Marina Weisband über die digitale Revolution

"Datensammlungen sind vor Regierungen nie sicher"

08:09 Minuten
Marina Weisband, Politikerin, Bloggerin und Autorin, sitzt am 26.01.2014 in Berlin im Gasometer in der ARD-Talkreihe "Günther Jauch".
Die privaten Daten schützen: Marina Weisband fordert, die digitale Infrastruktur in die Hand der Zivilgesellschaft zu geben. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Marina Weisband im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.05.2019
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Wird die Demokratie die digitale Revolution überleben? Nur unter bestimmten Bedingungen, sagt die frühere Piraten-Politikerin Marina Weisband. Sie sieht vor allem in der "Datensammelwut privater Konzerne" eine große Gefahr.
Sobald es große Datensammlungen gibt, können Geheimdienste darauf zugreifen, warnt die Netzaktivistin und Ex-Geschäftsführerin der Piraten-Partei, Marina Weisband. Das geschehe entweder legal in einem autoritären Land oder illegal durch Hacking. "Die Datensammelwut privater Konzerne kann man nicht ganz trennen von den Geheimdiensten", sagte Weisband im Deutschlandfunk Kultur. Die Snowden-Enthüllungen hätten gezeigt: "Sobald ich große Datensammlungen anlege, sind sie auch vor Regierungen nie sicher."
Derzeit sieht die Projektleiterin von politik-digital.de eine Bedrohung vor allem aus dem Ausland: "Im Moment sehen wir, dass einige Länder es tatsächlich zur Kunst erhoben haben, in anderen Ländern Wahlen und Meinungen zu manipulieren. Ich denke, auch Deutschland ist davor nicht gefeit, es macht es nur im Moment nicht."

Facebook: die radikalsten Beiträge für die meisten Klicks

Man dürfe auch nicht aus aus dem Blick verlieren, dass die Beeinflussung der Meinung "natürlich auch rein ökonomisch" sei: "Facebook und auch andere Plattformen haben ein ökonomisches Interesse daran, die radikalsten Beiträge zu verbreiten. Eben das, was am meisten Klicks und damit Werbeeinnahmen bekommt."
Niemand brauche zu erwarten, dass Facebook einen demokratischen Diskurs forcieren wolle: "Deswegen brauchen wir Plattformen, die öffentlich sind und den Benutzern gehören", meint Weisband, die heute bei der Konferenz Future Affairs auftritt.
Zum Schutz der Demokratie sind aus ihrer Sicht eine gestärkte Zivilgesellschaft, eine bessere Vernetzung in den Kommunen und dezentrale Netzwerke notwendig: "Das bedeutet, eigentlich sollte jeder seine Daten bei sich liegen haben, und sie sollten nur abgefragt werden, wenn sie gebraucht werden. Außerdem sollte die Zivilgesellschaft die physische Infrastruktur besitzen und demokratisch verwalten. Da spreche ich wirklich von Kabeln."
(bth)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Vielleicht haben Sie es gerade auch in den Nachrichten gehört, der chinesische Konzern Huawei klagt jetzt in den USA dagegen, dass er ausgeschlossen werden soll aus dem Aufbau neuer Netze und digitaler Technologien in Amerika. Er will feststellen lassen, dass das nicht mit der US-Verfassung übereinstimmt. Und da merken wir schon, wie kompliziert das alles jetzt geworden ist: Ein Konzern aus einem nicht-demokratischen Land klagt in einem demokratischen Land gegen eine dort getroffene Entscheidung.
Tatsächlich werden wir uns, glaube ich, mit solchen Phänomenen in Zukunft stärker beschäftigen müssen, denn digitale Revolution und Demokratiepolitik, das hängt immer näher zusammen. Deshalb ist genau das auch ein großes Thema auf der heute in Berlin stattfindenden Konferenz "Future Affairs", da geht es unter anderem auf einem Panel um die Frage, ob die Demokratie die digitale Revolution überleben wird. Und bei diesem Panel mit dabei ist auch Marina Weisband, früher mal bekannt geworden als Piratenparteipolitikerin und inzwischen Projektleiterin beim Verein Politik Digital. Frau Weisband, schönen guten Morgen!
Marina Weisband: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ich habe Sie, ehrlich gesagt, über die Jahre immer als sehr vernünftige und gelassene Person, glaubte ich zumindest, kennengelernt, und wenn jetzt wirklich so eine Frage gestellt wird wie im Originaltitel dieses Panels, "Will democracy survive the digital revolution?", also tatsächlich "Wird die Demokratie die digitale Revolution überleben?" – halten Sie eine solche Frage wirklich für angemessen?
Weisband: Ich halte die Frage für angemessen. Ich würde sie tendenziell mit "ja" beantworten, aber ich hätte deutliche Bedingungen daran, die ich im Moment nicht alle erfüllt sehe.

