Manifest gegen die Unterordnung
Die Bosnier, setzt der weitgereiste Hasan dem eher provinziellen Ahmed Nurudin einmal auseinander, seien die kompliziertesten Menschen der Welt. Mit niemandem sonst habe die Geschichte so ihren Scherz getrieben wie mit ihnen.
Auf halbem Wege seien die Bosnier stehen geblieben, wie ein Flussarm, den eine Sandbank vom Hauptstrom getrennt habe. Überdies steckten sie in tiefer Scham ob ihrer Abtrünnigkeit, da sie sich einst als christliche Slawen den islamischen Osmanen unterordneten.
Die Szene stammt aus einem Roman, der im Sarajevo des frühen 17. Jahrhunderts die kollektiven Zwänge und Dogmen des 20. Jahrhunderts reflektiert. "Der Derwisch und der Tod", der vielleicht bedeutendste Roman des 1910 im bosnischen Tuzla geborenen Mehmed Meša Selimović wurde nun, nachdem er über Jahre vergriffen war, vom Otto Müller Verlag in Salzburg neu aufgelegt.
Die Geschichte wird aus der Sicht des Bosniers Ahmed Nurudin erzählt, der aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammt und einer Thekie, einem islamischen Kloster, vorsteht. Ahmed begegnet seiner weltlichen und geistlichen Obrigkeit eigentlich mit loyaler Demut, wird aber durch eine ungeheuerliche Begebenheit aus seiner ruhigen Lebensbahn geworfen. Die korrupten Stadtoberen haben seinen Bruder verhaftet und umgebracht, weil er zu viel von ihren Machenschaften wusste. In einem ebenso dramatischen wie philosophisch überhöhten inneren Monolog arbeitet Scheich Ahmed das Für und Wider von Auflehnung, Anpassung und Fatalismus durch, ohne zu einer klaren Einsicht zu gelangen. Zugleich sucht er nach Möglichkeiten, seinen Bruder erst zu retten, dann zu rächen. Dabei gerät er selbst ins Visier der Herrschenden und landet im Gefängnis.
Wieder in Freiheit, gelingt es ihm mithilfe einer kunstvoll eingefädelten Intrige, das Volk gegen die Obrigkeit aufzuwiegeln, diese zur Flucht zu bewegen und selbst das höchste Richteramt zu übernehmen. Doch was einem politischen Befreiungsschlag gleichkommt und wie ein moralischer Sieg anmutet, erweist letztlich als fataler Irrweg. Scheich Ahmed, mit weltlicher Macht und weltlichem Amt gesegnet, knickt alsbald vor denen ein, die über ihm das Sagen haben, den Landesherren, und an sie verrät er sogar den alten Freund Hasan, der ihm bei der Suche nach seinem Bruder geholfen hatte.
Wenn Selimović vom Sinn und Unsinn der Rebellion im 17. Jahrhundert erzählt, vom Gerechtigkeitssinn der Masse und der Ungerechtigkeit des Menschen in der Masse, dann bringt er die Loyalitätskonflikte kritischer Intellektueller im sozialistischen Jugoslawien meisterhaft klar zur Sprache. Doch damit nicht genug. Dieser Roman, der die alte bosnisch-osmanische Welt in einem wunderbar ornamentalen, zugleich ironisch gebrochenen Stil ins Bild setzt, ist ein literarisches Manifest gegen die Unterordnung des Einzelnen unter irgendein Dogma, das des Nationalismus eingeschlossen.
Selimović starb 1982 in Belgrad. Nach Belgrad war der Bosnier mit muslimischen Vorfahren gezogen, nachdem es ihm als Philosoph an der Universität Sarajevo zu eng geworden war. Kurz vor seinem 100. Geburtstag streiten serbische und bosnisch-muslimische Philologen darum, welcher Nation das Erbe des großen Schriftstellers zusteht. Auch insofern ist "Der Derwisch und der Tod" ein Buch von brennender Aktualität.
Besprochen von Martin Sander
Meša Selimović: "Der Derwisch und der Tod", Roman,
Aus dem Serbischen von Werner Creutziger,
Otto Müller Verlag, Salzburg 2009, 354 Seiten, 26, EUR
Die Szene stammt aus einem Roman, der im Sarajevo des frühen 17. Jahrhunderts die kollektiven Zwänge und Dogmen des 20. Jahrhunderts reflektiert. "Der Derwisch und der Tod", der vielleicht bedeutendste Roman des 1910 im bosnischen Tuzla geborenen Mehmed Meša Selimović wurde nun, nachdem er über Jahre vergriffen war, vom Otto Müller Verlag in Salzburg neu aufgelegt.
Die Geschichte wird aus der Sicht des Bosniers Ahmed Nurudin erzählt, der aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammt und einer Thekie, einem islamischen Kloster, vorsteht. Ahmed begegnet seiner weltlichen und geistlichen Obrigkeit eigentlich mit loyaler Demut, wird aber durch eine ungeheuerliche Begebenheit aus seiner ruhigen Lebensbahn geworfen. Die korrupten Stadtoberen haben seinen Bruder verhaftet und umgebracht, weil er zu viel von ihren Machenschaften wusste. In einem ebenso dramatischen wie philosophisch überhöhten inneren Monolog arbeitet Scheich Ahmed das Für und Wider von Auflehnung, Anpassung und Fatalismus durch, ohne zu einer klaren Einsicht zu gelangen. Zugleich sucht er nach Möglichkeiten, seinen Bruder erst zu retten, dann zu rächen. Dabei gerät er selbst ins Visier der Herrschenden und landet im Gefängnis.
Wieder in Freiheit, gelingt es ihm mithilfe einer kunstvoll eingefädelten Intrige, das Volk gegen die Obrigkeit aufzuwiegeln, diese zur Flucht zu bewegen und selbst das höchste Richteramt zu übernehmen. Doch was einem politischen Befreiungsschlag gleichkommt und wie ein moralischer Sieg anmutet, erweist letztlich als fataler Irrweg. Scheich Ahmed, mit weltlicher Macht und weltlichem Amt gesegnet, knickt alsbald vor denen ein, die über ihm das Sagen haben, den Landesherren, und an sie verrät er sogar den alten Freund Hasan, der ihm bei der Suche nach seinem Bruder geholfen hatte.
Wenn Selimović vom Sinn und Unsinn der Rebellion im 17. Jahrhundert erzählt, vom Gerechtigkeitssinn der Masse und der Ungerechtigkeit des Menschen in der Masse, dann bringt er die Loyalitätskonflikte kritischer Intellektueller im sozialistischen Jugoslawien meisterhaft klar zur Sprache. Doch damit nicht genug. Dieser Roman, der die alte bosnisch-osmanische Welt in einem wunderbar ornamentalen, zugleich ironisch gebrochenen Stil ins Bild setzt, ist ein literarisches Manifest gegen die Unterordnung des Einzelnen unter irgendein Dogma, das des Nationalismus eingeschlossen.
Selimović starb 1982 in Belgrad. Nach Belgrad war der Bosnier mit muslimischen Vorfahren gezogen, nachdem es ihm als Philosoph an der Universität Sarajevo zu eng geworden war. Kurz vor seinem 100. Geburtstag streiten serbische und bosnisch-muslimische Philologen darum, welcher Nation das Erbe des großen Schriftstellers zusteht. Auch insofern ist "Der Derwisch und der Tod" ein Buch von brennender Aktualität.
Besprochen von Martin Sander
Meša Selimović: "Der Derwisch und der Tod", Roman,
Aus dem Serbischen von Werner Creutziger,
Otto Müller Verlag, Salzburg 2009, 354 Seiten, 26, EUR