Es ist ein sonniger Dienstagmorgen, an dem sich rund 20 Frauen und Männer, allesamt gut gelaunte Rentnerinnen und Rentner, gegen 9.30 Uhr vor dem Berliner Mommsenstadion treffen.
Verabredet sind sie zum Lauftraining. Entweder joggen oder walken sie. Darunter auch Christina, die seit 18 Jahren unterschiedliche Distanzen läuft. Auch beim Berlin-Marathon ist sie einige Male ins Ziel gekommen. Ihre Bestzeit: 4 Stunden und 12 Minuten.
"Beim ersten Mal war es eigentlich nur Durchkommen. Natürlich hat man immer die Zeit im Hintergrund. Man will besser werden. Aber man muss der Realität irgendwie ins Auge sehen. Das kann ein 30-, 40-Jähriger auch noch machen, aber bitte nicht mit 76.“
"Da wird manipuliert"
Seit vier Jahren läuft Christina maximal nur noch Halbmarathon. Was generell, aber vor allem mit Mitte 70 eine beachtliche Leistung ist. Manchmal überkommt es ihre Freundinnen und sie auch, und dann sind sie sogar noch länger unterwegs.
„Wir, drei verrückte Weiber, sind zum Beispiel letzte Woche Donnerstag bei 35 Grad 25 Kilometer um den Semlin See rumgelaufen.“
Wie viel Christina pro Woche läuft, entscheidet sie nach Stimmung und Tagesform. Bei Wettkämpfen ist Fairness das Wichtigste für sie. Was einigen Läuferinnen und Läufern jedoch egal ist. Sie betrügen, indem sie nicht aus dem Block starten, für den sie eine Nummer haben und der ihrem Leistungsvermögen entspricht.
Da wird manipuliert. Da wird aus dem F ein E gemacht, um weiter vorne starten zu können. Ich halte das für sehr, sehr unsportlich. Letzten Endes bringt es mir gar nichts, wenn ich da vorne starte. Ich werde in dem Tempo mitgezogen, was nicht mein Tempo ist. Ich werde nicht für umsonst in eine gewisse Gruppe reingesetzt.
Läuferin Christina
Wenn sie die schwarzen Schafe darauf angesprochen hat, hat Christina bislang nie eine Spur von Selbstkritik gehört.
„Da gibt es tausend verschiedene Ausreden, aber eigentlich ist für mich keine akzeptabel.“
Teilnehmer des Bernd-Hübner-Lauftreffs Berlin berichten über ihre Erfahrungen.© Thomas Wheeler
Ähnliche Erfahrungen hat auch Horst gemacht, der bislang 74-mal an einem Marathon teilgenommen hat, 39-mal davon in Berlin.
„Durchs Brandenburger Tor zu laufen - das ist ein Traum für mich jedes Mal. Schon 1990, als ich das erste Mal kam. Ich habe geweint.“
Was gegen Manipulation helfen könnte
Der 84-Jährige war zunächst Radsportler und kam durch ein Gespräch in der Kantine seines früheren Arbeitgebers zum Laufen.
Die Manipulation wird man in fast jedem Lauf finden. Es fällt jemand aus und kann die Nummer nicht mehr übertragen. In Berlin ist das nicht mehr möglich. Wir finden das schon eine ordentliche Geschäftemacherei. Bei den 50.000 die hier an den Start gehen, ist es für die Kontrolleure gar nicht mehr möglich, alles zu überblicken. Das ist das eigentliche Problem. Wenn man große Eingangstore schaffen würde und die Läuferinnen und Läufer einen ordentlichen Zugang hätten, dann wäre die Manipulation wahrscheinlich ein bisschen einzuschränken.
Läufer Horst
Horst möchte beim Berlin-Marathon Ende September sein ganz persönliches Jubiläum feiern. Zum 75. und letzten Mal will er die 42,195 Kilometer meistern. Dafür hat er sich die Sollzeit von sechs Stunden in einer Mischung aus Joggen und Walken vorgenommen oder, wie er es selbst nennt, Kampfwandern.
"Es ist eigentlich Selbstbetrug"
Betrügereien bei Laufveranstaltungen hat auch Günther kennengelernt.
„Es ist eigentlich Selbstbetrug. Als Läufer läuft man das, was man kann - und ist dann auf seine Zeit stolz.“
Dass Veranstalter dagegen durchaus vorgehen können, hat Günther in New York erlebt. Dort mussten die Starter ihre Zeit, die sie laufen wollten, auf ihre Startnummer schreiben.
"Jeder andere konnte das sehen, und jeder hat sich mit dieser Zeit am Rande des Startblocks einordnen müssen. Dann hat jeder gesehen, ob er sich richtig eingeordnet hat oder nicht.“
Durchs Laufen ist Günther rund um die Welt gekommen. Insgesamt 70-mal hat er die Marathonstrecke geschafft. Seit vier Jahren nimmt er aufgrund einer Krankheit nicht mehr an Wettbewerben teil, trainiert aber trotzdem noch dreimal die Woche zwischen fünf und zehn Kilometern.
Sportlich aktiv ist auch noch Horst Milde, der Begründer des Berlin-Marathons im Jahre 1974. Jeden zweiten Tag läuft der 85-Jährige emsig seine Runden durch die umliegenden Parks.
„Im Alter muss man sich bewegen. Man muss nicht rennen. Man muss schon gar nicht Marathon rennen. Aber bewegen musst du dich. Lauf, und du wirst sehen, dass es dir hilft.“
Horst Milde ist Begründer des Berlin-Marathons.© Thomas Wheeler
Ein Spiegel der deutschen Gesellschaft
In seinen 30 Jahren als Renndirektor des Berlin-Marathons hat Horst Milde auch die ein oder andere Schummelei bei diesem Wettbewerb erlebt. Darauf reagiert er mit Unverständnis und kann die Kritik der Läuferinnen und Läufern, die ehrlich und sportlich die Wettkämpfe angehen, absolut nachvollziehen.
Das ist ein Spiegel der deutschen Gesellschaft. Wir sind im politischen Sinn von Kriminellen umgeben, aber auch im Sport. Die Fairness wird zum großen Teil mit Füßen getreten. Da gehört der Betrug dazu. Da muss man versuchen zu kontrollieren. Aber Leute, die betrügen wollen, die schaffen das.
Horst Milde, Begründer des Berlin-Marathons
Betrüger, die identifiziert werden, sollten bestraft werden. Sofortige Disqualifikation und eine Sperre für den nächsten Marathon wären mögliche Konsequenzen. Vielleicht überdenken die Sünder ja dann ihr Verhalten.