Mark Miodownik: "Wunderstoffe"

Warum Schokolade wunderbar ist

Eine Liebe zu einer Süßigkeit: Schokolade.
Eine Liebe zu einer Süßigkeit: Schokolade. © imago/Westend61
26.10.2016
Sie gehen täglich durch unsere Hände: Materialien wie Stahl, Glas oder Holz. Dabei könnte man sie als "Wunderstoffe" bezeichnen - der Autor Mark Miodownik führt uns die wundersame Welt der Materialwissenschaften vor.
Es beginnt mit einem Überfall: Ein Schuljunge wird auf einem U-Bahnhof bedroht. Er flüchtet in die abfahrende Bahn. Der Angreifer schlägt mit einer winzigen Rasierklinge nach ihm. Problemlos dringt der dünne Stahl durch die Lederjacke des Jungen, seine Schuluniform, seine Weste, seinen Pullover und sein Baumwollhemd und ritzt die Haut auf. Der Schuljunge ist Mark Miodownik, und mit diesem Überfall beginnt sein Erstaunen über die Dinge um uns herum und die Stoffe, aus denen sie gemacht sind. Heute ist Mark Miodownik Materialwissenschaftler und hat ein Buch geschrieben über zehn Materialien, die unsere Zivilisation ausmachen.
"Wunderstoffe" erinnert an die unscheinbaren Dinge, die täglich durch unsere Hände oder unter die Haut gehen. Stahl, Glas, Porzellan, Holz, Beton, Papier, Plastik, Graphit und Schokolade sind so selbstverständlich, dass wir kaum über sie nachdenken.

Alle Materialien sind auf dem Bild zu sehen

Mark Miodownik zeigt in zehn Kapiteln aber nicht nur, dass sich das Nachdenken über sie lohnt. Er vermittelt diese Erkenntnis auch sehr persönlich. So steht im Mittelpunkt des Buches ein Foto. Es zeigt den Autor, der an einem kleinen runden Tisch zwischen gemauerten Kaminen auf seiner Dachterrasse sitzt. Um ihn herum Blumenkübel, im Hintergrund "The Shard", Londons neuster Wolkenkratzer. Alle Materialien, über die Mark Miodownik schreibt, sind auf diesem Bild zu sehen.
Dabei geht es bei ihm nicht einfach um Stoffe wie Papier, sondern um Kassenzettel, einen Brief seines Großvaters und dessen Ausweis, um Fahrkarten, Geschenkpapier und Briefumschläge, auf denen er unterwegs Berechnungen anstellt.
Oder eben um einen Schuljungen, der von einer Klinge verletzt wird und sich später fragen wird, was an der Stahlherstellung eigentlich so schwierig ist, warum Eisen rostet, metallisches Essbesteck keinen Eigengeschmack hat und japanischer Schwertstahl über fünf Jahrhunderte der beste der Welt war. Und auch in der Erzählform variiert er, wann immer es ihm passend erscheint: statt einen langen Fließtext über Plastik zu schreiben, erzählt er dessen Geschichte lieber in Form eines Drehbuchs. Denn ohne den Kunststoff Zelluloid hätte es die Filmindustrie nie gegeben.

Poetischer Geschmackscocktail

Mit seinen lebendigen Schilderungen vermittelt Mark Miodownik fast mühelos Erkenntnisse über die Innenwelt der Alltagsdinge. Manchmal wird er fast poetisch, wenn er den Geschmackscocktail von Schokolade im Mund beschreibt oder ihm ein erstaunlicher Schaum, ein bläulich schimmerndes Aerogel, das zu 99,8 Prozent aus Luft besteht, wie ein Stück Himmel in der Hand erscheint. Auf atomarer Ebene geht es dabei häufig um Kristalle und ihre Anordnung. Plötzlich versteht man, warum Glas durchsichtig ist und Beton nicht trocknet (er härtet auch unter Wasser).
Fazit: "Wunderstoffe" ist ein wunderbar zugängliches und vielfältiges Buch, das neugierig macht auf die Geheimnisse der Materialwissenschaft.

Mark Miodownik, Wunderstoffe.
Zehn Materialien, die unsere Zivilisation ausmachen
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
DVA, München 2016
304 Seiten, 19,99 Euro