Marc Elsberg über Facebook-Skandal

"Auf politischer Seite eine gnadenlose Ignoranz"

Symbolbild zum Datenskandal des Datenanalye Unternehmen s Cambridge Analytica mit Facebook Nutzerprofilen und dem resultierenden Kursverfall der Aktie: Schriftzug Facebook und Dollar Geldschein auf erodierendem Grund.
Bröckelt das Facebook-Fundament? © imago stock&people
Moderation: Dieter Kassel · 29.03.2018
Die Datenmissbrauchsaffäre um Facebook und Cambridge Analytica erinnert gespenstisch an das Szenario aus Marc Elsbergs 2014 erschienenem dystopischen Kriminalroman "Zero". Mit weiteren Skandalen in der Causa Facebook sei zu rechnen, erklärt der Autor im Gespräch.
Schuld an der Entwicklung haben Elsberg zufolge neben Firmen wie Facebook auch die User, die sich bis heute nicht bewusst seien, welche Bedeutung personenbezogene Daten hätten. Vor allem aber sieht er Versäumnisse bei der Politik:
"Es war sicher auf politischer Seite eine gnadenlose Ignoranz beziehungsweise vielleicht auch Überheblichkeit, dass man meinte, diese komischen Internetfuzzis, was wollen denn die, wir machen hier ernsthafte Politik, da können die uns nicht reinpfuschen. Das können die natürlich sehr wohl, und zwar in einem Maße auch, das offensichtlich nicht bewusst war."

Die Politik ist in der Pflicht

Einer Verstaatlichung von Facebook steht der Autor skeptisch gegenüber. Doch eine Regulierung sei notwendig: "Es ist definitiv eine Aufgabe der Politik und der Gesetzgebung, hier auch etwas zu tun, und dann auch der Exekutive, das durchzuführen, weil der Einzelne nur sehr schwer was tun kann momentan."
Doch gibt es national oder auf EU-Ebene überhaupt die Macht, derartige Grenzen zu setzen? Elsberg ist davon überzeugt:
"Wir haben auch über Jahrhunderte gesagt, Sklaverei ist ein taugliches Geschäftsmodell, und dann hat man irgendwann gesagt, nein, das ist eigentlich gegen die Menschenwürde, und hat's abgeschafft. Und genauso ist es hier."
(bth)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Man kann, nachdem die Firma Cambridge Analytica die Daten von rund 50 Millionen Facebook-Nutzern illegal ausgewertet und zu Wahlkampfzwecken missbraucht hat, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man kann das wohl auch deshalb nicht, weil wohl noch einige, sogar einige Experten, noch eine Weile brauchen werden, um zu begreifen, was genau passiert ist und was es bedeutet.
Marc Elsberg fällt das möglicherweise gar nicht so schwer, denn der Schriftsteller, berühmt geworden unter anderem durch seinen Roman "Blackout", hat sich schon vor rund vier Jahren ein sehr ähnliches Szenario wie das, was wir jetzt in der Realität kennenlernen mussten, ausgemalt für sein Buch "Zero" über die fiktive Internetplattform Freemee. Schönen guten Morgen, Herr Elsberg!
Der österreichische Schriftsteller Marc Elsberg. Er veröffentlichte 2014 den dystopischen Roman "Zero".
Der österreichische Schriftsteller Marc Elsberg. Er veröffentlichte 2014 den dystopischen Roman "Zero".© imago stock&people
Marc Elsberg: Guten Morgen!
Kassel: Als Sie die ersten Meldungen und dann auch etwas genaueren Meldungen über diesen Fall Cambridge Analytica gelesen haben, hatten Sie das Gefühl, oh, das klingt ja so, als ob die mein Buch kennen?
Elsberg: Ja, ziemlich. Ich hab mich sehr erinnert gefühlt an "Zero" plötzlich.