Autoritäre Staaten und private Unternehmen auf einer Seite

Kassel: Was denn, bevor wir über diese Bedingungen sprechen, was denn in Ihren Augen bedroht die Demokratie aus der digitalen Welt im Moment besonders?
Weisband: Wir haben es hier zu tun mit einem globalen Wandel davon, wie Dinge funktionieren. Wir sind jetzt aus dem industriellen Zeitalter im Informationszeitalter, und da über Digitalisierung zu sprechen und dabei Geräte zu meinen, ist so ein bisschen wie über die Eisenbahnisierung Europas zu sprechen während der industriellen Revolution.
Wir haben uns unterhalten, wie schnell darf so ein Zug fahren – das waren nicht die zentralen Fragen, sondern die zentralen Fragen waren: Wie wird das die Gesellschaft verändern, wie wird es Machtmechanismen verändern? Das sind die Fragen, die sich auch heute stellen. Und ich sehe ein Tauziehen, das im Moment stattfindet, und auf der einen Seite finden sich ironischerweise autoritäre Staaten und private Unternehmen gemeinsam, und auf der anderen Seite die Zivilgesellschaft.
Kassel: Ist es denn eher so etwas wie, weil Sie auch von privaten Firmen sprachen, wie die Beeinflussung von Meinungen und Stimmungen durch soziale Netzwerke, durch die Datensammelwut großer Konzerne, oder ist es eher wirklich eine konkretere Überwachung, bei der zum Beispiel auch Geheimdienste moderne Technologien anwenden?
Weisband: Das ist halt das Problem. Die Datensammelwut privater Konzerne kann man nicht ganz trennen von den Geheimdiensten, die natürlich, sobald es große Datensammlungen gibt, darauf zugreifen, entweder legal, indem in einem autoritären Land gesagt wird, du, Konzern, lege deine Daten uns offen, oder illegal durch Hacking. Die Snowden-Enthüllungen haben uns das damals sehr vor Augen geführt. Das heißt, sobald ich große Datensammlungen anlege, sind sie auch vor Regierungen nie sicher.

Jeder sollte seine Daten bei sich liegen haben

Kassel: Aber nun ist es ja zu spät, die nicht anzulegen, sie existieren ja schon, und wir unterhalten uns jetzt ungefähr zweieinhalb Minuten, in dieser Zeit sind die schon wieder gigantisch angewachsen weltweit. Sie haben ja von den Bedingungen gesprochen, die Sie eingelöst haben möchten, damit die Demokratie gerettet werden kann. Welche Bedingungen sind es denn?
Weisband: Wir brauchen eine gestärkte globale Zivilgesellschaft, das heißt, wir brauchen viel, viel bessere Vernetzung in den Kommunen, lokal, aber auch global zwischen zivilen Akteuren, das heißt, nicht über Firmen oder Regierungen. Wir brauchen dezentrale Netzwerke, das bedeutet, eigentlich sollte jeder seine Daten bei sich liegen haben und sie sollten nur abgefragt werden, wenn sie gebraucht werden. Und außerdem sollte die Zivilgesellschaft die physische Infrastruktur besitzen und demokratisch verwalten. Und da spreche ich wirklich von Kabeln.
Kassel: Das heißt, wie muss ich mir das vorstellen: Der Weg von mir zu Facebook, das Kabel sollte mir gehören?
Weisband: Ja, es sollte ein genossenschaftlich besessenes Internet geben. Es muss nicht die einzige Lösung sein, ich sage nicht, enteignen Sie die Telekom oder andere große Träger, aber ich denke, wir sollten viele parallele Strukturen aufbauen und wir sollten diese Strukturen tatsächlich genossenschaftlich besitzen und verwalten, das heißt, sie sollten den Usern gehören, denn darüber läuft im Moment unser Leben, und derjenige, dem das gehört, kann das nicht nur jederzeit abschalten, der kann das auch regulieren und sagen, was, wo gesendet wird.
Dasselbe gilt natürlich für Facebook. Facebook ist ein gewinnorientiertes Unternehmen. Wir brauchen nicht zu erwarten, dass Facebook einen demokratischen Diskurs forcieren will. Deswegen brauchen wir Plattformen, die öffentlich sind und die den Benutzern gehören.

