Marcel Proust und die Musik

Die berauschende Illusion der Schönheit

Auf einer alten Fotografie sitzt der Schriftsteller Marcel Proust,leger auf einer Lounge und blickt in die Kamera.
Marcel Proust webte die Musik in seine Werke ein. © imago / Cola Images
18.11.2022
Der Anfang der Pandemie-Zeit war für ehrgeizige Leser der Start für eine Marcel-Proust-Phase: endlich den großen Klassiker „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ lesen! Wir nehmen einen Faden aus diesem Oeuvre auf, um in dessen Labyrinth tiefer vorzudringen: die Musik.
Anlässlich des 100. Todestages des französischen Schriftstellers trafen sich unsere Autorin Sabine Fringes und der Schweizer Romanist und Proust-Übersetzer Luzius Keller, der 2009 ein enzyklopädisches Handbuch über Marcel Proust, veröffentlichte.

Der Musikliebhaber

Proust hat in Gesellschaft und in seinen Büchern immer gezeigt, dass er sich in der Welt der Musik sehr gut auskennt. Seine Figuren verlieben sich während sie Musik hören, er schreibt, dass in einem Raum Wagner, Schubert oder César Franck zu hören seien.

Verschränkung von Musik und Sprache

Im Gespräch sagt Keller: "Die Musik fordert Proust heraus, in der Sprache es der Musik gleichzutun. In dem Text, den ich lese, ist von einer älteren Dame die Rede, die von Chopin schwärmt. Von einem früheren, etwas altmodischen Chopin. Also der Chopin, der en vogue war um 1900 oder etwas später. Da liebte man weniger diese Phrasen, wie sie hier beschrieben werden, sondern eher die gewagten Harmonien, wie es Debussy dann auch realisiert."

Schreiben über das Musizieren

Proust formuliert das in einem seiner Texte so: "Sie hatte in ihrer Jugend gelernt, den langen, sich unendlich empor windenden Hals Chopinscher Phrasen zu streicheln, die sich so frei, so biegsam, so fühlbar erheben, um zuerst ihren Platz außerhalb und weit entfernt von ihrer anfänglichen Richtung zu suchen und zu erproben, weit entfernt von dem Punkt, an dem man gehofft hatte, von ihrer Liebkosung geführt zu werden, und die nur deshalb in dieser verspielten Abweichung verweilen, um desto entschiedener zurückzukehren und uns durch eine kalkulierte Umkehr und mit größerer Präzision, als glitten sie über ein Kristallglas, dessen Schwingung sich ins Unerträgliche steigert, mitten ins Herz zu treffen."

Themen wechseln wie Harmonien

Keller weiter: "Das interessiert Proust: Wie läuft diese Phrase? Wohin geht sie, wie kommt sie zurück, wohin zielt sie usw. Und das ist in seinem Werk auch so, plötzlich verlässt er ein Thema, schreibt über etwas ganz anderes, und dann kommt es wieder.
Es gibt so eine Art Hin-und-Her-Bewegung, auch in der Zeit, - besonders am Anfang der "Recherche" springt er immer von einer Zeit in die andere und das fasziniert ihn. Auch an der Musik. In der Musik kann man auch von einer Harmonie in die andere wechseln und von einem Rhythmus in den anderen. Und das tut Chopin."
Musikliste:
Gabriel Fauré:
Berceuse op. 16
Tanguy de Williencourt, Violine
Theotime Langlois, Klavier

Frédéric Chopin.
Ballade Nr. 2 F-Dur op. 38
Julian von Karolyi, Klavier

Richard Wagner:
Lohengrin
Vorspiel zum 1. Akt
Cleveland Orchestra
George Szell, Dirigent

César Franck:
Klavier-Quintett in f-Moll
Maria Bergmann, Klavier
Beetz-Quartett

Gabriel Fauré:
Sonate Nr. 1 A-Dur op. 13 für Violine und Klavier
Tedi Papavrami, Violine

Sandra Moubarak, Klavier

Franz Liszt:
Isoldens Liebestod (Bearbeitung von Richard Wagner)
Endre Hegedüs, Klavier

Richard Wagner:
Karfreitagszauber aus Üarsifal
The Metropolitan Opera Orchestra
James Levine, Dirigent

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