Manifesta 11 in Zürich

Warum ein Pfarrer Konzeptkunst macht

Das optische Herzstück der Manifesta 11: der «Pavillon of Reflections» - eine schwimmende Holzkonstruktion
Das optische Herzstück der Manifesta 11: der «Pavillon of Reflections» - eine schwimmende Holzkonstruktion © picture-alliance.com/dpa, Gaetan Bally
Martin Rüsch im Gespräch mit Ute Welty · 11.06.2016
Die europäische Kunstbiennale in Zürich schlägt einer Brücke zur Welt der Arbeit: Die Projekte wurden gemeinsam mit Berufstätigen entwickelt. Der Pfarrer des Züricher Großmünsters, Martin Rüsch, nennt seine Interaktion mit dem russischen Konzept-Künstler Jewgeni Antufjew "sehr anregend".
Vom 11. Juni bis 18. September findet in Zürich die europäischen Kunstbiennale statt. Die elfte Ausgabe der Manifesta wird von Christian Jankowski kuratiert. Sein Konzept "What People Do for Money: Some Joint Ventures" stellt das Thema der Berufe und der Beschäftigung ins Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei realisieren auch 30 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt mit einheimischen Gastgebern, sogenannten Hosts, gemeinsame Projekte.
An verschiedenen, über die ganze Stadt verteilten Schauplätzen sind die Ergebnisse dieser Kooperationen zwischen Künstlern und Menschen aus unterschiedlichsten Berufen zu sehen, darunter auch das Projekt "Eternal Garden" des russischen Künstlers Evgeny Antufiev und des Pfarrers des Züricher Großmünsters Martin Rüsch in der Wasserkirche am Limmatquai.
"Es war auch ein Wagnis", sagte Rüsch im Deutschlandradio Kultur über seine Zusammenarbeit mit dem russischen Konzept-Künstler. Kommuniziert habe das Gespann in ihrer Zusammenarbeit für die Installation "Eternal Garden" für die Wasserkirche am Zürcher Limmatquai vorwiegend per Mail und "in mäßigem Englisch", da der 29-jährige Moskowiter nur wenig in Zürich direkt vor Ort war.

Sakrale Räume und Gegenwartskunst

Kirchenräume als Ausstellungsort für Kunst und die Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen Gegenwartskunst und Kirche interessierten ihn grundsätzlich, erklärte Rüsch zu seiner Motivation, als Host des russischen Künstlers zu fungieren. "Ich wusste natürlich überhaupt nicht, was er dort bringen wird. Und das war natürlich ein Wagnis." Auf beiden Seiten habe es Ängste im Vorfeld gegeben: "Der russische Künstler dachte, jetzt kommt da ein Priester, der genau weiß, was sein darf und was nicht und dann würde es ziemlich bald krachen." Aber auch seine eigenen Befürchtungen seien nicht bestätigt worden, es habe viel Raum für Gespräche und neue Wege gegeben.
Die Installation "Eternal Garden", bei der der Künstler unter anderem das riesige Modell eines Schmetterlings vom Deckengewölbe hängend platziert hat, bringe auch die architektonischen Elemente der Kirche und deren Fenster neu zur Geltung. Gerade indem es in seiner Symbolik nicht eindeutig gelesen werden könne, fasziniere es ihn: "Das hat mich sehr angeregt," erklärte Rüsch, der, bevor er Pfarrer wurde, Kunst studiert hat und in seiner Kirche bereits seit längerem die Veranstaltungsreihe "Kunst in der Krypta" zum Dialog zwischen Gegenwartskunst und Kirche organisiert.

Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: Wie hat der Kirchenmann, der Pfarrer Rüsch, sich in klassischem Sinne verständigt mit einem Künstler, der eben nicht nur in übertragenem Sinne dann doch eine andere Sprache spricht. Ute Welty hat ihn gefragt:
Martin Rüsch: Na ja, was heißt in klassischem Sinne sich verständigen. Man sieht sich, und es gibt ja Leute, die versteht man, ohne dass man ihnen spricht. In der Tat, was Sie meinen, ist ja, in welcher Sprache sprechen wir, und das ist natürlich so, ich spreche nicht Russisch, er spricht nicht Deutsch, so sind wir beide genötigt, uns in einigermaßen mäßigem Englisch zu unterhalten. Und wir mailen dann auch so, oder es ist natürlich auch möglich, dass man sich bestimmte Bilder dann schickt, zumal wir uns da fast nie gesehen haben.
Ute Welty: Ist das vielleicht sogar ganz förderlich, wenn die eigentliche Sprache reglementiert ist, auf ein Minimum beschränkt, weil man sich dann eben auch auf das Wesentliche konzentriert?
Rüsch: Ja, für ihn als Künstler ist es ohnehin so, dass das vielleicht visuelle Kommunizieren was ganz Wichtiges ist, also was sehe ich, wie reagiere ich darauf, wie gestalte ich, und das Interpretieren oder Besprechen oder das auf Worte bezogene Gestalten ist vielleicht dann doch nicht das Erste, und das ist mir nicht ganz fremd. Und deswegen, glaube ich, war das schon sehr gut möglich.
Welty: Aber als Kirchenmann sind Sie ein Mann des Wortes.
Rüsch: Ein Mann des Wortes, aber es gibt ja keine Wörter ohne Bilder, und da muss man ja auch dann manchmal doppelt hinhören, so wie man doppelt hinsehen muss, wenn es um Kunst geht.
Welty: Was hat Sie an der Idee fasziniert, ein Gastgeber für einen Manifesta-Künstler zu sein?

"Es war auch ein Wagnis"

Rüsch: Ja, mich interessieren sehr die Beziehungen, auch die Auseinandersetzungen zwischen Gegenwartskunst und Kirche, und ich finde es sehr anregend, wenn sich Künstler dafür interessieren, in Kirchenräumen etwas zu machen, und erst recht, wenn das Kirchenräume sind, die auch noch für Gottesdienste benutzt werden. Das hat mich grundsätzlich sehr interessiert. Ich wusste natürlich überhaupt nicht, was er dann da bringen wird, und das war auch ein Wagnis.
Welty: Warum ein Wagnis?
Rüsch: Ja, weil wir uns beide nicht gekannt haben. Wir haben beide irgendwelche Bilder im Kopf, was da vielleicht dann wäre, auch Ängste. Also der russische Künstler dachte, jetzt kommt da ein Priester, der genau weiß, was sein darf und was nicht, und dann würde das dann ziemlich bald krachen, und das war natürlich nicht so. Und umgekehrt hatte ich auch das Bild, jetzt kommt einer – es gibt ja so Beispiele –, die haben fixe Ideen, das muss jetzt realisiert werden, und dann ist da nicht viel Raum für Gespräche und neue Wege. Und das war überhaupt nicht so.
Welty: Es geht um eine Installation, die sich auch auf kirchliche, auf christliche Symbole bezieht, mit einem Schmetterling anstelle des Kreuzes. Was ruft das im Pfarrer hervor, oder ist der Pfarrer dann eben auch Künstler?

"Eher ein Bild für die Endlichkeit des Lebens"

