Marcie Rendon: "Stadt Land Raub"

Ein Krimi zur Lage der Native Americans

Coverabbildung von Marcie Rendon: "Stadt, Land, Raub"
Das eigentliche Verbrechen, das in „Stadt Land Raub“ eindrücklich geschildert wird: die Art und Weise wie mit Native Americans umgegangen wird. © Deutschlandradio / Ariadne
Von Ulrich Noller · 16.10.2020
In Marcie Rendons Krimi "Stadt Land Raub" macht sich eine hartgesottene Native American auf die Suche nach einer spurlos verschwundenen weißen Kommilitonin. Dabei wird sie mit ihren eigenen Traumata konfrontiert.
Renee Blackbear, 19, genannt Cash, die Heldin von Marcie Rendons Romanen, ist eine ganz besondere Ermittlerin: Sie ist eine Native American, eine indigene Amerikanerin also. Nach üblen Jahren in fiesen Pflegefamilien hat sie es geschafft: Sie steht auf eigenen Füßen, nachts fährt sie Rüben vom Feld in die Zuckerfabrik – und sie hat eine Zulassung für die Uni bekommen.
Genau da beginnt auch der Fall, den sie in "Stadt Land Raub" ermittelt: Eine Kommilitonin ist verschwunden. Eine Weiße – und ein braves Mädchen. Es gibt nicht einmal den Ansatz einer Erklärung – bis jemand das Wort "Weiße Sklaverei" erwähnt. Das gibt es auch? Cash kann es kaum fassen. Sie macht sich auf die Spur. Sie stellt fest, dass auch andere Mädchen verschwunden sind. Bald wird die "weiße Sklaverei" auch für sie, die Nicht-Weiße, brandgefährlich.
Cash ist eine ganz besondere Ermittler-Figur auch in der Art, wie Marcie Rendon sie gestaltet und ausgestattet hat: Sie ist eigenständig, sperrig, unbestechlich, unbeirrbar, sozial schwierig, draußen zu Hause, lässt es auch mal krachen – kurz gesagt: Sie ist sehr tough und ausgesprochen hartgesotten. Eine veritable Kollegin von Sam Spade und Philip Marlowe. Das verwundert erst einmal, bei einer solch jungen Frau aus Moorhead (Minnesota), in den Siebzigerjahren, weitab von jeglichen urbanen Pflastern.

Willkürliche Zwangsadoption – ein Generationentrauma

Diese Konzeption funktioniert deshalb höchst plausibel, weil Cashs Charakter und ihre Verhaltensweisen von den Prägungen und traumatischen Erfahrungen herrühren, die sie wie viele andere indigene US-Amerikaner im Zuge willkürlicher Zwangsadoptionen erfahren hat. Ein amerikanisches Generationentrauma, das bis heute wirkt, sagt ihre Schöpferin. Selbst gestrengen Krimipuristen kann jedenfalls das Herz aufgehen bei dieser starken Heldin.
Der Krimi- und Ermittlungsplot von "Stadt Land Raub" ist schon in Ordnung, wenngleich nicht wirklich sonderlich ausgefuchst. Das macht nichts, weil diese Ebene zwar unverzichtbar, aber nicht alles entscheidend ist. Das eigentliche Verbrechen, so hat es Marcie Rendon einmal formuliert, ist die Art und Weise wie – bis heute teilweise – mit Native Americans, mit ihren Rechten, mit ihrer Würde, mit ihrem Land verfahren wird. Das spiegelt und davon erzählt dieser Roman sehr klug konzipiert und komponiert auf vielen verschiedenen Ebenen und in vielfältigen Facetten. Marcie Rendon ist Aktivistin und Schriftstellerin, und sie ist in beidem sehr gut. "Stadt Land Raub" kombiniert Information und Unterhaltung mit Herz und auf hohem Niveau.

Marcie Rendon: "Stadt Land Raub"
Aus dem Amerikanischen von Jonas Jakob
Ariadne, Hamburg 2020
231 Seiten, 13 Euro

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