Schwierig, Geheimdienste demokratisch zu kontrollieren

Kassel: Wenn wir auch mal über Techniken reden, die in gewissen Grenzen, zumindest aus Sicht mancher, durchaus angewandt werden sollten von Sicherheitsbehörden, vielleicht sogar von Geheimdiensten, Techniken wie automatische Gesichtserkennung, Scoringsysteme vielleicht gar – gibt es eigentlich die Möglichkeiten, so etwas einzusetzen und es verlässlich demokratisch zu kontrollieren?
Weisband: Nicht wirklich. Sobald diese Datensammlungen vorhanden sind, und sie müssen im geheimdienstlichen Kontext natürlich geschlossen vorhanden sein und es ist geheim, … Insofern: Das hat sich in letzter Zeit immer als schwierig erwiesen, Geheimdienste demokratisch zu kontrollieren, das haben wir teilweise auch am NSU-Prozess ein bisschen gesehen. Ich glaube, wir haben auch genug Studien, die sagen, eigentlich ist das, was am besten Verbrechen verhindert, eine gute Ausbildung der Polizei und gute Infrastruktur, die dort vorhanden ist.
Ich bin sehr, sehr skeptisch, was Gesichtserkennung, was automatische Datensammlung auch aufseiten eines deutschen Geheimdienstes betrifft, denn erstens kann mir niemand sagen, dass hier nicht in zehn Jahren die AfD herrscht, und zweitens, dass andere Staaten diese Daten natürlich auch abgreifen.

Dem deutschen Staat nicht bedingungslos vertrauen

Kassel: Aber das Problem scheint mir doch überhaupt zu sein, … Interessanterweise: Ich glaube, das ist vielleicht kein reiner Zufall, diese Veranstaltung "Future Affairs" heute, diese Konferenz findet in den Räumlichkeiten des Außenministeriums statt und das Außenministerium, also das Auswärtige Amt ist auch einer der Hauptveranstalter. Kommt die Bedrohung unserer Demokratie Ihrer Meinung nach im Moment, was das Digitale angeht, vor allem aus dem Ausland?
Weisband: Im Moment vor allem ja, im Moment sehen wir, dass einige Länder es tatsächlich zur Kunst erhoben haben, in anderen Ländern Wahlen und Meinungen zu manipulieren. Ich denke, auch Deutschland ist davor nicht gefeit, es macht es nur im Moment nicht. Und Deutschland hat die Möglichkeit, als Staat eher die Zivilgesellschaft zu unterstützen, und ich wünsche mir, dass es das macht. Aber es bedeutet nicht, dass wir jetzt dem deutschen Staat auch bedingungslos vertrauen können.
Darauf wurde ja auch gar nicht gebaut. Das ist nicht, was unser Grundgesetz ist, sondern das hat vor allem Schutzfunktion gegen den Staat. Und ich denke, dass wir weiterhin nicht aus dem Blick verlieren dürfen, dass die Beeinflussung der Meinung natürlich auch rein ökonomisch ist. Also Facebook hat ja oder andere Plattformen auch haben ein ökonomisches Interesse daran, die radikalsten Beiträge zu verbreiten, eben das, was am meisten Klicks und damit Werbeeinnahmen bekommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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