"Marketing ist Blödsinn!"

Von Margarete Limberg |
Es war eine Premiere: Drei Stunden lang standen die Großen des Berliner Theaters den Mitgliedern des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses Rede und Antwort. Claus Peymann, Frank Castorf, Bernd Wilms, Armin Petras, Thomas Ostermeier - sie alle waren gekommen, um auf Fragen wie diese zu antworten: Wie wollen sie das Profil ihres Theaters schärfen, wie sich gegen die nahe Konkurrenz abgrenzen, wie sich um welches Publikum bemühen?
Die Idee zu dieser Anhörung stammte von den Grünen. Deren kulturpolitische Sprecherin Alice Ströwer beklagt, dass bisher ein solcher Austausch weder zwischen der Politik und den Theaterdirektoren noch unter denen selbst stattgefunden habe. Umso wichtiger sei es:

"…dass die Theater, die oft nur fußläufig voneinander entfernt sind in Berlin, wissen, was sie wollen und wir auch wissen, wofür sie stehen. Unrealistisch aber wünschenswert wäre es auch, die Konkurrenz zwischen den Theatern produktiv zu machen und die künstlerischen LeiterInnen auch in einen Dialog miteinander treten zu lassen."

Einige bemühten sich fast schon brav, den Wissensdurst der Berliner Kulturpolitiker zu stillen, ohne allerdings wirklich Überraschendes mitzuteilen zu haben. Das Gorki Theater verstehe sich als eine Art Berliner Stadttheater, so Armin Petras, die Lebenswirklichkeit der Randständigen und die Ängste der Mittelschichten gelte es zu spiegeln, betonte Schaubühnenchef Ostermeier. Bernd Wilms, der Intendant des Deutschen Theaters, der nur noch im Amt ist, weil es Kultursenator Thomas Flierl nicht gelang, einen anderen auf den Chefsessel zu hieven, stellte fest:

"Sicher sind wir das Theater der klassischen Stücke in ganz besonderer Weise, und wir haben das in der letzten Spielzeit zum Motto erhoben, wir haben den Titel 'deutsche Stoffe' über die Spielzeit gestellt."

Und das mit beachtlichem Erfolg. So verzeichnete das Deutsche Theater in der vergangenen Saison eine Auslastung von rund 86 Prozent. Was Claus Peymann nicht sonderlich beeindruckte, zu 90 Prozent sei das Berliner Ensemble ausgelastet, nur rede niemand drüber. Sticheleien der Theaterleute untereinander gaben der Anhörung eine spezielle Würze. Frank Castorf meinte spöttisch, wenn nicht verachtungsvoll zu den Erfolgsbilanzen seiner Kollegen:

"Das war ja eben ein bisschen wie eine Ministerratssitzung in der DDR - höher, schneller, weiter."

Der Chef der Berliner Volksbühne beklagte eine aus Westdeutschland nach Berlin überschwappende Provinzialität, und schweifte lieber zu seinen Gastspielen in Brasilien oder schwärmte von einer Begegnung mit dem populistischen venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chavez. Sein Theater sieht er als eine Art Botschafter für eine andere Art deutschen Denkens in der Welt.

Die Idee der FDP-Fraktion, durch neue Marketingmethoden ein neues, vor allem jugendliches Publikum zu gewinnen, fand keinen Beifall. Bevor man über Inhalte nachdenke, zu überlegen, wie man eine Sache verkaufe, das könne nicht funktionieren, meinte Thomas Ostermeier:

"Sobald ich das Gefühl hätte, dass ich per Marketingtricks, die irgendwie mit Attributen von Jugendlichkeit daherkommen, verführt werden soll, ins Theater zu gehen, würde ich nicht dorthin gehen. Ohne dass die Inhalte wichtig wären, wird keiner kommen und ohne dass das, was auf der Bühne irgendeine Bedeutung darstellt, gibt's kein Publikum."

"Mumpitz" nennt Peymann den in der Anhörung vorgestellten wissenschaftlichen Versuch, dem Theaterpublikum per Demoskopie auf die Spur zu kommen:

"Ich bin abends an der Kasse, ich diskutiere viermal mit meinem Publikum. Ich weiß Bescheid. Ich muss nicht wissen, ob die geschlechtslos sind oder mittlere Reife haben. Ich möchte wissen, ob sie mein Theater lieben."

Peymann, obwohl er bis zum Schluss ausharrte, ging die ganze Veranstaltung offenbar gehörig auf die Nerven. Ihm war das alles zu banal. Wir reden über Windelpflege, während es ums Kind geht, hielt er den Politikern vor. Der leidenschaftliche Theatermann watschte die bemühten Abgeordneten nach Strich und Faden ab:

"Es ist völlig absurd, dass ich mir das hier anhöre, weil das Abenteuer, was wir erzeugen, was Theateraufführungen zu Festen macht, ist etwas völlig anderes. Das ist das Geheimnis der unkontrollierten Theaterkunst, das ist, wenn die Leute in "Die Mutter" gehen und begreifen, dass Gorki/Brecht für unsere politische Realität noch etwas zu sagen hat, viel mehr als die betulichen Versuche, das jetzt irgendwie in der Streichholzschachtel zu fassen, während wir doch einen Kosmos greifen. Ich will das nur sagen, dass ich hier nicht völlig blöde rausgehe und mir schon vorkomme wie ein Mitglied im Kulturausschuss"."

Die Idee des Berliner Kultursenators Flierl, dass jede Bühne für eine besondere Art des Theaters zuständig sein solle, das eine fürs Klassische, das andere fürs radikal Experimentelle, das nächste für die Bedürfnisse des Stadttheaterpublikums und so weiter, fand ebenfalls keine Gegenliebe. Ein Konzept entstehe durch Personen, umso wichtiger seien die künftigen Entscheidungen der Berliner Politik über die Nachfolger eines Castorf, Wilms und Peymann.

Vehement erhoben die Intendanten Einspruch gegen die zunehmende Tendenz, eher Management- Spezialisten an die Spitze von Theatern zu setzen. Noch einmal Claus Peymann:

""Manchmal verwandeln sich dann diese dramaturgisch oder kommerziell managementmäßig geführten Theater doch in verwechselbare Luxushotels, die sich praktisch wie ein Ei dem anderen gleichen. Und bei den Temperamenten der verschiedenen Künstlerregisseure sieht man dann doch aufs Ganze gesehen große Unterschiede. Aber ich warne Sie, suchen Sie sich nicht die Theaterdirektoren aus, mit denen Sie am besten auskommen. Sie sind da ganz unwichtig."

Es ging bei dieser Veranstaltung nicht in erster Linie ums Geld. Aber natürlich kam man an diesem Thema nicht ganz vorbei. Schließlich ist die Schaubühne dank struktureller Unterfinanzierung, die ja auch von der Politik nicht geleugnet wird, in großen Schwierigkeiten. Kultursenator Flierl konnte indessen nicht mehr, als vage zu versprechen, sein Bestes tun zu wollen:

"Wir führen das Gespräch mit der Schaubühne, und ich glaube, dass wir da auch gemeinsam einen Umfang bemessen können, der für die zukünftige Ausfinanzierung der Schaubühne berücksichtigt werden wird."

Theaterschließungen soll es nicht geben.

Was haben die drei Stunden Anhörung gebracht? Nichts wirklich Neues. Aber es kann sicher nicht schaden, miteinander zu reden. Und alles in allem mussten die Theaterleute doch zugeben, dass sie in Berlin auf eine Offenheit stoßen, nach der sich ihre Kollegen andernorts nur schmerzlich sehnen können.