen immer mehr Touristen, und die kaufen alle Geschenke. Und außerdem ist das öffentliche Verkehrssystem heute besser als früher, deshalb ist es auch für die Bewohner der Dörfer ringsum einfacher, herzukommen. Wir haben immer mehr Kunden aus den Dörfern."
Bauern und Touristen besuchen den Souq, aber kaum Stadtbewohner von Aleppo, trotz Rehabilitierung der Altstadt. Ist das Projekt der GTZ zur Aufwertung der Altstadt gescheitert? Projektleiter Spiekermann:
"Modernes Leben ermöglicht modernes Wohnen ermöglicht modernes Geschäfte machen, nur dann kann man auch die Altstadt erhalten. Aber unter bestimmten Bedingungen, nämlich Erhalt der Traditionen, des soziokulturellen Gefüges, das wir hier vorfinden. Wir wollen keine Schicksanierung, das haben wir auch bisher nicht gemacht, sondern wir wollen die Lebensbedingungen verbessern, damit diejenigen, die hier wohnen, auch in Zukunft hier wohnen bleiben und es gleichzeitig attraktiver wird für Bevölkerungsschichten, die jetzt nicht hier wohnen und die in den letzten 50, 60 Jahren ausgewandert sind."
Eine Erfolgsgarantie gibt es für diese Entwicklung allerdings nicht. Denn wer in der Altstadt arbeitet, hat in der Regel den Beruf des Vaters übernommen und bringt nur wenig Bereitschaft für neue Ideen mit. Die Seifenherstellung in Aleppo ist dafür ein Beispiel, ein jahrhundertealtes Gewerbe, nicht wegzudenken aus der Altstadt. Doch ein Besuch in einer Seifensiederei lässt die Romantik schwinden.
Die Firma Zanabili, eine der alteingesessenen von Aleppo, liegt gleich hinter dem Souq der Kupferschmiede. Der Eigentümer, Abdelbadih Zanabili, sitzt in einem Kabuff hinter einem abgestoßenen Resopalschreibtisch, darauf ein schwarzes Telefon aus den fünfziger Jahren. In einem dämmrigen Gewölbe stehen zwei Männer in Gummistiefeln und passen auf, dass die olivgrüne heiße Suppe, die vor ihnen in einem Becken wabert, auch ordentlich umgerührt wird. Ein Stockwerk tiefer beheizt ein Holzfeuer den grünen Brei. Zanabili erklärt, wie man Seife herstellt.
"Hier kommt Olivenöl rein und Wasser und Soda und Lorbeeröl. Das Rühren geht über zwei Tage, jeweils 5 bis 7 Stunden. Wenn man viel Lorbeer reintut, dauert es länger."
Wenn der Seifenbrei genug gerührt und erhitzt wurde, verändert sich die Farbe. Dann wird er in höherliegende Gewölbe gepumpt und dort auf dem Fußboden ausgestrichen, damit er erkalten kann. Etwas sehr Altertümliches hat das alles an sich. Als habe sich seit Jahrhunderten an der Herstellung der berühmten Alepposeife nichts geändert. Und tatsächlich:
Zanabili: "Ich stelle seit 70 Jahren Seife her. Es gibt nur eine Herstellungsweise. Und dann gibt es unterschiedliche Sorten. Das hängt von dem Lorbeeranteil ab. Lorbeer ist teuer. Je mehr davon drin ist, desto teurer die Seife."
Auf die Idee, mit seiner Seife zu experimentieren, kommt Zanabili nicht. Dabei haben sich die Zeiten geändert, auch für die Alepposeife. Lange Zeit reichte ihr Ruhm weit über Syrien hinaus. Da Lorbeer aber Allergien auslösen kann, darf die traditionelle Alepposeife in Europa nicht mehr als Körperseife verkauft werden, sondern nur noch als Haushaltsseife. Das erschwert den Export. In Syrien selbst wurde früher die Aleppiner Kernseife für alles benutzt, was man waschen kann. Doch inzwischen machen Shampoo, Waschpulver und Geschirrspülmittel ihr Konkurrenz.
Andere haben inzwischen Konsequenzen aus den veränderten Bedingungen gezogen. Muhammad Musaffi al-Asal etwa. Der 79-Jährige ist ein kleines Männchen, mit einem langen Kaftan und einem roten Fes auf dem Kopf, wachen Augen und Entschiedenheit in der Stimme. Seit 66 Jahren führt er das bedeutendste Teppichgeschäft des Souqs. An den Wänden stapeln sich Teppiche und Kilims, also Webteppiche, bis zur Decke. Zusätzlich zu dem im Souq hat al-Asal vor Jahren schon in der Neustadt einen weiteren Laden eröffnet.
"Draußen, in der Neustadt, verkaufe ich mehr. Denn die Aleppiner kommen nicht so oft in den Souq. Sie können nicht mit dem Auto her. Und dort ist auch abends offen, hier wird abends zugemacht."
Abdel Hayy Kaddour versucht, mit dem Pfund zu wuchern, das die traditionelle aleppinische Architektur darstellt. Er baut gerade das zweite alte Haus in der Altstadt von Aleppo zum Hotel aus. In Damaskus ist es bereits Mode unter den Jugendlichen, an Feiertagen oder am Wochenende die Altstadt zu besuchen und dort in einem Café Wasserpfeife zu rauchen. Die Altstadt dort ist wieder schick geworden. Abdel Hayy Kaddour sieht diese Entwicklung auch für Aleppo voraus.
"Die reichen, großen Familien, die in der Neustadt wohnen, gehen gerne – Nostalgie – zwei, drei Freundinnen sagen: oh ja, gehen wir in al-Medina zu kaufen Gewürze oder Stoff, und kommen zurück nach die Altstadt. Das ist wie Tourismus, aber auch oh ja, erinnern sie meine Mutter, als sie in den Souq ging und Gewürze kaufte und die typische Medizin mit Pflanzenmedizin. Und viele kommen jetzt in die Altstadt."
Langsame, kleine Schritte werden hier getan. Ob sie zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und einer Aufwertung der Altstadt führen werden, ist noch ungewiss. Aber bislang hat die Altstadt von Aleppo eine große Chance nicht vertan: Ihr Weltkulturerbe lebendig zu erhalten.