Rüsch: Na ja, gut, das kann man ja verschieden sehen – der Schmetterling so als Symbol der Auferstehung, das mit der Verpuppung zum Schmetterling. Ich selber halte das nicht unbedingt so jetzt das treffendste Bild, wenn es um Auferstehung geht, das ist da ein bisschen aus der Natur abgekupfert. Ich bin auch sehr dankbar, dass der Künstler selber dann doch im Schmetterling eher ein Bild auch für die Endlichkeit des Lebens gesehen hat. Und in dieser Wasserkirche hat er diesen Schmetterling so platziert – hängend, vorne riesengroß –, dass dahinter ein Kirchenfenster des Schweizer Künstlers Giacometti vielleicht nochmals anders zum Sprechen kommt, also wo dann auch ein Kruzifix in diesem Fenster oder auch eine Kanone – das sind modernere Fenster – völlig neu auch zur Wirkung kommen.
Welty: Trotzdem noch mal die Frage: Was ruft das in Ihnen hervor, wenn Sie sich das jetzt anschauen? Finden Sie es schön beispielsweise, oder ist das eine Kategorie, mit der Sie da gar nichts anfangen können?
Rüsch: Ja, es ist schön, es hat eine ästhetische Seite in diesem Kirchenraum, also auch die Architektur, die Fenster, alles kommt natürlich auf neue Weise zur Geltung, das ist auch schön gemacht. Das Zweite ist, dass es ja ein Bild ist, das auf etwas verweist, eine Symbolkraft hat und nicht unbedingt auch sofort eindeutig gelesen werden kann. Und das hat mich sehr angeregt, das hat auch viele Bezüge dann ergeben in dieser Zusammenarbeit. Und dieser Schmetterling war ja auch für den Künstler eng verbunden mit dem Besuch des russischen Autors Nabokov, der am Genfer See gewohnt hat und dort eine große Schmetterlingssammlung sich zugelegt hat.
Welty: Gastgeber sein für einen Künstler auf der Manifesta 11, das steht unter dem Motto "What people do for Money", was Leute für Geld so alles tun. Inwieweit hat sich Ihr Blick darauf verändert, was eben auch Sie für Geld tun, inwieweit hat sich Ihr Blick auf Ihren Beruf verändert?
Rüsch: Ja, so direkt jetzt nicht unbedingt. Also natürlich war das zu Beginn eine Frage, die ist auch nicht so ganz im Vordergrund jetzt in der Manifesta, dass ich das wahrnehme. Natürlich ist die Frage nebenbei so schon dabei, wie arbeite eigentlich, wofür will ich Geld oder werde ich bezahlt. Ich werde ja nicht bezahlt dafür, dass ich mit einem Künstler zusammen so eine Arbeit entwickle.
Welty: Wäre aber doch vielleicht eine schöne Alternative, oder?

"Secret Room" als Referenz an "What people do for money"

Rüsch: Ja, das ist eine schöne Alternative, aber das war auch für uns beide irgendwie nicht so richtig das Thema. Einzig so eine kleine Referenz an dieses Thema ist, dass es in der Kirche einen Secret Room gibt, einen Raum, den man nur betreten darf, wo natürlich auch Werke zu sehen sind, wenn man da eine Münze einwirft, sodass man also bezahlt für einen Geheimnisraum. Und das war natürlich schon so auch für mich ein Anstoß, na ja, Leute bezahlen ja in gewisser Weise auch etwas, um von der Kirche was zu haben.
Stephan Karkowsky: Sie hörten ein Gespräch von Ute Welty mit dem Züricher Pfarrer Martin Rüsch. Dessen gemeinsame Installation mit dem russischen Künstler Evgeny Antufiev können Sie ab heute auf der Manifesta 11 bewundern in Zürich – und das noch bis zum 18. September.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Manifesta gilt zählt neben der Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel zu den bedeutendsten Kunst-Schauen der Welt. Als Ausstellungsplattform steht sie für einen kulturellen Austausch innerhalb Europas und wandert deshalb alle zwei Jahre in eine andere europäische Stadt. Seit 1996 fand sie in Rotterdam, Luxemburg, Ljubljana, Frankfurt, Donostia/San Sebastián, Trentino–Südtirol, Murcia, Genk und zuletzt in St. Petersburg statt.
What people do for money. Manifesta 11. Löwenbräukunst, Helmhaus und diverse weitere Orte in Zürich. 11. bis 18. September 2016.

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