Mannichl und Kotzebue

Von Konrad Adam · 02.02.2009
Der Täter kannte sich aus. Er wusste, wo sein Opfer wohnte, und stieß ihm, als er vor ihm stand, mit den Worten "Hier, du Verräter des Vaterlandes!" den Dolch in die Brust. Hier endet bis auf weiteres die Parallele zwischen dem Fall des Passauer Polizeipräsidenten Alois Mannichl und dem Fall Kotzebue, eines bekannten und geschätzten Lustspieldichters, der allerdings, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, im Verdacht stand, ein Spion Russlands zu sein und deshalb im Jahre 1819 von dem national gesinnten Studenten Karl Ludwig Sand in Mannheim niedergestochen wurde.
Die Machthaber zögerten nicht lange, sich das Ereignis zu eigen, also zu nutze zu machen. Sie nahmen die Bluttat zum Anlass für die Karlsbader Beschlüsse, einen Katalog vorbeugender Zwangsmassnahmen, auf den sich die Mitglieder der Heiligen Allianz, die Herrscher Russlands, Österreichs und Preußens, im böhmischen Kurort verständigt hatten.

Mit seinen willkürlichen, ebenso kleinlichen wie schikanösen Einzelheiten gilt dieser Katalog bis heute als Musterstück staatlich verordneter Unterdrückung. Er eröffnete eine gut organisierte Verfolgungsjagd auf alle, die nicht so dachten wie die Obrigkeit, und brachte tausende um ihr Vermögen, ihr Ansehen und ihre Freiheit; manche sogar um ihr Leben.

Die Parallelen zwischen den Fällen Kotzebue und Mannichl gehen also weiter. Sie ergeben sich dann, wenn man die Anmaßung, die damals von oben kam, durch die Anmaßung von unten ersetzt; wenn man die Zwangsjacke des politisch korrekten Verhaltens als zeitgerechte Nachfolgerin der Zensur versteht; und wenn man dem Gesinnungsdruck auch dann nichts abgewinnen kann, wenn er nicht länger durch Verbote, sondern, wie heute üblich, durch Lichterketten ausgeübt wird.

Der größte Unterschied zwischen damals und heute dürfte darin bestehen, dass die Presse seinerzeit nur im Wege der Einschüchterung davon abgebracht werden konnte, der Wahrheit nachzuspüren, während sie sich heute mit Abgeschriebenem zufrieden gibt und sich couragiert vorkommt, wenn sie nachspricht, was ihr die Regierung vorgesprochen hat.

Immerhin war im Mordfall Kotzebue eindeutig und offensichtlich, was im Fall Mannichl von Anfang an unklar, widersprüchlich und verdächtig war; und bis heute immer noch ist. Fragwürdig sind nicht nur die Rolle des Täters, den man nicht kennt, und die Angaben des Opfers, aus denen man nicht klug wird, sondern auch und vor allem das Motiv.

Die Ungereimtheiten springen ins Auge und bedürfen auch dann einer Antwort, wenn der Täter, was der Himmel verhüten möge, niemals gefasst werden sollte. Der auffällige Widerspruch zwischen der detaillierten Täterbeschreibung, dem gewaltigen Ermittlungsaufwand und der bis heute ergebnislosen Tätigkeit einer riesigen, angeblich 50-köpfigen Sonderkommission steht dabei an allererster Stelle.

In einer Lage wie dieser, wo alles unklar ist und fließt, ist man auf Mutmaßungen angewiesen. Was passiert nun, wenn man sich dabei an die alte Kriminalistenregel hält und dem Täter durch die Frage: Cui bono? Wem nutzt es? auf die Spur zu kommen sucht. Dann blickt man in einen Abgrund, einen ganz anderen allerdings, als ihn die Veranstalter von Lichterketten, Gegendemos und Pressekonferenzen aufgetan zu haben glauben. Dann landet man da, wo man in Deutschland immer landet, wenn man nach Interessenten fragt, bei den politischen Parteien.

Die linke Volkspartei lechzt offenbar danach, im Kampf gegen rechts Standfestigkeit und Meinungsführerschaft zu beweisen, die rechte erinnert sich an ihren Vormann Franz Josef Strauss und dessen Dogma, wonach es rechts von der CSU keine Partei geben darf. So etwas schafft Gemeinsamkeit, und die verbindet.

Wovon man nicht reden kann, davon sollte man schweigen, heißt eine alte philosophische Maxime. Von der wollen die politischen Parteien aber nichts wissen. Sie waren die ersten, die sich mit Mahnungen, Forderungen und Anweisungen hervortaten; und das umso lauter, je weniger sie in der Hand hatten.

Am weitesten ging dabei der Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Bernd Weiß. Als Mitglied der Exekutive ließ er der Spitze der rechtsprechenden Gewalt, dem Bundesverfassungsgericht, ausrichten, dass es mit seiner Grundsatztreue nicht übertreiben möge und beim Verbot politisch unerwünschter Parteien großzügig verfahren solle, großzügiger als bisher. Er hat ja recht, die Freiheit ist immer in Gefahr. Die Frage wäre nur, durch wen.

Konrad Adam, Journalist und Autor, wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", arbeitete dann für die "Welt" und für die "FAZ". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern", "Die Republik dankt ab" sowie "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen". Zuletzt erschien: "Die alten Griechen".