Die Studien sind seit Jahren da

Kassel: Haben Sie denn sich gedacht, ich glaube eigentlich den vielen Menschen, auch den Experten, die jetzt sagen, das haben wir nicht geahnt, das haben wir uns nicht vorstellen können, dass so etwas wirklich geschieht mit Facebook-Daten, haben Sie denen allen geglaubt?
Elsberg: Also die Experten aus den jeweiligen Industrien, denen glaube ich das natürlich nicht, weil die wissen das auch. Da gibt es aber auch wenige, die sagen, das geht nicht. Es ist eher im politischen Bereich, kommt mir vor, die sagen, das überrascht uns jetzt. Aber das muss niemanden überraschen, weil wir wussten das seit Jahren. Als ich damals für "Zero" recherchiert habe, waren bereits die ganzen Studien da, waren die Papiere da, die wissenschaftlichen, auf deren Basis diese ganzen Arbeiten jetzt passiert sind. Also überraschend kommt das alles nicht. Ich habe in "Zero" eben auch schon beschrieben, dass auf diese Art und Weise – und auf andere Arten und Weisen im Übrigen auch – über soziale Medien, auch über Google und Co. Wahlen manipuliert werden könnten.
Kassel: Ist denn das, was wir bisher über diesen Fall wissen, was öffentlich diskutiert wird, jetzt sozusagen ein Beispiel für das Maximum, was möglich ist, oder sagen Sie, auch in der Realität ist dieser Fall vielleicht nur die Spitze des Eisbergs?
Elsberg: Ich würde mal von Zweiterem ausgehen, ja. Ich glaube, das wird öfters passieren, Derartiges. Wir erfahren es halt momentan nicht, weil wir ja erstens häufig nicht in diese Maschinerien hineinschauen können, das sind lauter Blackboxes, die zwar alles über uns wissen, wir dürfen aber nichts über sie wissen, weil das fällt dann unter das Geschäftsgeheimnis, und deswegen werden da noch andere derartige Dinge hochpoppen, da bin ich überzeugt davon.
Kassel: Nun versuchen natürlich Politiker, ich würd's fast folgendermaßen formulieren, so zu tun, als könnten sie da etwas unternehmen. Sehr unterschiedliche Vorschläge, mehr oder weniger realistisch, sind da im Moment in der Diskussion, in Deutschland geht das bis hin zu dem Vorschlag, man solle Facebook verstaatlichen. Ist das der richtige Weg?

"Eine Regulierung gehört her"

Elsberg: Gut, der Vorschlag ist ja nicht nur in Deutschland so, der wird inzwischen auch vereinzelt in den USA laut. Ich weiß nicht, ob Verstaatlichen der richtige Weg ist. Wir haben es hier natürlich mit Infrastrukturen zu tun, die inzwischen so wichtig geworden sind zum Teil, dass man überlegen muss, wie man sie regulieren kann. Auf der anderen Seite muss man überlegen, dass man andere Infrastrukturen wie die Telefonnetzgesellschaften vor einigen Jahren oder Jahrzehnten privatisiert hat. Also Verstaatlichung weiß ich nicht, aber eine Regulierung gehört her.
Wobei man auch dazusagen muss, dass ja die europäische Datenschutzverordnung, die ab Mai in Kraft tritt, hier ohnehin einen ordentlichen Schritt nach vorne bedeutet. Da hat man dann auch zum Teil bessere Mittel zur Hand, wobei sie wahrscheinlich noch nicht ausreichend sind. Aber wie gesagt, das geht in die richtige Richtung.
Kassel: Aber wie konnte es denn bisher überhaupt so weit kommen? Ist das Schuld der Politik, die zu wenig reguliert hat, ist das Schuld von Firmen wie Facebook selber, oder ist es auch Schuld der Nutzer, die trotz aller Warnungen immer gesagt haben, na ja, das ist eigentlich egal, was die da über mich wissen?
Elsberg: Ja, von allem ein bisschen was. Es war sicher auf politischer Seite eine gnadenlose Ignoranz beziehungsweise vielleicht auch Überheblichkeit, dass man meinte, diese komischen Internetfuzzis, was wollen denn die, wir machen hier ernsthafte Politik, da können die uns nicht reinpfuschen. Das können die natürlich sehr wohl, und zwar in einem Maße auch, das offensichtlich nicht bewusst war. Dann sind es natürlich die Firmen, die hier zum Teil schlicht und einfach auch in den USA im Vergleich zu Europa andere Ansichten zu Privatsphäre haben und dem, was man benutzen darf, was ja allgemein einfach Daten genannt wird.

