Mark W. Moffett: "Was uns zusammenhält"

Reise durch die Geschichte des Lebens

05:54 Minuten
"Was uns zusammenhält: Eine Naturgeschichte der Gesellschaft" von Mark W. Moffett
Was den Ameisen der Geruch, sind dem Homo sapiens Frisuren, Kleidung, Gestik, Sprache – und Hautfarben, so Mark W. Moffett. © S. Fischer Verlag/Unsplash/Simon Migaj
Von Susanne Billig · 17.05.2019
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In "Was uns zusammenhält" breitet der Soziobiologe Mark Moffett ein beeindruckendes Panorama seines biologischen und anthropologischen Wissens aus - etwa, dass Menschen wie Ameisen anonyme Gesellschaften formen. Ein nicht immer stimmiges Thesenfeuerwerk.
Bei San Diego treffen zwei Superkolonien Argentinischer Ameisen aufeinander. Jede davon herrscht mit mehreren Milliarden Mitgliedern über ein gigantisches, halbe Kontinente umspannendes Revier. Die kilometerlange Grenze bildet das größte Schlachtfeld aller Zeiten: Die Superkolonien kämpfen so erbittert gegeneinander, dass hier monatlich über eine Million Ameisen ihr Leben lassen.
In seinem wuchtigen, neuen Buch "Was uns zusammenhält" breitet der Soziobiologe Mark Moffett auf fast 700 Seiten ein beeindruckendes Panorama seines biologischen und anthropologischen Wissens aus – spannend zu lesen wie ein Abenteuerroman. Vom Ameisenschlachtfeld aus macht er sich auf eine Reise quer durch die Geschichte des Lebens, immer auf der Suche nach dem Kitt, der aus einzelnen Lebewesen Sozialverbände macht und Nester, Horden, Herden, Schwärme, Kulturen und Staaten – samt Feinden – entstehen und wieder vergehen lässt.

Menschen und Ameisen haben etwas gemeinsam

Neben dem Menschen sind soziale Insekten die einzigen Lebewesen, die anonyme Gesellschaften formen, erklärt der Soziobiologe. Obgleich sich die Angehörigen einer Ameisen-Superkolonie persönlich nicht kennen, akzeptieren sie einander doch als zugehörig – durch den Geruch. Auch Menschen leben auf engstem Raum mit Fremden. Ein Stadtbewohner drängt sich täglich durch Straßen voll von unbekannten Artgenossen, ohne in massive Kampf- oder Fluchtreaktionen zu verfallen.
Schimpansen, so macht Mark Moffett an vielen Beispielen deutlich, ist eine solche Gelassenheit völlig unmöglich. Wer nicht zur eigenen Gruppe gehört, wird als Feind verjagt oder getötet. Nur Weibchen befreunden sich gelegentlich grenzüberschreitend – und halten ihre Verbindung vor den anderen geheim. Ausführlich befasst sich das Buch mit den "Markern", anhand derer Insider von Fremden unterschieden werden. Was den Ameisen der Geruch, sind dem Homo sapiens Frisuren, Kleidung, Gestik, Sprache – und Hautfarben, so der Autor. Hier allerdings beginnt die Zwiespältigkeit dieses ansonsten brillant erzählten Sachbuches. Zu undifferenziert springt Moffett vom Tier zum Menschen.

Soziobiologe mit Globalperspektive

Zwar gibt er sich Mühe, auf Hunderten von Seiten aus zahllosen Tierverhaltensstudien abzuleiten, nach welchen Grundprinzipien Gesellschaften Friedensprozesse und Konflikte organisieren, wann sie Fremde respektieren oder diskriminieren. Doch der inflationäre Gebrauch des eingemeindenden "Wir" – "wir Menschen, so sind wir, so fühlen wir" –zeigt, wie sehr der Soziobiologe auf eine Globalperspektive aus ist, die den erheblichen Varianten menschenmöglichen Verhaltens kaum Rechnung trägt.
Anstatt induktiv aus Beobachtungen vorsichtige Schlussfolgerungen zu ziehen, kommt bei ihm erst die These – etwa dass es dem Menschen evolutionär in die Wiege gelegt sei, eine "andere" Hautfarbe als "fremd und somit abzulehnen" einzustufen. Dann prasseln die Beispiele herbei, die das veranschaulichen sollen. Da hilft es auch nichts, wenn der Autor betont, sein Buch solle gangbare Wege aus Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufzeigen – es steckt leider mit darin.

Mark W. Moffett: "Was uns zusammenhält: Eine Naturgeschichte der Gesellschaft"
aus dem Englischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2019
688 Seiten, 26,00 Euro

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