Mario Vargas Llosa eröffnet Literaturfestival Berlin

Eine Festrede mit Schwächen

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Mario Vargas Llosa hält die Festrede zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals Berlin. Er steht an einem Rednerpult und wendet sich an die Zuhörerschaft.
Mario Vargas Llosa betonte die Macht der Literatur bei seiner Eröffnungsrede. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
Von Tobias Wenzel · 09.09.2020
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Mit einer Lobpreisung der Kraft der Literatur hat Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa das Internationale Literaturfestival Berlin eröffnet. Die Rede „war engagiert, aber nicht bedeutend“, kommentiert Autor Tobias Wenzel.
"Literatur ist für schwierige Zeiten gemacht." Mit diesem Satz begann Mario Vargas Llosa seine fast freie, nur anhand von Stichpunkten vorgetragene Rede, mit der er das 20. Internationale Literaturfestival Berlins eröffnete. Die fast leeren Ränge im Kammermusiksaal der Philharmonie gaben ein tristes Bild ab. So ist das eben in Zeiten von Mindestabständen und Corona.

Die Angst der Diktaturen vor der Literatur

Aber immerhin konnte man die Veranstaltung auch live im Internet erleben. Literatur sei nicht nur Unterhaltung und Zeitvertreib, betonte der peruanische Literaturnobelpreisträger. Denn Dank der Literatur würde sich "zu einem großen Teil" das Leben der Menschen verändern, ja verbessern. Denn nichts transportiere so gut die "unendlichen Unzufriedenheiten" der Menschen wie die Literatur:
"Diktaturen sind immer tiefgreifend misstrauisch gegenüber der Literatur. Sie wissen, dass die Literatur eine Gefahr für sie darstellt. Und sie haben Recht."
300 Jahre lang, während der Kolonialzeit, seien deshalb in Lateinamerika Romane verboten gewesen. Mit, so Vargas Llosas Interpretation, diesen Folgen:
"Da es diese Gattung, die die Fantasie hervorbringt, nicht geben durfte, wurde alles andere mit Fiktion kontaminiert. Deshalb haben wir in Lateinamerika nie richtig gut zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Fiktion und Geschichte unterscheiden können. In gewisser Weise wegen dieses 300 Jahre dauernden Romanschweigens."

Die Widersprüche bei Mario Vargas Llosa

Während seiner Rede schlug Mario Vargas Llosa manchmal im Takt seiner Rede, die ein Lob der Literatur war und ein Herausheben ihrer politischen Sprengkraft, mit der Faust auf die Kante des Rednerpults.
"Wenn wir Bürger wollen, die nicht nur Zombies sind, Bürger, die nicht einfach nur all die Entscheidungen, die von Autoritäten, von den Mächten dieser Welt, akzeptieren, sondern auch dagegen protestieren, dann müssen wir unsere Gesellschaften mit Literatur durchtränken."
So sympathisch das klang, so sehr musste man sich doch fragen: Überschätzt der peruanische Autor und Ex-Präsidentschaftskandidat da nicht doch die Macht der Literatur? Auch konnte man denken, da weist jemand den Zuhörern den rechten, den demokratischen oder gar liberalen Weg, in der Gewissheit, ihn selbst längst eingeschlagen zu haben.
Wie ist es dann aber zu erklären, dass der Aufklärer Vargas Llosa seinen Geburtstag mit dem kolumbianischen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez feierte, während dessen Präsidentschaftszeit das Militär tausendfach unschuldige Zivilisten ermordete, den die Justiz gerade unter Hausarrest gestellt hat und der Zeugen zufolge für ein von Paramilitärs begangenes Massaker persönlich verantwortlich gewesen sein soll?

Kehrtwende bei der Corona-Pandemie

Auch als Vargas Llosa über die jetzige Pandemie sprach, wäre etwas Selbstkritik angebracht gewesen. Es hätte ihn sogar sympathischer erscheinen lassen, wenn er erwähnt hätte, dass er Mitte März in einem Artikel für "El País" die Reaktionen auf die Pandemie als übertrieben und panisch beschrieben hatte und einen Vergleich zur Grippewelle gezogen hatte.
"Wir haben geglaubt, uns sei es schon gelungen, die Natur komplett zu beherrschen. Diese Pandemie, die uns alle betrifft, erinnert uns daran, dass dem nicht so ist. Die Natur kann uns noch immer vor schrecklich schwierige Herausforderungen stellen. Aus dieser Pandemie gehen wir sicher weniger arrogant hervor."
Vielleicht steckte in diesem "wir" ja doch ein wenig Selbstkritik. Diese Eröffnungsrede von Mario Vargas Llosa war engagiert, aber nicht bedeutend. Hier etwas zu brav, dort sogar von Allgemeinplätzen bestimmt, etwa wenn er darauf hinwies, eine Gesellschaft könne nie wunschlos glücklich sein. Denn Perfektion gebe es nicht. Man hätte sich etwas mehr erwartet von diesem klugen Kopf:
"Ich glaube, die beste Art, die Übel unserer Zeit zu bekämpfen, besteht darin, Bücher zu verbreiten und die Menschen von einer besseren Welt träumen zu lassen, von einer anderen Welt, in der es weniger Gründe gibt, um unzufrieden zu sein."
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