Mark R. Cohen: "Unter Kreuz und Halbmond"

Rezensiert von Stephanie von Oppen |
Angesichts eines wachsenden Antisemitismus in der islamischen Welt wird oft vergessen, dass es Zeiten gab, in denen Muslime und Juden einigermaßen harmonisch ko-existiert haben, es der jüdischen Minderheit unter muslimischer Herrschaft zumindest deutlich besser erging als den Juden im christlichen Nord-West-Europa.
Wie kam es zu diesem Unterschied? Mark R. Cohen, Professor für Nahoststudien und jüdische Geschichte an der US-amerikanischen Princeton University, ist dieser Frage nachgegangen. Mit "Unter Kreuz und Halbmond" liegt nun auch die deutsche Übersetzung seines Buches vor.

Den Nahostkonflikt im Hintergrund, verzerren zwei Mythen Cohens Beobachtung nach den Blick arabischer und jüdischer Autoren auf die Geschichte: Der eine ist (auf arabischer Seite) der Mythos von einem interreligiösen Utopia für Juden und Muslime, das erst durch den jüdischen Zionismus zerstört worden sei. Der andere ist der (vor allem unter orientalischen Juden verbreitete) Mythos, dass die Muslime die Juden schon immer verfolgt hätten.

Dies unter anderem will Cohen mit seinem Buch widerlegen. Um ein differenziertes Bild vom Zusammenleben der Juden und Muslimen im Orient des Mittelalters zu bekommen zieht er zum Vergleich die Verhältnisse im christlichen Europa heran. Einen modernen Toleranzbegriff, so betont Cohen, habe es im Mittelalter natürlich noch nicht gegeben. Immer hat die jeweilige Mehrheitsreligion sich gegenüber der religiösen Minderheit abgegrenzt und ihre Überlegenheit demonstriert.

Cohen vergleicht die Rechte der Juden, ihre wirtschaftliche Lage, den sozialen und gesellschaftlichen Rang in Nordeuropa und im arabischen Raum und zieht daraus Schlüsse für das Zusammenleben. Juden in der islamischen Welt zum Beispiel hatten einen klar umschriebenen Status der Dhimmis, der Ungläubigen und gehörten damit zu einer ganzen Gruppe von verschiedenen religiösen Minderheiten. Sie waren einem Gesetz unterworfen, das ihnen zwar deutlich eine unterprivilegierte Stellung zuwies, aber über die Jahrhunderte relativ verlässlich angewandt wurde. In der lateinischen Christenheit hingegen sahen sich die Juden immer neuen Gesetzgebungen ausgesetzt, je nachdem welchem Herrscher sie zu gehorchen hatten. Das führte zu Willkür im Umgang mit den Juden und deren ständiger Verunsicherung.

Weil es unter Christen zunächst verpönt war mit Geld umzugehen, überließ man geschäftliche Tätigkeiten lange Zeit vor allem den Juden. Dafür wurden sie gehasst. Gleichzeitig profitierten Städte und Gemeinden finanziell von den Juden. Jüdische Kaufleute, die viel unterwegs sein mussten, traf außerdem das Misstrauen der eher sesshaften Bevölkerung Nordeuropas. Jüdische Kaufleute in den islamischen Ländern hatten es da leichter. Im Islam galt es nicht als Sünde mit Geld umzugehen und reisende Händler gehörten selbstverständlich zum Alltag in der damaligen Kultur.

Entscheidend waren die theologischen Diskussionen. Allein der gemeinsame jüdische und christliche Anspruch auf die Bibel habe den Grundstein für einen dauerhaften Konflikt gelegt, schreibt Cohen. Christen erhoben den Anspruch, das neue Israel zu sein und die Juden als erwähltes Volk abgelöst zu haben.

Den Muslimen fiel es leichter sich abzugrenzen. Sie lehnten die Texte der heiligen Schrift sowieso als Verfälschung ab. Ihre Abstammung leiteten sie nicht von Israel, sondern von dem erstgeborenen Sohn Abrahams, Ismael ab. Und immerhin hatten sie mit den Juden eines gemein: den strengen Monotheismus. Beide Religionen verachteten die Trinitätslehre der Christen als Verstoß gegen die Lehre von dem einen Gott.

Warum es den Juden im Mittelalter unter den Muslimen besser erging als unter den Christen, weiß Cohen einsichtig zu belegen. Er verschweigt aber auch nicht, dass es in der muslimischen Welt durchaus zu schweren Ausschreitungen gegen die jüdische Minderheit gekommen ist. Und er weist auch darauf hin, dass es in bestimmten Phasen des Mittelalters, in bestimmten Ländern Europas auch friedliche Phasen des Zusammenlebens von Juden und Christen gegeben hat.

Cohen ist es auf 200 Seiten gelungen, ein sehr komplexes Thema mit erstaunlicher Tiefe darzustellen. Am Ende bleibt ein großes Fragezeichen: Was ist genau geschehen, dass sich das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen, nicht erst seit der Gründung des Staates Israel, so dramatisch verschlechtert hat? Das wäre das Thema für ein nächstes Buch.

Mark R. Cohen: Unter Kreuz und Halbmond
Übersetzt von Christian Wiese
Verlag C.H. Beck, 2005
240 Seiten, 24,90 Euro