Manipulierbare Gefühle

Von Christoph Leibold |
Sie tragen Lederschuhe, Maßanzüge, dicke Ringe und unter den Achseln Pistolenhalfter mit noch dickeren Knarren. Keine Soldaten, wie bei Shakespeare vorgesehen, sondern Mafiosi stehen im Münchner Residenztheater auf der Bühne. Was gar nicht mal so schlecht passt zu "Viel Lärm um nichts", weil Begriffe wie "Ehre" und "Rache" nicht nur für die Mafia, sondern auch in Shakespeares Komödie eine wesentliche Rolle spielen.
Graf Claudio verstößt die ihm zugedachte Hero am Traualtar, weil er glaubt, sie habe ihn betrogen - das verletzt seine Ehre; und Heros Kusine Beatrice bittet Benedikt seinen Freund Claudio zu töten – um die zu Unrecht verleumdete Hero zu rächen.

Liebe, Hass, Rache – das sind starke Gefühle. Und Gefühle - wie sie entstehen, wie sie manipulierbar und instrumentalisierbar sind - das ist ein Thema, das Regisseur Jan Philipp Gloger schon in früheren Inszenierungen interessiert hat und ihn auch an "Viel Lärm um nichts" gereizt haben dürfte – denn auch hier geht es um die Unzuverlässigkeit und die Irrtümer des Herzens. Claudio lässt sich von einer Intrige täuschen, worauf er emotional vom einen Extrem ins andere fällt: Aus seiner Liebe zu Hero wird Hass; und Benedikt und Beatrice, zwei überzeugte Singles, lassen sich von anderen einreden, ineinander verliebt zu sein – so lange, bis sie es zuletzt selbst glauben.

Jan Philipp Gloger lässt das Stück im fast leeren Raum spielen. Als einziges Kulissenteil rotiert eine monumentale lehmverputzte Wand auf der Drehscheibe. Mal steht diese Mauer parallel zur Rampe, mal im rechten Winkel dazu, rechts und links davon die Akteure, um einander zu belauschen. Zur Bespitzelung kommt bei Gloger die Bestechung: Informationen werden gekauft. Auch der Helfershelfer von Bösewicht Don John (der die Intrige anzettelt, die Claudio und Hero entzweit) lässt sich für Geld anheuern, um den heimlichen Liebhaber von Hero zu mimen. Das steht so nicht bei Shakespeare, verdeutlicht aber, um was es auch bei ihm geht: um die Korrumpierbarkeit von Emotionen.

Von gespielter Leidenschaft, die der wahren Leidenschaft täuschend ähnelt, ist im Stück die Rede. Das wäre eigentlich eine Steilvorlage für Jan Philipp Gloger, auf einer Metaebene das Theater selbst zu thematisieren - als Ort, an dem ebenfalls Gefühle produziert werden. Schauspielerei ist schließlich auch nicht anderes als Verstellung und Vorgaukeln verschiedener emotionaler Zustände.

In früheren Regiearbeiten hat sich Gloger diese Tatsche clever zu Nutze gemacht und dem Zuschauer vorgeführt, wie auch er sich in seinen Gefühlen steuern lässt. Darauf verzichtet Gloger diesmal. In "Viel Lärm um Nichts" beschränkt sich der junge Regisseur darauf, eine weitgehend in sich geschlossene Fiktion auf die Bühne zu bringen. An seinem Lieblingsthema – wie sich Gefühle manipulieren lassen – arbeitet er sich nur auf der Handlungsebene der Inszenierung ab. Was den Abend flacher macht als früherer Arbeiten Glogers.

Flacher und auch schauspielerisch unbefriedigender. An sich ist es ja nicht verboten, Schauspieler in Rollen schlüpfen zu lassen, ohne dabei immer deutlich zu machen, dass sie sich eine andere Identität überziehen wie eine Kleidungsstück. Nur muss dieses Kleidungsstück dann auch passgenau sitzen, will man die Differenz zwischen Darsteller und Rolle kaschieren. Doch im Falle von "Viel Lärm um nichts" wirken Mafia-Outfit und -Gehabe bei einigen der Akteure ein paar Nummern zu groß. So gut das Mafia-Setting zum Ehre-und-Rache-Denken des Stücks passen mag, so wenig überzeugend und bedrohlich wirkt es, wenn die Schauspieler mit Pistolen herumfuchteln, als müssten sie Francis Ford Coppolas "Der Pate" nachspielen.

Entschädigt wird man für diese schauspielerische Unzulänglichkeit am Münchner Residenztheater durch Shenja Lacher, der den Benedikt als leicht zerknautschten Junggesellentypen mit ersten Anzeichen von Schrulligkei gibt. Das ist hochkomisch, auch weil viel Understatement mit im Spiel ist. Weshalb Glogers Inszenierung immerhin als Komödie bestens funktioniert. Und das ist auch nicht wenig.