Sozialen Medien kann man sich kaum entziehen

Was wir personenbezogene Daten nennen, ist ja heute aber sehr viel mehr – das würde hier jetzt den Rahmen sprengen –, aber in Wirklichkeit geht es ja an den Kern unserer Identität und damit unserer Privatsphäre. Insofern sind natürlich auch die Nutzer mit in die Verantwortung zu nehmen, ganz klar, die das lange Zeit einfach so hingenommen haben und in Wahrheit bis heute sich nicht wirklich bewusst sind, was das für eine Bedeutung hat. Und man muss natürlich auch dazu sagen, dass man natürlich als normaler User heutzutage, wenn man am Alltagsleben und am Arbeitsleben teilnehmen will, sich dem momentan auch nicht entziehen kann. Also es ist definitiv eine Aufgabe der Politik und der Gesetzgebung, hier auch etwas zu tun, und dann auch der Exekutive, das durchzuführen, weil der Einzelne nur sehr schwer was tun kann momentan.
Kassel: Aber Sie glauben wirklich daran, dass die Politik, auch die nationale Politik oder die Politik auf einer Ebene wie der Europäischen Union wirklich die Macht und auch die Möglichkeit hat, solchen Sachen Grenzen zu setzen?
Elsberg: Natürlich, hat sie ja auch auf anderen Gebieten, das ist ja kein Thema. Ein gern genommenes Argument in diesen Bereichen ist ja immer, die Politik kommt nicht nach, und dann sind da schon die Geschäfte und die Geschäftsmodelle da und so weiter und so fort, aber das ist natürlich ein absurdes Argument. Wir haben auch über Jahrhunderte gesagt, Sklaverei ist ein taugliches Geschäftsmodell, und dann hat man irgendwann gesagt, nein, das ist eigentlich gegen die Menschenwürde, und hat's abgeschafft. Und genauso ist es hier. Man könnte sagen, das ist schlecht für unsere Gesellschaft, so wie es momentan läuft, deswegen müssen wir etwas daran ändern, und das können wir auch. Es muss der Wille dafür da sein.

Wann ist die Grenze erreicht?

Kassel: Aber das ist doch vielleicht immer noch die entscheidende Frage. Kommt es Ihnen nicht auch so vor, wenn die Bundesjustizministerin Deutschlands zum Beispiel spricht, wenn Politiker in Großbritannien, in den USA sprechen, dass das so ein bisschen Dienst nach Vorschrift nach so einem Ereignis ist? Haben Sie wirklich das Gefühl, jetzt ist die Grenze erreicht, wo die glaubhaft sagen, das lassen wir uns von Konzernen wie Facebook, von Unternehmen, von Einzelinteressen einfach nicht mehr bieten?
Elsberg: Ob der jetzt schon erreicht ist, das werden wir eh sehen. Das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen, beziehungsweise da die Mühlen der Politik ja sehr langsam mahlen, wahrscheinlich erst die nächsten Jahre.
Kassel: Marc Elsberg, Autor des Romans "Zero", der schon vor vier Jahren ziemlich deutlich beschrieb, was wir nun bei Facebook und Co. als Realität erleben. Herr Elsberg, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Elsberg: Ich danke Ihnen! Schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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