Mann voller Widersprüche

Rezensiert von Stefan Amzoll |
Zum 300. Geburtstag Benjamin Franklins liegt eine kurzweilige, stellenweise spannende Biografie über den Politiker und Erfinder vor. Autor Edmund Morgan jedoch bleibt an der Oberfläche. All zu schonend geht er mit seinem Akteur um. Doch Franklin blieb bis zu seinem Tod ein Mann voller Widersprüche.
Eine einzige CD-Rom enthält das komplette Material, das geeignet ist, Leben und Wirken des amerikanischen Riesen Benjamin Franklin zu enthüllen, und er habe es ausgewertet und eine Biografie daraus gemacht. So Edmund Morgan, Emeritus für Geschichte an der Yale Universität und Autor zahlreicher Werke zur Frühgeschichte der Vereinigten Staaten. Um es gleich zu sagen: eine instruktive, auch kurzweilige, stellenweise spannende Lektüre, allerdings mit substantiellen Schwächen.

Das Buch beschreibt einen durch viele frühere Biografen vorgeprägten Helden, dessen Wirken – trotz mancher unbewältigter Widersprüche und Zwangslagen – positiv besetzt ist. Ein typisch amerikanisches und doch ganz individuelles, ja universelles Modell, von dem heute noch zu lernen ist. Eine Figur, die sich als energisches Subjekt, als Promotor eines Aufbruchs begriff. Franklin, gesellschaftliches Wesen, wie es im Buche steht, wollte die Städte und die Menschen darin verändern und sich damit selbst verändern.

"Er nahm die Menschen so, wie sie waren, und konnte mit Königen und Bettlern, Kindern und Erwachsenen, Politikern und Wissenschaftlern gleichermaßen gut umgehen."

Alle Menschen auf der Erde seien gleich geschaffen, welcher Hautfarbe sie auch sein mögen, so der Leitgedanke in der späteren US-amerikanischen Verfassung. Eigentlich eine Binsenweisheit, aber täglich millionenfach mit Füßen getreten. Im 18./19. Jahrhundert war das eine schwer errungene Erkenntnis. Sie sich zu Eigen zu machen, hatte selbst der am 17. Januar 1706 geborene Franklin, der auch Volkstribun genannt wurde, seine Schwierigkeiten. Bündelt man, wie es das Buch tut, alle Initiativen, die Benjamin Franklin im Lauf seines Lebens unternahm, er starb 1790, nachdem er Petitionen gegen die Sklaverei dem Verfassungskonvent unterbreitet hatte, so hat er dieser demokratischen Verfassung mit zum Durchbruch verholfen. Allein das ist ein Riesenverdienst. So sagt das Edmund S. Morgan nicht, aber seine Biografie führt in diese Richtung.

Nicht zu vergessen: Bis kurz vor seinem Lebensende hielt sich der prominente, öffentlichkeitswirksame Mann Sklaven im Haus und hatte lange Zeit Probleme mit den fremden Migrantenströmen, die nach Boston, Philadelphia und Pennsylvania scheinbar unversiegbar flossen. Morgan gibt durchaus ein Bild der damaligen Entwicklung der Kolonien, über die Einwanderungsbewegungen und das Problem des überlebenden Restes der Ureinwohner, deren Auslöschung dem Autor allerdings keine Silbe wert ist. Die Helden sind für Franklin die Amerikaner und Engländer, nicht die Indianer, die Iren oder die Deutschen, ausgenommen die Sachsen.

"Alle sollten sie draußen bleiben. Amerika sollte weiß bleiben. Es dürfte kein Zufall sein, dass Franklin, der in der Kolonie mit der größten ethnischen Vielfalt lebte, zum ersten Wortführer eines lilienweißen Amerikas wurde."

Franklin, wahrlich kein Rassist, aber skeptisch gegen fremde Ethnien wegen der Gewalt der Zuströme aus Europa, die etwa Philadelphia verunsicherten, er liebte Britannien, er bewunderte den Glanz der englischen Krone und die Industrialisierungsleistungen Frankreichs. Die schwelenden Unabhängigkeitskämpfe waren ihm vorerst ein Dorn im Fleisch. Er votierte amtlich gegen sie, nicht weil er den Krieg hasste, er war nicht Pazifist, wie die Quäker, die den Frieden mit der indianischen Bevölkerung suchten, sondern Franklin war Pragmatiker.

"Es steht außer Zweifel, dass Franklin der Urheber und Initiator des gesamten Projektes der Landesverteidigung war."

Franklin, hineingerissen in den Aufbruch der Kolonien, der immer auch Raub war, begleitet von kriminellen Energien und militanten Absichten, blieb bis zuletzt ein Mann voller Widersprüche. In Morgans Buch wird das nur angedeutet. All zu schonend geht der Autor mit seinem Akteur um, allzu sanft mit den frühkapitalistischen Verhältnissen, die schmutz- und bluttriefend zur Welt kamen. Diesen zum Trotz suchte Franklin vor allem zu handeln und sich einzumischen, weniger um sich ihrer Gebrechen anzuverwandeln. Das macht seine Größe aus.

Morgan reiht zwar biografische Einzelphänomene interessant auf, etwa Franklins Erfindergabe, seine Erforschung der Elektrizität, aber den großen Bogen zu ziehen, das schafft er nicht. Die Unabhängigkeitskriege sind zwar thematischer Faden, jedoch die Gewalt, die ganze Wut dieser Kriege gegen die Willkür der britischen Krone, bei denen es um hohe Beträge ging, bleiben ausgespart.

Darum, so schön sie sich liest, Morgans Franklin-Biografie ist ein elegantes Buch. Es übersieht nicht die Widersprüche der Person seines Helden, aber es behandelt nur sehr verkürzt oder oberflächlich, woher diese rühren und wo die treibenden Kräfte liegen. Die Willensstärke, die Erfindungsgabe, der unternehmerische Geist, das sind Koordinaten, in denen sich sein Franklin-Bild enthüllt. Lobpreisung der individuellen Qualitäten des Menschen in der neuen Welt. Das subjektive Kraftmoment ist der Maßstab, halb verdeckt bleiben die großen Kollisionen der amerikanischen Geschichte, die bis heute fortwirken.

Edmund S. Morgan: Benjamin Franklin.
Übersetzt von Thorsten Schmidt
Beck-Verlag, 2006
24,90 Euro
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