Margarete von Navarra

Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit

Ein historischer Druck aus dem 19. Jahrhundert zeigt das Porträt von Margarete von Angoulême (1492 - 1549), Königin von Navarra
Ein historischer Druck zeigt das Porträt von Margarete von Angoulême (1492 - 1549), Königin von Navarra - *Bild zum Beitrag geändert © imago / imagebroker
Von Maike Albath · 11.04.2017
Sie war eine der einflussreichsten und klügsten Frauen des 16. Jahrhunderts: Vor allem aber war Margarete von Navarra Schriftstellerin. Ihr wichtigstes Werk "Héptameron" gilt als Vollendung der französischen Renaissance-Novelle. Vor 525 Jahren, am 11. April 1492, wurde sie geboren.
Ein Unwetter wütet in den Pyrenäen, die Täler sind überschwemmt, die Reisewege unpassierbar. Fünf Damen und fünf Herren finden Zuflucht in der Abtei Sarrence. Doch schon bald breitet sich Eintönigkeit aus.
"Parlamente sagte zu Oisille, der alten Dame: Ich bin bass erstaunt, dass Ihr, edle Frau, keinerlei Kurzweil bedenkt, um all die Langeweile für die Dauer unseres Aufenthaltes zu bannen. Sicherlich laufen wir Gefahr, krank zu werden, wenn wir keine vergnügsame und tugendliche Beschäftigung finden."
Der drohenden Trübsal muss Einhalt geboten werden; und die Gesellschaft einigt sich auf einen Tagesablauf. Der Vormittag gehört der Bibellektüre, nachmittags erzählt man sich Geschichten.
"Als alle auf dem grünen Pflanzenbette hingelagert waren, hub Simontault also an: Meine Damen, für langes Liebeswerben bin ich schlecht gelohnt worden. So will ich aus Rache für jene, die so grausam war, von üblen Streichen plaudern, die armen Männern von den Frauen gespielt wurden. Ich werde wahrhaftig sein und die lautere Wahrheit berichten."

Funktion eines Erziehungsbuches

Von der Liebe in verschiedenen Ausprägungen handelt die Novellensammlung, die Margarete von Navarra zwischen 1542 und 1549 niederschrieb. Ihr Vorbild war Giovanni Boccaccios Dekameron, von dem sie die Idee einer Rahmenhandlung übernahm. Margarete deutete das Genre für ihre Zwecke um; ihre leidenschaftlichen und oft auch deftigen Geschichten sollten ein moralisches Exempel bieten. Das Héptameron, wie der Novellenkranz in der posthumen Ausgabe von 1559 genannt wurde, übernahm schon bald die Funktion eines Erziehungsbuches. Die Wahrhaftigkeit der Erzählungen entsprach Margaretes Lebenshaltung.
Margarete von Navarra wurde am 11. April 1492 als erstes Kind von Louise von Savoyen und dem Grafen Karl von Angoulême geboren. Ihre Mutter sorgte dafür, dass sie gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Franz eine hervorragende humanistische Bildung genoss. Aus dynastischen Erwägungen verheiratete man die 17-Jährige 1509 mit dem eher tumben Herzog von Alençon.
Nach dem Tod des kinderlosen Ludwig XII. bestieg ihr Bruder 1515 den französischen Thron, Margarete kam in Begleitung ihrer Mutter an den Hof, gewann großen Einfluss und galt bald als die heimliche Königin des Landes. Eine glanzvolle Periode mit militärischen Siegen und Förderung der Künste begann. Margarete, die sieben Sprachen beherrschte und selbst Gedichte, Dramen und mystische Schriften verfasste, umgab sich mit Gelehrten und Schriftstellern und wurde zum Inbegriff der staatsklugen Dichterin.
"Ich fühle tief im Herzen schon seit Jahren
Zu Euch der Liebe mächtiges Begehren,
(So schicklich doch und nur mit allen Ehren)
Wie nie ein Herz es durfte so erfahren."
Große Anziehungskraft ging für die vom Neoplatonismus geprägte Margarete von den reformerischen Ideen der Protestanten aus. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete sie 1527 den König von Navarra. An ihrem Hof in den Pyrenäen nahm sie Verfolgte wie Clément Marot und Calvin auf. Und dort entstand ein Teil ihrer formvollendeten Novellen.

72 Novellen sind Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit

"Zu Grenoble lebte ein Präsident, der, wie ich ohne Namensnennung verraten kann, kein Franzose war. Er nannte ein schönes Weib sein eigen, und beide lebten miteinander in friedlichster Eintracht. Als aber die Frau ihren Mann altern sah, entflammte sie in Liebe zu einem Sekretarius von einnehmender Schönheit."
Der gehörnte Ehemann rächt sich und vergiftet seine Frau. Die kleine Gesellschaft in der Abtei wägt munter das Für und Wider ab.
"Was ich sagte, bezog sich auf Fälle, wo eine Leidenschaft so stark ist, dass sie unversehens all unsere Sinne ergreift und von Vernunft nicht mehr die Rede ist. – Ganz recht, antwortete Saffredant, daran halte ich mich auch und ziehe den Schluss, dass ein sehr verliebter Mann leichter Verzeihung finden kann, als einer, der bei ruhigem Verstande sich etwas zuschulden kommen lässt."
Nach dem Tod ihres Bruders 1547 vereinsamte Margarete von Navarra. Sie starb zwei Jahre nach ihm. Ihre 72 Novellen sind bis heute ein Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit.
*Anmerkung der Redaktion: Wir haben das Bild zum Beitrag geändert, weil auf der historischen Darstellung in der ersten Version nicht Margarete von Angoulême (1492 - 1549), Königin von Navarra, zu sehen war, sondern Margarete von Valois (1553 - 1615), Königin von Frankreich und Navarra.